Angesichts der Klima-Katastrophe: Es ist allerhöchste Eisenbahn!

Rasender Stillstand

Dieser Beitrag vertieft die auf der Kundgebung vor dem Hauptbahnhof und bei der abschließenden Podiumsdiskussion vorgetragenen Thesen, dass die deutsche, europäische und internationale Klimapolitik ungenügend und das Emissions-Restbudget der Menschheit weitestgehend aufgebraucht ist.2 Hiermit wird das Anliegen der Gegner von Stuttgart 21 unterstrichen, dass Großbauprojekte wie der geplante bauemissions- und betonintensive Megabahnhof mit einem Zement- und Stahlverbrauch von rund zwei Millionen Tonnen, zahlreichen nachgereichten Tunneln und explodierenden Kosten bereits vor Fertigstellung ein museales Mahnmal einer seit Jahrzehnten mangelhaften Verkehrspolitik ist. In Deutschland sind seit 1990 die CO2-Emissionen des Verkehrssektors im Unterschied zu allen anderen Sektoren nicht gesunken.

Auch im Kleinen, an meinem Wohnort Wetzlar, führt die verkehrte Verkehrspolitik im doppelten Sinn zu rasendem Stillstand. Zweitens kommt man dennoch kaum voran, was auch für Autofahrten auf verstopften Autobahnen gilt. Komme ich von der Uni Siegen mit dem Zug, sehe ich den Bus gerade abfahren und warte 30 Minuten. Der neu eingeführte IC ist oft verspätet. Ein halbes Dutzend neuer Parkhäuser werden gebaut, aber trotz Hessentag vor einigen Jahren gibt es am Bahnhof kaum Parkmöglichkeiten. Solche Gegebenheiten sind keine Ausreißer. Auf der Klimabahn-Konferenz war es in den Pausen ein beliebtes Thema, wer mit wie vielen Stunden Verspätung in Stuttgart eintraf, und allgemeiner Eindruck, dass sich die Verspätungen, Zugausfälle und dergleichen jüngst deutlich verschlimmerten. Angesichts des völlig fehlgeleiteten Fahrplans deutscher Verkehrspolitik – Schlendrian und Größenwahn statt Bürger-Bahn – verwundert es kaum, dass der Bestand der deutschen PKW allein von 2021 bis 2022 um rund 350.000 stieg und einen neuen Höchststand erreichte.

Der deutsche Politikbetrieb kann sich nicht einmal zu einem Tempolimit durchringen, obwohl selbst die Internationale Energieagentur in ihrem ansprechenden Zehn-Punkte-Plan zur Senkung des Ölverbrauchs unter anderem als Maßnahme vorschlägt, die Fahrerlaubnis von Tag zu Tag wechselweise an gerade und ungerade endende Nummernschilder zu binden.3

Ein solcher Vorschlag ist in Deutschland Tabu. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Vertrauen vor allem junger Menschen in den Politikbetrieb der Regierungsparteien auf einem Tiefpunkt angekommen ist. Zwar will der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister mit seinem „Osterpaket“ bis 2030 für gut 80 Prozent Ökostrom sorgen. Dieses Ziel ist ehrenwert, aber wohl ziemlich unrealistisch. Allein das Stahlwerk von ThyssenKrupp in Duisburg würde für grünen Wasserstoff als Ersatz für Kohle und Gas 3500 Windräder bester Qualität erfordern.

