German Railway is Watching You
Der Verein Digitalcourage vergibt seit vielen Jahren die »Big Brother Awards«, um auf Missstände beim Datenschutz, egal ob legal oder illegal, aufmerksam zu machen.
Am 11. Oktober 2024 wurde der Preis in der Kategorie Mobilität an die Deutsche Bahn AG verliehen,
… weil sie mit ihrem zunehmenden Digitalzwang nicht nur Menschen ausschließt, sondern auch anonymes Reisen zunehmend unmöglich macht.
https://digitalcourage.de/newlsetter/2024/das-waren-die-bba-2024
Die Deutsche Bahn AG wird ausgezeichnet, weil sie Digitalisierung dafür einsetzt, anonymes Reisen nach und nach komplett unmöglich zu machen.
… Es geht um Digitalzwang, es geht um die Missachtung von Datenschutzprinzipien wie Datensparsamkeit – und für viele Reisende geht es um existentielle Dinge:
1. Die Bahncard 50 und 25, die seit Mitte 2024 nicht mehr als Karte, sondern nur noch zum Vorzeigen auf dem Smartphone herausgegeben wird.
2. Sparpreis- und Supersparpreis-Tickets werden mittlerweile nicht mehr am Automaten verkauft. Beim Kauf im Reisezentrum muss jetzt zwingend eine Mobilfunknummer oder eine Mailadresse angegeben werden.
3. Das Deutschland-Ticket wird von der DB ausschließlich als elektronisches Ticket auf dem Smartphone angeboten.
4. Dazu kommt, dass das Fahrkarten-Kaufen am Automaten immer mehr erschwert wird: Automaten werden abgebaut oder umgerüstet und akzeptieren dann kein Bargeld mehr. Die Automaten, die Bargeld nehmen, ziert oft ein Schild »defekt«.
Das sind Missstände, die Bürgerbahn mehrfach kritisiert hat, siehe die Blogbeiträge 277, 285, 287, 288, 291, 302, 304, 317, 319 und 322:
Die »Laudatio« von Digitalcourage sei hier auszugsweise zitiert:
Punkt 1: Bahncard 50 und 25 nur noch zum Vorzeigen auf dem Smartphone
Besonders scheinheilig aber ist die Behauptung der Bahn-PR, dass die DB mit dieser Maßnahme 30 Tonnen Plastikmüll pro Jahr einsparen und damit besonders umweltbewusst handeln würde. Das müssen wir jetzt gerade mal auseinanderpflücken: Nein, es ist nicht umweltfreundlich, Reisende zur Anschaffung eines modernen Smartphones zu nötigen. Smartphone-Nutzung ist keineswegs per se nachhaltig, denn die Elektronikproduktion und der Betrieb der Rechenzentren verbraucht viele Ressourcen.
Im Übrigen bräuchte es auch gar kein Plastik für eine Bahncard. Es gibt längst andere innovative Lösungen. Die GLS-Bank macht es vor: Sie produziert ihre Bankkarte auf Holzbasis. Damit hat die GLS sogar auf beleuchteten Werbetafeln in ICEs geworben. Und beim Bestellen könnte die Bahn einfach abfragen, ob man als Kunde auf eine physische Karte verzichten möchte.
Aber seien wir ehrlich – es geht der Bahn überhaupt nicht um Plastik. Es geht um den Zwang zur App – und ums Datensammeln.
Den Aufschrei aus der Bevölkerung, der auf die Ankündigung folgte, die Bahncard ab Mitte 2024 nur noch elektronisch auf Smartphone auszugeben, dürfte man bis in die Vorstandsetage gehört haben. Es gab massenweise Protestschreiben, E-Mails und Bahncard-Kündigungen, die Digitalcourage in Kopie erreicht haben.
Punkt 2: Sparpreistickets nur noch bei Preisgabe persönlicher Daten
Auch hier liefert die DB wieder ein vorgeschobenes Argument: Die Telefonnummer oder ersatzweise die Mailadresse würde gebraucht, um mit den Reisenden Kontakt aufzunehmen, falls sich ihr Zug verspäten oder früher fahren würde. Da lachen ja die Hühner. Inzwischen hat auch Alexander Roßnagel, der Hessische Landesdatenschutzbeauftragte, der für den DB Konzern zuständig ist, klargestellt: Der Zwang, Handynummer oder E-Mail-Adresse anzugeben, ist datenschutzrechtlich unzulässig.
Punkt 3: Deutschland- und Semesterticket nur noch auf dem Smartphone
Auch die Politik und Verbände legen Mosaiksteinchen um Mosaiksteinchen dazu: Deutschlandticket? Semestertickets? Beides soll es bei der Bahn ausschließlich in der Digitalzwang-Edition geben. Die Grundlage dazu steht im Regionalisierungsgesetz: »[Das Deutschlandticket] soll in digitaler Form erhältlich sein.« Mein Kleinhirn sagt mir: da steht »soll«, nicht »muss«. Von Ausschließlichkeit ist keine Rede. Aber die Bahn besteht darauf.
