rail blog 322 / Michael Jung

Von Vernunft und Irrsinn

Das Thema Digitalisierung wurde hier in den Blogs schon mehrmals behandelt. Nun flatterten mir in kurzem Abstand zwei Meldungen in die Mailbox, die zeigen, wie unterschiedlich man da herangehen kann.

Die erste Meldung kommt aus Hamburg: die Stadt setzt die Ankündigung um, das Deutschlandticket für alle Schülerinnen und Schüler kostenlos anzubieten – ab dem 1. September 2024 können 210.000 Schulkinder kostenlos fahren, und das nicht nur von Farmsen bis Finkenwerder, sondern von Flensburg bis Freilassing. Man schätzt, dass etwa 80 % der Berechtigten das Angebot annehmen werden.

»Hamburg übernimmt hier eine Vorreiterrolle, denn es ist das erste Bundesland, das landesweit flächendeckend ein kostenloses HVV Deutschlandticket für Schülerinnen und Schüler möglich macht«, teilte eine Sprecherin des HVV auf Nachfrage mit.

Wer schon ein Deutschlandticket hat, muss dafür zukünftig nichts mehr bezahlen. Super-einfach. Wer sich jetzt eins besorgt und den 16. Geburtstag hinter sich hat, darf sich selber online anmelden und bekommt dann das vorgesehene digitale Deutschlandticket, aber: alle unter 16 müssen die Anmeldung über die Eltern machen und bekommen eine Chipkarte. Ein digitales Ticket sei für sie »nicht möglich«, schreibt die Mopo.

Ich würde eher sagen: es ist für sie nicht nötig – und es ist absolut vernünftig, einem Sechsjährigen oder einer Siebenjährigen das Ticket auf einer robusten Plastikkarte auszuhändigen, anstatt zu verlangen, dass sie ständig ein aufgeladenes Handy dabei haben, egal ob auf dem Schulweg oder zwischen Schwimmunterricht und Eiscafé.

Das Kontrastprogramm bietet mal wieder die Deutsche Bahn. Sie hat bekanntlich die Chipkarte bei den BahnCards abgeschafft und erzwingt die Digitalisierung, und das für genau ein Gerät pro Person, da muss man sich also auch noch entscheiden, ob man die »Schwarze Mamba« aufs Diensthandy oder auf das private Tablet lädt.

Und jetzt tauchen ungeahnte (???) Nebeneffekte auf: bisher gab es auf BahnCard auch so manchen Rabatt, beispielsweise im Parkhaus am Bahnhof. Chipkarte in den Schlitz, und fertig ist der Rabatt.

Völlig überraschenderweise kann man aber ein Handy nicht in einen Automaten stecken, also funktioniert das nicht mehr. Welche Lösung bietet die DB an?

Wir bieten Ihnen jedoch weiterhin einen vergünstigten Tagestarif in dieser Parkeinrichtung an.

Hierzu benötigen Sie lediglich die Pcard des Betreibers. Einfach anmelden unter www.[Name des Parkhausbetreibers].de/p-card und weiterhin vom rabattierten Tagestarif profitieren.

Sie haben richtig gelesen: weil die DB Plastik sparen will, zwingt sie ihre Parkhausnutzer, sich eine Plastikkarte mit Chip und Magnetstreifen eines Drittunternehmens zuzulegen.

Nein! – Doch! – Oh!

Und dann folgt noch der klassische Spruch, den sich Unternehmen tunlichst verkneifen sollten:

Wir danken für Ihr Verständnis

Nein, lieber Dienstleister, Sie dürfen zwar gerne um das Verständnis der werten Kundschaft bitten oder auf es hoffen – aber vorauszusetzen, dass man dieses Verständnis aufbringt, ist eine Arroganz, die eigentlich längst obsolet sein sollte. Aber ist der Ruf erst ruiniert …

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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