Bahngeschichte Teil 0

Wege zum Land der Busse und Bahnen

Unter der Rubrik »Analysen« präsentiert unser Sprecher Heiner Monheim über die nächsten Wochen Auszüge aus einem Buchmanuskript, das nach ähnlichen Büchern »Wege zur Fahrradstadt« (2017) und »Wege zur Fussgängerstadt« (2018) jetzt die Zukunftsperspektiven eines Bus- und Bahnlandes Deutschland erörtert.

MEIN persönlicher HINTERGRUND

Bus und Bahn haben mich ein Leben lang begleitet. Erst privat und dann seit 1966 auch verstärkt beruflich als Verkehrsplaner, Verkehrsforscher und Aktivist in Verbänden und Initiativen für eine nachhaltige Mobilität. Ich schildere diese Hintergründe, weil die jeweilige Verkehrssozialisation ein wichtiger Faktor für die individuellen Prägungen, Vorlieben und Überzeugungen ist.

Kindheit in Heidelberg mit viel Bus und Bahn

Mein erstes Lebensjahrzehnt verbrachte ich in den 40er und 50er Jahren in Heidelberg. Damals dominierten die Straßenbahnen und Busse den dortigen Stadtverkehr, die Regionalbahnen, Postbus und Bahnbus besorgten den Regionalverkehr und die D-Züge und FD-Züge den Fernverkehr. Deren Nutzung war damals für breite Teile der Bevölkerung selbstverständlich. Autos hatten zunächst nur die Besatzungstruppen der Amerikaner. Die Altstadt mit ihren engen Gassen war damals ein Paradies für Kinder. Ausflüge führten mit dem Postbus in den Odenwald und Kraichgau oder mit dem Zug ins obere Neckartal und die Städte der Rheinebene. Ich war im Alltag meist mit meinem ersten NSU-Fahrrad unterwegs, später auch mit Jugendgruppen von Jugendherberge zu Jugendherberge. Besuche bei den Großeltern in Aachen oder Bochum erfolgten immer mit der Fernbahn.

Jugend in Aachen in Zeiten des ersten verkehrlichen Umbruchs

Ab 1956 folgten dann neun Jugendjahre in Aachen. Aachen war damals auch noch eine richtige Straßenbahnstadt mit dichtem Stadtnetz und mehreren Überland-Straßenbahnverbindungen in die Niederlande und die Voreifel. Aber bald begannen die ersten schrittweisen Straßenbahn- und Eisenbahnstilllegungen. Die Vennbahn, die Bahn nach Maastricht und mehrere Eifel- und Niederrhein-Strecken wurden vom Netz genommen. Der Radverkehr wurde auf den Straßen zunehmend an den Rand gedrängt. Die stark kriegszerstörte Stadt wurde mit breiten Straßendurchbrüchen wieder aufgebaut.

Autofixierte Generalverkehrsplaner

In der deutschen Verkehrsforschung und Planung dominierte damals Prof. Paul Arthur Mäcke mit seinem aus der RWTH ausgegliederten Institut IVV, das deutschlandweit die Städte mit autoorientierten Generalverkehrsplänen »versorgte«. In ihnen wurden Fuß- und Radverkehr regelmäßig als »Nebensache« ausgespart. Auf die Orientierung von IVV und Mäcke färbte das niederländische Vorbild, das gleich hinter der Grenze in Vaals und erst recht in Maastricht ganz andere Prioritäten setzte, in keiner Weise ab. Die Staatsgrenze in Vaals war auch eine Grenze der Verkehrswelten: hier Fahrradland, da Autoland.

Studium in München

Das Studium in Bonn und München von 1966 bis 1971 in den Fächern Geographie, Geschichte, Soziologie, Stadt- und Regionalplanung und Verkehrsplanung hat mich stark geprägt. Der Kontrast zwischen dem stark autofixierten Prof. Karl-Heinz Schaechterle, der auch ADAC-Vizepräsident war, und den stark städtebaulich ausgerichteten Professoren Gerd Albers und Karl Ganser war inspirierend. Ganser bot schon damals Lehrveranstaltungen zur Autokritik an.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gerd_Albers

https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Ganser

Hans-Jochen Vogel traute sich als Städtetagspräsident schon früh (1970er Jahre) eine Abkehr von der autogerechten Stadt zu fordern, doch es folgten lange Zeit keine einschneidenden Konsequenzen, auch nicht, als er kurz Bundesbauminister wurde