Point Zero: Das Restbudget ist aufgebraucht

Zur Beurteilung der nicht nur deutschen Verkehrspolitik und zur Ableitung der erforderlichen Maßnahmen ist eine klimapolitische Ortsbestimmung erforderlich. Laut dem 6. Hauptbericht des Weltklimarates (IPCC) hatte die Menschheit ab 2020 noch ein Kohlenstoff-Restbudget von etwa 300 Gigatonnen zur Einhaltung von 1,5 Grad Erderwärmung zur Verfügung (1 Gigatonne = 1 Milliarde Tonnen).4 Ab 2022 sind es noch 230 Gigatonnen. Diese Zahlen beziehen sich nur auf CO2. Andere Treibhausgase wie Methan kommen hinzu und sorgen pro Jahr für Emissionen von über 50 Gigatonnen. Teilen wir das Restbudget für CO2 auf die momentane Weltbevölkerung von 7,96 Milliarden auf, so kommen wir auf 28,8 Tonnen pro Kopf bis zur weltweit nötigen Klimaneutralität! Selbst ohne Berücksichtigung berechtigter Aufholprozesse des globalen Südens und des steten Wachstums der Weltbevölkerung ist dieses Ziel im Rahmen der geltenden wachstumsorientierten Institutionen und marktwirtschaftlichen Spieregeln, ganz zu schweigen von der zögerlichen Verkehrspolitik, völlig unrealistisch.

Für das veranschlagte CO2-Restbudget wird eine „Unsicherheit“ von plus/minus 240 Milliarden Tonnen hinsichtlich der tatsächlichen Emissionen seit 1850 angenommen. Das bedeutet: Im ungünstigen Fall haben wir bereits heute das gesamte Restbudget ausgeschöpft, ohne hier nicht näher zu erklärende Faktoren wie Selbstverstärkereffekte, Kipppunkte oder Aerosoleffekte einbezogen zu haben. Vor kurzem teilte die Weltwetterorganisation mit, dass bereits in wenigen Jahren mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein weltweiter Temperaturanstieg um 1,5 Grad überschritten sein wird. Nur über Land ohne Ozeane gemessen, sei das laut IPCC bereits heute der Fall.

Tatsächlich können wir nach bestem wissenschaftlichem Wissen des IPCC, der zu gesicherten und damit eher konservativen Prognosen neigt, mit einer nicht unbeträchtlichen Wahrscheinlichkeit in eine Situation geraten, die die Erde weitgehend unbewohnbar macht. Bei einer Verdoppelung der Emissionen von 280 ppm (parts per million, bezogen auf die Moleküle in der Atmosphäre) in vorindustrieller Zeit auf 560 ppm wird eine Erwärmung von 2,5 bis 4 Grad angenommen (die so genannte Klimasensitivität). Heute liegen wir bei 420 ppm. Für 1,9 Grad stehen laut IPCC noch 1000 Gigatonnen zur Verfügung. Eine Gigatonne entspricht 0,128 ppm, 1000 entsprechen demnach 128 ppm; 420 derzeitige und 128 ppm ergibt 548 ppm. Das liegt nahe am Verdoppelungswert von 560 ppm. Daraus folgt aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung des IPCC außerhalb des „sehr wahrscheinlichen“ Bereichs, dass mit 17-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Erderwärmung über vier bis fünf Grad und mit 5-prozentiger Wahrscheinlichkeit über fünf bis sechs Grad liegen wird. Insbesondere diese hohen Werte können zu einem Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation führen.5

Die unverbindlichen Angaben der Länder beim Pariser Abkommen laufen auf wahrscheinlich drei Grad hinaus. Dem Bericht des IPCC ist zu entnehmen, dass sich bei drei Grad wesentliche, für das Weltklima bedeutsame Kreisläufe, der Zustand der Regenwälder, das Auftauen des Permafrosts, der Verlust an Biodiversität usw. im dunkelroten Bereich befinden. Tatsächlich sind wir wohl die letzte Generation, die die Klimakatastrophe noch in gewissen Grenzen halten kann.

Es grünt so grün in der EU?

Aber werden nicht erhebliche Schritte unternommen, um dem Einhalt zu gebieten? Die Bilanz sieht auf EU-Ebene nicht gut aus, obwohl die Schraube angezogen wird. Mit dem „Fit for 55“-Programm vom Juli 2021 sollen zwar die Emissionen nicht mehr um 40 Prozent im Vergleich zu 1990, sondern um 55 Prozent sinken, und die EU-Kommission schlug ein Bündel von Bepreisungen, Zielvorgaben und Vorschriften vor, das mehrere tausend Seiten umfasst.6 Rechnet man einmal nach, worauf diese, ohnehin der Verwässerung durch einzelne Mitgliedsländer ausgesetzten Vorschläge hinauslaufen, so ergeben sich 37 Gigatonnen bis 2030. Bis 2050, dem Jahr der angezielten „Klimaneutralität“, werden sich die Emissionen auf insgesamt 60 Gigatonnen belaufen. Unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl in der EU stünden nach obiger Rechnung nur 15 Gigatonnen Restbudget zur Verfügung. Derartige Berechnungen und den Vergleich zum Emissionsrestbudget über die Jahre stellt die EU – wie auch die deutsche Bundesregierung – nicht an. Stattdessen werden nur die Minderungsprozente in den Vordergrund gerückt. Für die Erderwärmung sind aber die kumulierten, absoluten Emissionswerte entscheidend.

Generell fehlt bei „Fit for 55“ Phantasie, Mut und Inspiration für beherzte, klimafreundliche Megaprojekte, sei es alternatives Fliegen mit Heliumzeppelinen, ein deutlich erweitertes, europäisches, vernetztes Bahnsystem, das innereuropäische Flüge überflüssig macht, und vieles mehr. Es würde zu weit führen, den umfassenden Maßnahmenkatalog hier vorzustellen. Es soll nur auf zwei Schwachstellen im Verkehrsbereich hingewiesen werden: Laut Vorschlag sollen in der EU zwar zukünftig auch der Flug- und Schifffahrtsverkehr in den europäischen Emissionshandel einbezogen werden, aber entgegen dem ursprünglichen Plan unterliegen nicht rein innereuropäische Flüge (z.B. Amsterdam – New York) und Schifffahrten (z.B. Shanghai – Hamburg) verwässernden Sonderreglungen. Bei solchen Flügen soll nur das über das Jahr 2019 hinausgehende weltweite Flugaufkommen durch sehr billige, an sich problematische freiwillige Kompensationsgutschriften, etwa Subventionierung eines Treckingpfades in Tibet oder eines Windrades in Indien, ausgeglichen werden. So steht der weiteren exponentiellen Expansion billigen Fliegens nichts im Wege. Die entsprechenden Schifffahrten sollen nur zu 50 Prozent durch Verschmutzungszertifikate ausgeglichen werden, gerechnet vom letzten Hafen, bei dem vor EU-Eintritt geankert wurde oder der nach EU-Ausfahrt als erstes angesteuert wird.

Wird wenigstens dank deutschem Wesen das Klima genesen?

Auch die deutsche Klimapolitik ist angesichts der Zahlen zum Restbudget trotz vielfältiger Initiativen mangelhaft. Bei einem Prozent der Weltbevölkerung bleiben für Deutschland laut obiger Berechnung des IPCC 2,3 Gigatonnen, also 2,3 Milliarden Tonnen. Da in Deutschland derzeit jährlich etwas unter 750 Millionen Tonnen Emissionen anfallen, ist bei einer gleichen Verteilung des Emissionsbudgets auf die momentane Weltbevölkerung nur noch ein Emissionsbudget für drei bis vier Jahre übrig. Die deutsche Politik plant aber, erst 2045 klimaneutral zu sein. Das ist 20 Jahre zu spät! Ganz grundsätzlich steht in Frage, ob das Ziel der Klimaneutralität in einer wie geplant weiterhin stark industrialisierten Wirtschaft überhaupt realistisch ist.

Das dank Bundesverfassungsgericht nachgeschärfte deutsche Klimaschutzgesetz läuft jedenfalls auf 7,9 Milliarden Tonnen bis 2045 hinaus. Das liegt deutlich über den erwähnten 2,3 Milliarden Tonnen. Und dabei verfehlt Deutschland die vorgeschriebenen Jahresziele der einzelnen Sektoren 2021 noch und wird dies auch in den Folgejahren tun. Der Ukraine-Krieg verschärft die Zielverfehlung. Atomkraft, Bohrungen nach Öl und Gas im Nationalpark Wattenmeer, LNG-Terminals für Fracking-Gas aus den USA, Fracking in Deutschland, eine Verschiebung des Kohleausstiegs werden in Betracht gezogen: Hauptsache keine Drosselung des Wachstums und des Auto-, Schiffs- und Flugverkehrs.

Ein Schlaglicht war der Sonderbericht des deutschen Bundesrechnungshofs vom 25. März, der die bisherige deutsche Klimapolitik als weitgehend wirkungslos kritisierte.7 Die Koordinierung und Steuerung der Maßnahmen seien mangelhaft. Statt angezielter 65-prozentiger Treibhausgasminderung bis 2030, erreiche man bestenfalls 49 Prozent. Die klimaschädlichen Subventionen beliefen sich laut Bericht 2018 auf 65 Milliarden Euro. Am gleichen Tag senkte die Ampelkoalition die Spritpreise durch die Minderung der Energiesteuer auf Kraftstoffe auf den in der EU zulässigen Mindestsatz. Ministeriumsbeamte, die sich meist nicht öffentlichkeitswirksam bemerkbar machen, monierten kurz darauf, der „Bedarfsplan Schiene“ sei dramatisch unterfinanziert, viele startklare Vorhaben aufgeschoben, „on hold“, der Deutschlandtakt unmöglich.

Der Blütentraum des Ökomodernismus

Die grundlegende Schwäche der vorherrschenden Umwelt- und Klimapolitik besteht in der Illusion des Ökomodernismus, nämlich der Vorstellung, Wirtschaftswachstum von steigendem Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen absolut entkoppeln zu können. Tatsächlich fand auf Weltebene zwischen 2009 und 2019 eine Energieexpansion und keine Energiewende statt, da der Anteil fossiler Energien nach wie vor konstant bei über 80 Prozent liegt. Der Ökomodernismus ist Ausdruck der Konkurrenz- und Gewinnwirtschaft, des Wachstums, Konsums, der Beschleunigung und Landnahme. Marktwirtschaftliche Wirtschaftssysteme haben eine systemimmanente Steigerungsdynamik, die ihr vor der Umweltkrise von ihren Befürwortern auch immer zugutegehalten wurde. Es besteht mittlerweile aber ein prinzipieller Widerspruch zu den natürlichen Kreisläufen des Erdsystems.8 Das politische Narrativ des Ökomodernismus verschleiert dieses grundlegende Systemproblem. Es verdankt sich auch der strukturellen Abhängigkeit des Steuer- und Wettbewerbsstaates, der eine „Zweckgemeinschaft“ mit den Inhabern ökonomischer Macht eingehen muss, um Steuern zu generieren und sich bei der Finanzwirtschaft verschulden zu können. Obwohl alles geschöpfte Geld letztlich von der staatlichen Institution der Zentralbank abhängt, die keiner natürlichen Knappheit bei der Geldemission unterliegt. Sie könnte nach einer Reform des institutionellen Gefüges ökosoziale Arbeitsplätze auch ohne wachstumsabhängige Steuereinnahmen direkt finanzieren.9 So könnten auch die in der Autoindustrie anfallenden Arbeitslosen aufgefangen werden, wenn eine konsequente ÖPNV-Politik betrieben würde.

Doch zurück zur Gegenwart. Da angesichts früherer Versäumnisse der rasche Umstieg auf regenerative Energie nicht möglich ist und man nicht vom Wachstumskurs abzuweichen gedenkt, sucht der grüne Wirtschafts- und Klimaminister in aller Welt nach Ersatzlieferanten (Steinkohle aus Kasachstan, Bau von Terminals für Fracking-Gas aus den USA, Öl, Gas aus Katar usw.). Angesichts der Uiguren-Problematik rückt die lange latente, jetzt offenkundige Frage in den Vordergrund: Muss China erst Taiwan überfallen, bis auffällt, dass dieses Land Uiguren unterdrückt, Hongkong stranguliert und vieles mehr? Die Batterien von E-Autos stammen zu 50 Prozent aus China, dem Land mit den auch für die Produktion dieser Batterien benötigten 1000 Kohlekraftwerken. Das weltweite wachstumsorientierte, globalisierte Weltwirschaftssystem steht in seiner heutigen, mit stets steigenden Emissionen und engen Beziehungen zu Autokratien einhergehenden Ausprägung zur Disposition. Der Ökomodernismus dient als Narrativ, diesem Grundwiderspruch aus dem Weg zu gehen.

E-Mobilität: Ein Ausweg aus der systemimmanenten Steigerungsdynamik?

Ein Beispiel für die Philosophie und Praxis des Ökomodernismus ist die in Deutschland und in der EU mit Milliarden Euro geförderte E-Mobilität, die unmissverständlich aus der vorgeschlagenen EU-Regulierung hervorgeht: „Die Automobilindustrie ist für die EU-Wirtschaft von zentraler Bedeutung … Sie schafft Arbeitsplätze … Die EU gehört zu den weltweit größten Herstellern von Kraftfahrzeugen und ist in diesem Sektor technologisch führend … Das Ziel sollte darin bestehen, den Automobilsektor in die Lage zu versetzen, seine Führungsrolle bei den Technologien der Zukunft fortzusetzen und auszubauen, insbesondere angesichts des internationalen Wettbewerbs.“10 Auf Deutschlands Straßen gab es nie zuvor so viele PKW und LKW, Autobahnen werden weiter ausgebaut.11 Das entspricht den Zielen der EU.

Vergleichbare emphatische Äußerungen zur (Klima)Bahn sucht man vergebens im Programm der EU-Kommission. Neben allerlei Maßnahmen steht stattdessen das Aus für Verbrenner im Jahr 2035 als Ausdruck des Ökomodernismus weit oben auf der EU-Agenda.

Tatsache ist: Da der Grünstrom durch Unterlassungssünden in der Vergangenheit nicht nur in Deutschland sehr begrenzt ist und die Nachfrage bei weitem nicht decken kann, wird jeder zusätzliche Strombedarf wie der der E-Mobile noch lange durch Kohle gedeckt werden.12

Hinzu kommt: Die deutschen Automobilkonzerne produzieren laut ihren eigenen Nachhaltigkeitsberichten mit jeweils über 100 Millionen Tonnen CO2 weltweit so viele PKW (Vans und LKW noch gar nicht eingerechnet), dass deren jährliche Emissionen – über ihren Lebenszyklus (Herstellung, zehn Jahre im Fahrbetrieb, Entsorgung) gerechnet – denen ganz Deutschlands in einem Jahr entsprechen. Laut Nachhaltigkeitsbericht von Mercedes verbrauchen die PKW der Marke durchschnittlich über den Lebenszyklus 50 Tonnen CO2, dem Doppelten des oben errechneten persönlichen Restbudgets von 28 Tonnen. Nur nebenbei sei auf die mit dem Autoverkehr einhergehenden Toten (2019: 29.000 in der EU), über 300.000 Verletzte pro Jahr in Deutschland, Staus, Lärm, Feinstaub, Flächenverbrauch und die Zerstörung von Urbanität hingewiesen.

Über zwei bis drei Tonnen schwere E-Autos, die mit 0 Emissionen bei den Flottengrenzwerten eingehen, bringen den Autokonzernen prächtige Dividenden, und der Steuerzahler soll durch EU-Recht genötigt werden, die Ladesäulen für sie zu finanzieren. Bei den üblichen Tankstellen kam niemand auf die Idee, diese durch die öffentliche Hand finanzieren zu lassen. Auf die Frage, ob Umweltzerstörungen aus dem Weltall zu sehen seien, berichtet ein deutscher Astronaut, dass dem so sei. Wenn man über Südamerika fliege, könne man die ausgetrockneten Salzseen klar erkennen, was auf den Abbau des Lithiums zurückzuführen ist.

Millionen Tonnen Gestein werden auch für „regenerative“ Energien wie Windräder und Photovoltaik im globalen Süden abgebaut, damit man im Norden mit gutem grünem Gewissen weiter auf hohem Ross leben kann. Die durch E-Mobilität freiwerdenden Gebrauchtwagen landen in Ländern wie Bulgarien und Nigeria, in denen zuerst der Kat ausgebaut wird, der separat mehr Geld einspielt, und wo sie dann noch meist 100.000 Kilometer oder mehr gefahren werden. Sofia gilt als die am stärksten luftverschmutzte Hauptstadt Europas, nicht zuletzt dank der deutschen Gebrauchtwagen. In Bulgarien ist der Kat-Ausbau verboten, das interessiert aber niemanden.

Fit for Future mit Klimabahn statt Klimawahn

Die vorgestellte Analyse stimmt mit der Einschätzung renommierter Klimaforscher überein. Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, gab im Interview mit der Süddeutschen Zeitung im April zu bedenken: Erstens, die „Welt müsste den Rückwärtsgang einlegen und mit Höchtgeschwindigkeit in die andere Richtung fahren. Denn es ist nicht so, dass die Richtung stimmt und nur das Tempo nicht. Wir fahren in die falsche Richtung“. Latif sieht zweitens momentan auch nicht die Erreichbarkeit des Zwei-Grad-Ziels. Es handele sich um einen Etikettenschwindel, da die entsprechenden Szenarien erhebliche sogenannte negative Emissionen, also CO2-Entnahmen aus der Atmosphäre und Ablagerungen unterstellen. Drittens sieht auch er kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Viertens sei es einfach so, dass die Emissionen weltweit immer weiter steigen. Echter Klimaschutz läge erst dann vor, wenn sie sinken.

Was folgt aus diesen Überlegungen? Ganz allgemein bedarf es einer drastischen Einschränkung unseres Ressourcenbrauchs um 70 bis 80 Prozent.13 Nur mit ihr kann nach den bisherigen Erfahrungen eine wesentliche Minderung der Treibhausgase einhergehen. Dies geht wohl nur mit einer Postwachstumsökonomie. Ein Sinken der Emissionen gab es weltweit immer nur dann, wenn das weltweite BIP sank. Für den Verkehrsbereich bedeutet dies eine zielgerichtete Reduktion des Auto-, Schiffs- und Flugverkehrs. So könnte zum Beispiel 30 Prozent der für Autos kostenlos zur Verfügung stehenden Fläche für den innerstädtischen Radverkehr vorgesehen werden, der Ausbau des ÖPNV müsste vorrangig sein, gute Zugverbindungen wären erforderlich. Tempolimits (30/80/120), ein gezielter Straßenrückbau, die von der EU festlegbare obligatorische Förderung von Carsharing (wenn man etwas transportieren muss) und womöglich kostenlose Sammeltaxis (Vorbild Türkei) könnten dazu beitragen, um den PKW-Verkehr entbehrlich zu machen. Noch notwendige PKW könnten als E-Mobile unterwegs sein. Die Autokonzerne müssten aber für den nötigen Grünstrom sorgen, etwa durch zusätzliche Solarparks, die von ihnen initiiert und finanziert werden.

Angesichts der Zahlen des IPCC und der unübersehbaren Umweltschäden dürften prinzipiell keine PKW mehr für den privaten Gebrauch zugelassen werden. Eine nach den Vorstellungen der Experten und Engagierten im Bündnis gegen Stuttgart 21 auszugestaltende „Klima-Bahn“ mit Schweizer-Taktung und japanischer Pünktlichkeit ist ein absolut notwendiges, unverzichtbares wohlstands- und glückförderndes zentrales Element zur Verhinderung der totalen Klimakatastrophe.

Bis hin zur Partei Die Grünen liegt abgesehen von grünfärberischen Verlautbarungen nicht der Schwerpunkt auf den hier angesprochenen Forderungen. Die offizielle Politik ist nicht mit dem nötigen Nachdruck bereit, den Pfad klimapolitischer Vernunft einzuschlagen. Umso wichtiger ist das angesichts von über 600 Demonstrationen nicht nachlassende, tatsächlich nachhaltige Engagement aus der kritischen Zivilgesellschaft.

Anmerkungen:

1Wiktionary erläutert: Die Wendung kam ca. 1920 in Berlin auf, nachdem der dort lebende Satiriker, Humorist und Autor Adolf Glaßbrenner 1847 das Theaterstück „Ein Heiratsantrag in der Niederwallstraße“ verfasst hatte, wo der zukünftige Schwiegersohn bei Familie Kleisich zu Besuch ist, dann überstürzt aufbricht und als Erklärung hierfür angibt: „Es ist die allerhöchste Eisenbahn, die Zeit is schon vor drei Stunden anjekommen.“ (https://de.wiktionary.org/wiki/es_ist_h%C3%B6chste_Eisenbahn). Siehe auch detailliert Christoph Gutknecht: Von Treppenwitz bis Sauregurkenzeit. C.H. Beck. München, 2008. S. 82-90.

2 Zu den entsprechenden Details und Literaturquellen des Folgenden siehe H. Peukert, „Klimaneutralität jetzt!“ (2021) und „Klimaneutralität jetzt! Update 2022“ (2022).

3 https://www.cnbc.com/2022/03/18/reduce-speed-limits-car-free-sundays-ieas-plan-to-cut-oil-use.html.

4 IPCC. 6. Hauptbericht. Climate change 2021: The physical science basis. Arbeitsgruppe I. Full report. 2021. https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/downloads/report/IPCC_AR6_WGI_Full_Report.pdf

5 Siehe das Schaubild im IPCC-Bericht (2021, Fußnote 4) auf Seite I-94.

6 https://www.consilium.europa.eu/en/policies/green-deal/fit-for-55-the-eu-plan-for-a-green-transition/

7 https://www.bundesrechnungshof.de/de/veroeffentlichungen/produkte/sonderberichte/2022-sonderberichte/bund-muss-beim-klimaschutz-zielgerichtet-steuern/@@download/langfassung_pdf

8 M. M. Becker, Klima, Chaos, Kapital. PapyRossa, 2021.

9 K. Karwat, Schuldenfreies Geld. Metropolis, 2021.

10 Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL amending Regulation (EU) 2019/631 as regards strengthening the CO2 emission performance standards for new passenger cars and new light commercial vehicles in line with the Union’s increased climate ambition (COM (2021) 556 final), S. 1. Unsere Übersetzung.

11 W. Wolf, Mit dem Elektroauto in die Sackgasse. Promedia, 2019.

12 K. Ruhsert, Der Elektroauto-Schwindel. BoD (Noderstadt), 2020.

13 B. Kern, Das Märchen vom grünen Wachstum. Rotpunktverlag, 2019.

Über Helge Peukert

ist Dr. Dr., Prof. an der Forschungsstelle Plurale Ökonomik in Siegen. Neben Ansätzen der heterodoxen Ökonomie, der Wissenschaftstheorie und der Ökonomie des öffentlichen Sektors befasst er sich mit den Finanzmärkten und den Grenzen des Wachstums. In „Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise“ (5. Aufl. 2013) und „Das Moneyfest“ (3. Aufl. 2017) hat er die Finanzkrise untersucht. In „Mikroökonomische Lehrbücher“ und „Makroökonomische Lehrbücher“ (2018) hat er die vorherrschenden Lehrbücher der VWL analysiert. Seine letzten Bücher sind „Klimaneutralität jetzt!“ (2021) und „Klimaneutralität jetzt! Update 2022“ (2022). Er ist u.a. Mitglied von Scientist Rebellion und tritt häufiger in der Öffentlichkeit als gesellschaftskritischer Sozialwissenschaftler auf.

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