So haben wir derzeit auf der einen Seite Menschen, die kein Smartphone besitzen – oder die zwar eins haben, aber denen das Bedienen von Technik zu komplex ist, die sich unter Druck gesetzt fühlen und ihre Bahncard kündigen, weil sie denken, dass sie diese gar nicht mehr nutzen können. Auf der diametral entgegengesetzten Seite sind die technisch versierten Menschen, die ein freies Betriebssystem auf ihrem Gerät haben und deswegen nicht an die App-Stores von Google oder Apple rankommen. Denn ausschließlich dort bekommt man (anders als bei vielen Fahrplan-Apps) die zur Nutzung zwingend notwendige App »DB Navigator«. Diese Menschen haben viel Ahnung von Datenverarbeitung – genau deshalb achten sie auf ihre informationelle Selbstbestimmung und wollen nicht allenthalben eine Datenschleimspur hinterlassen.
Punkt 4: Weniger Fahrkartenautomaten, kein Verkauf im Zug
Die Frage, wer, wie, wann und wohin fährt, ist für die Bahn offenbar von großem Interesse. Fahrkartenautomaten werden systematisch verknappt oder stehen – da, wo die Deutsche Bahn noch Regionalstrecken bedienen darf – unrepariert an trostlosen Haltepunkten. Und Bargeld wird meist nicht angenommen – auch hier ist er, der Zwang zum Digitalen; zum unbaren Zahlen mit Geldkarte.
Und, fast vergessen: Anders als früher werden in Zügen der Deutschen Bahn keine Fahrkarten mehr im Zug verkauft.
Und als Kulminationspunkt: DB Navigator
Das nächste Überwachungsmosaik-Steinchen: die App „DB Navigator“. Eine App, die nicht nur Tickets verkauft und Fahrpläne anzeigt, sondern auch still und heimlich die digitalen Fäden spinnt, mit denen wir kontrolliert werden. Tracker.
Die Deutsche Bahn drängt darauf, dass alle die App »DB Navigator« nutzen. Die schnüffelt ihre Nutzer.innen allerdings aus und gibt eine Menge Daten über sie weiter. Der Trick: Die Bahn deklariert alle Tracker, die sie unbedingt haben will, einfach als »erforderlich«. Bei der neuen Version der App sind es insgesamt sechs Unternehmen – unter anderem Adobe und Google –, deren Mitwirkung laut Bahn angeblich zwingend erforderlich ist und an die deshalb Daten abfließen. Ohne dass die Bahn Ihren Kund.innen eine Möglichkeit einräumt, das abzuschalten. Technisch sind diese Tracker aber kein bisschen »notwendig«.
Vor zwei Jahren – 2022 – hat Digitalcourage die Deutsche Bahn wegen dieser nicht abwählbaren Tracker verklagt. Sie haben sicher davon gehört. Zusammen mit dem Blogger und Sicherheitsexperten Mike Kuketz und mit Unterstützung des Rechtsanwalts Peter Hense warten wir seit nunmehr zwei Jahren auf einen Termin für eine Verhandlung.
Wir haben jetzt einige Mosaiksteinchen zusammengelegt. Da sind noch viele Lücken, die den Rahmen dieser Laudatio sprengen würden. Aber wir können im Mosaik bereits ein Muster erkennen.
Diejenigen, deren Zug tatsächlich fährt, werden von freundlichen Zugbegleiter.innen kontrolliert. Diese haben ein Smartphone, mit dem sie die Ticketkontrolle durchführen. Installiert ist darauf eine App, die eine Kontrollhistorie anlegt – wodurch der Reiseweg jedes Fahrgastes nachverfolgbar wird.
Der Name dieser App ist übrigens: Mosaik.
Wir würden diesem Mosaik gerne ein eigenes Muster geben: Umweltfreundlich, datenschutzfreundlich. Eine Bahn, die die Bedürfnisse und das Wohlgefühl der Reisenden ernst nimmt. Zu diesem »datenschutzfreundlich« und »Wohlgefühl« gehört auch, anonym und unüberwacht mit der Bahn reisen zu können.
Warum die Möglichkeit, sich unerkannt in unserem Land frei bewegen zu können, wichtig ist? Weil wir als Bürgerinnen und Bürger an allererster Stelle der Souverän dieses Staates sind und nicht Mobilitätsverschiebemasse, Verdachtsfall oder Marketingobjekt. Deshalb wollen wir uns frei bewegen können. Auch mit und gerade mit der Bahn.