Neben seinem TH-Job arbeitete Ganser auch für das Stadtentwicklungsreferat und wirkte mit in der Olympia-Task-Force. München war damals vor der Olympiade Boomstadt mit Hans-Jochen Vogel als jungem Oberbürgermeister und späterem Städtetagspräsident und späterem – leider viel zu kurz amtierendem – Bundesbauminister, der danach ins Justizressort wechselte. Die Stadt erfuhr eine für große deutsche Metropolen typische Doppelförderung: einerseits wurden die ersten U-Bahn-Strecken und die S-Bahn realisiert. Die Innenstadt erhielt eine Fußgängerzone, die allerdings nur Teile der Altstadt umfasste. Gleichzeitig wurden aber auch erste Straßenbahnstrecken stillgelegt. Und das Hauptverkehrsstraßennetz und vor allem der Altstadtring und Mittlere Ringe wurden autogerecht ausgebaut, ebenso die auf München zuführenden Autobahnen. Die S-Bahn mit ihren vielen neuen Haltepunkten und bis dahin nicht gekanntem Taktverkehr und die ersten U-Bahnstrecken erwiesen sich immerhin als sehr erfolgreich. Trotzdem wurden in der Innenstadt viele neue Parkhäuser und Tiefgaragen eröffnet.

Städtebau und Verkehr auf Bundesebene

Nach dem Wechsel in die Bundesforschungsanstalt des Bundesbauministeriums 1972 haben mich dann die Fragen der kommunalen, regionalen und überregionalen Verkehrsentwicklung nicht mehr losgelassen. Meine Schwerpunkte waren Verkehrsberuhigung, Fahrradförderung und Ausbau des kommunalen ÖPNV. Auch das Thema Flächenbahn und Bahnstilllegungen hat mich intensiv beschäftigt. Durch frühe Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen und Umweltverbänden ergab sich die Mitwirkung an den Gründungsprozessen des ADFC, VCD, Forum Mensch und Verkehr, Umkehr als Zusammenschluss von Verkehrsbürgerinitiativen sowie der Initiative für eine bessere Bahn, aus der dann das Bündnis »Bahn für Alle« und das Fachleutenetzwerk »Bürgerbahn statt Börsenbahn«, 2022 umfirmiert zu »Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene«, hervorgingen.

1986 brachte das BMBau eine Broschüre heraus, die die dringenden Verkehrsprobleme im Stadtverkehr analysierte und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen anschaulich vorstellte

Mit zwei »Illustrierten« popularisierte das BMBau 1979 und 1986 das erste Mal das Thema Verkehrswende mit vielen Bildern und Texten und thematisierte die Probleme und Schmerzgrenzen der Massenmotorisierung. Die Autolobby und das Netzwerk der Verkehrsprofessoren bombardierten das Bauministerium mit Protesten gegen die provokanten Thesen, die heute umso mehr aktuell sind.

Städtebau und Verkehr auf der Landesebene NRW

Der NRW-Städtebau- und Verkehrsminister Zöpel holte mich 1985 in sein Ministerium, um dort Verkehrsberuhigung, Fahrradförderung und kommunale Nahverkehrsplanung besser zu verankern. Vor allem die Bahnprojekte »Haller Wilhelm« zwischen Bielefeld und Osnabrück, Rurtalbahn zwischen Heimbach und Düren/Jülich/Linnich und S-Bahn Kaarst-Mettmann und die neue Straßenbahn in Oberhausen zeigten sehr schön, was im Schienenverkehr möglich ist. Die Bahnhöfe der Köln-Mindener Eisenbahn wurden im Zuge der IBA Emscher-Park modernisiert. Und ich konnte diverse innovative Stadtbusnetze mit Impulsen und Planungskosten ans Laufen bringen, vor allem in Ostwestfalen (z.B. Lemgo, Bad Salzuflen und Detmold) sowie im Rheinland (z.B. Euskirchen). Aber ich musste auch erleben, wie der spätere Ministerpräsident und »Superminister« Clement mit der fixen Idee des »Metrorapid« als Hochgeschwindigkeitsbahn 15 Jahre schmerzlichen Stillstand in der Bahnentwicklung des Ruhrgebietes verursacht hat, ehe sein Amtsnachfolger Steinbrück die illusionäre Transrapidee wieder einkassierte und dann endlich der RRX geplant wurde, der dem Ruhrgebiet neue SPNV- Kapazitäten bereitstellte.

Durch einen komplizierten Beinbruch ergab sich die Gelegenheit, dem Alltagsstress im Krankenbett zu entkommen und zusammen mit meiner Frau Rita Dandorfer (†1995) ein dickes Buch zum Stadtverkehr zu schreiben, von dem viele jüngere Kollegen behaupten, es habe sie stark motiviert und inspiriert für ihre Verkehrswendebemühungen.

In meiner Zeit im Verkehrsministerium konnte ich 1991 zusammen mit meiner leider 1995 verstorbenen Frau Rita Monheim-Dandorfer das Buch »Straßen für Alle« herausbringen, das ein breites Plädoyer für eine andere Verkehrspolitik umfasste.

Universität Trier

1995 wechselte ich als Professor für Raumentwicklung an die Universität Trier, wo viele Studierende innovative Abschlussarbeiten zu Bahn- und ÖV-Themen verfasst haben und mit zwei Projekten (Wanderausstellung »Radlust« zur Zukunft des Radverkehrs und Wanderausstellung »Spurwechsel« zu Zukunft des öffentlichen Verkehrs und der Bahn) Furore machten, die auch heute noch verfügbar sind. In dieser Zeit betreute ich auch eine Dissertation (Michael Hölzinger), die die Lobby-Arbeit der Bahn und des Autosektors verglich, mit einem für die Bahn und den öffentlichen Verkehr sehr traurigen Befund. Und eine Serie von Intensivinterviews mit Bürgermeistern, Landräten, Landtags- und Bundestagsabgeordneten erbrachte ähnlich deprimierende Ergebnisse. (»Akzeptanz innovativer ÖPNV-Konzepte bei professionellen Akteuren« 2004). Wichtige Innovationen im öffentlichen Verkehr waren überhaupt nicht bekannt, gegenüber der Leistungsfähigkeit des Öffentlichen Verkehrs gab es massive Vorbehalte, das Auto galt in der Politik als konkurrenzlos und maximal förderwürdig.

Die Spurwechselbroschüre (www.generation-spurwechsel.de) und dazugehörige Wanderausstellung behandelt ausgehend von der glorreichen Geschichte der Bahnen in Deutschland alle wichtigen Systeminnovationen im öffentlichen Verkehr

Raumkom Institut für Raumentwicklung und Kommunikation

2007 gründete ich zusammen mit meinem Assistenten Christian Muschwitz das raumkom Institut, in dem viele Verkehrsprojekte zur lokalen und regionalen Mobilität für Kommunen, Ministerien und Verkehrsunternehmen bearbeitet wurden. Kommunikation ist ein zentraler Hebel, um Bewegung in die Verkehrsentwicklung zu bringen. Die üblichen Argumentationsrituale der Verkehrspolitik auf Bundes-, Landes- und Regional-/Kommunalebene waren meist erstarrt in den typischen ideologischen Grabenkämpfen.

Finale?

Und jetzt bin ich 78 Jahre alte und versuche immer noch, mich auf allen Ebenen der Verkehrspolitik einzumischen. Impulse zu geben. Fehlentwicklungen zu kritisieren. Und kleine und große Texte zu den vielen Facetten der Verkehrswende zu schreiben. Wer mehr wissen will, lese Details auf meiner Homepage www.heinermonheim.de. Ich lasse mich von der gelegentlichen Ignoranz der Politik- und Verwaltungssysteme auf allen Ebenen nicht entmutigen und schmiede weiter Allianzen der Gutwilligen.

Natürlich muss man bei Verkehrswende auch über die künftige Rolle des Autoverkehrs sprechen. Sie darf nicht mehr dominant sein, die Herrschaft über den öffentlichen Raum beim Fahren und Parken und über die Budgets der Gebietskörperschaften darf der Autoverkehr nicht länger behalten. Denn mittlerweile zwingt die Klimakrise alle Akteure zu neuem Denken und einer deutlich höheren Priorität für den Umweltverbund gegenüber den fahrenden und parkenden Autos, die übermäßig viel Fläche beanspruchen, Energie verbrauchen, immer noch viel zu viel Menschenleben kosten und zunehmend an ihrer unbeherrschbaren Masse und dem daraus resultierenden Stau ersticken.

Vor diesem Hintergrund meiner persönlichen und beruflichen Verkehrssozialisation und mittlerweile 50 Jahre Erfahrungen in Wissenschaft und Praxis versuche ich, mit meinen Texten eine Bilanz bisheriger Fehlentwicklungen zu ziehen und ein Verkehrswendeprogramm für den Öffentlichen Verkehr und die Bahnen zu entwickeln.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

Zeige alle Beiträge von Prof. Dr. Heiner Monheim →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert