Dieser Text ist wegen seiner Länge in sechs Beiträge aufgeteilt, die in den nächsten Wochen jeweils am Dienstag und Freitag publiziert werden.
Vorbemerkung zum Erfahrungshintergrund:
Ich verfüge über mehrfache, schmerzliche Erfahrungen mit der fatalen Logik von Großprojekten.
Großprojekt Hochgeschwindigkeits-Neubaustrecke Würzburg – Hannover
Es begann im Vorfeld der Hochgeschwindigkeitsplanungen für das deutsche Bahnnetz noch zu Zeiten der deutschen Teilung. Seinerzeit waren im Auftrag des Raumordnungsministeriums des Bundes in der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung Alternativuntersuchungen zu der von der Deutschen Bundesbahn vorgesehenen ersten »Bolzstrecke« Würzburg – Hannover angestellt worden. Ziel der Untersuchungen war, den Investitionsaufwand gegenüber der Maximalplanung zu verringern, die Erschließungswirkung und damit den Verkehrswert durch die Anbindung von mehr Regionen und Mittelzentren zu steigern und auf diese Weise zu einer insgesamt größeren Nachfragebindung für die Schiene zu kommen. Die daraus ableitbare Strategie war klar: Man musste den Neubauaufwand minimieren auf die Teilabschnitte, wo die vorhandene Hauptstrecke zu umwegig, zu kurven- und steigungsreich und zu wenig leistungsfähig war. Ansonsten musste man möglichst viele Teile der vorhandenen Hauptstrecken mit einfachen Mitteln ertüchtigen und die Zahl und Länge der Tunnels und Brücken auf ein vertretbares Maß verringern. Die Ergebnisse waren beachtlich, aber politisch äußerst unliebsam. Sie kamen sogleich in den »Giftschrank«, die Autoren bekamen einen Maulkorb verpasst, und die Maximaltrasse musste so schnell wie möglich forciert werden und wurde dann auch, mit den üblichen gigantischen Kostensteigerungen und Monopolisierungseffekten für das sonstige Bahnnetz, gebaut, als erste von mehreren »Bolzstrecken«.
Viel hat sich bei den Neubau- und Ausbauplanungen der Bahn bis heute nicht geändert. Auch bei der sogenannten »Thüringerwald-U-Bahn«, der ICE-Neubautrasse Nürnberg – Erfurt, nahm die offizielle Planung wieder wenig Rücksicht auf Kosten, Relief und Erschließungswirkung, sondern folgte dem »dicken Lineal«. Auch hier gab es, mit ähnlicher Logik wie seinerzeit bei der Alternativplanung der BfLR für Hannover – Würzburg, eine sehr bemerkenswerte Alternativ-Planung des Münchener Büros Vieregg-Rössler. Dieses Konzept hätte die Regionen besser angebunden, die Kosten beträchtlich vermindert und die Fahrgastzahlen gesteigert. Und trotzdem war es politisch weder bei der Bahn noch bei der Landes- und Bundesverkehrspolitik genehm.
Großprojekte Tunnel bei Stadt-Bahn und Hauptverkehrsstraßen
Meine einschlägigen Erfahrungen mit Großprojekten wurden dann fortgesetzt in der nordrhein-westfälischen Verkehrspolitik in den Jahren 1985-1995 mit zahleichen sündhaft teuren Großprojekten des Tunnelbaus beim Ausbau der Stadtbahnen und des innerstädtischen Hauptverkehrsstraßennetzes. Der damalige Verkehrs- und Städtebauminister Christoph Zöpel hatte mich wegen meiner kritischen Artikel über Tunnelprojekte im Verkehr in sein Verkehrs- und Bauministerium geholt. Er sah sich seinerzeit mit langen Wunschlisten sündhaft teurer Straßentunnel- und U-Bahntunnelprojekte konfrontiert und suchte nach einem sinnvollen Weg einer Trendkorrektur weg von solchen Großprojekten. Es kam zu einer kritischen Überprüfung aller Tunnelprojekte.
Allerdings baute sich dadurch ein so hoher politischer Druck auf, dass weder bei den Straßentunneln noch bei den U-Bahn- und Stadtbahntunneln der eigentlich geplante und fachlich gut begründete Tunnelbaustopp mit einem Umschwenken auf sehr viel preiswertere, stärker netz- und systemwirksame oberirdische Projekte gelang. Die meisten Städte waren planerisch wie politisch derart massiv auf ihre Großprojekte fixiert, dass sie sich einem Kurswechsel vehement verweigerten. Die Alternativen eines viel schnelleren und dichteren Netzausbaus ihrer kommunalen Straßenbahnen und eines umfangreichen Programms zur besseren städtebaulichen Integration ihrer hoch belasteten Hauptverkehrsstraßen durch Allee- und Boulevardgestaltung lehnten sie ab. Ein typisches Beispiel ist die Nord-Süd-U-Bahn in Köln. Auch hier wurde die oberirdische Variante, die man hervorragend mit einem Rückbau der Nord-Süd-Fahrt, einem schlimmen Straßendurchbruch der 1950er Jahre, hätte kombinieren können, politisch verworfen. Stattdessen musste es das Großprojekt U-Bahn sein, das mit seinen extremen Kostensteigerungen und Verzögerungen in der Folge den Spielraum für weitere kommunale Schienenprojekte in NRW drastisch beschnitt – ganz zu schweigen vom Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009 durch »Pfusch am Bau« in 25 Metern Tiefe.
Für Köln und Düsseldorf war zum Beispiel angedacht, anstelle der zwei extrem teuren, kurzen Rheinufertunnel das gesamte städtische Hauptverkehrsstraßennetz (jeweils etwa 100 km in Köln und in Düsseldorf) umzugestalten, mit einem viel größeren Breiteneffekt für die städtebauliche Aufwertung, die Umweltqualität, die Verkehrssicherheit und die Verkehrsentwicklung. An den betroffenen Rheinuferabschnitten wären nach dem Prinzip Shared Space modellhafte Hauptverkehrsstraßen mit hoher Umfeld- und Aufenthaltsqualität entstanden, nur langsam und auf Schmalfahrspuren mit Kfz befahrbar, mit sehr breiten Geh- und Radfahrpromenaden unter dichtem Baumbestand. Stattdessen entschied sich die Politik in beiden Städten für die kurzen Tunnel, wodurch der Rest des Hauptverkehrsstraßennetzes weiter unter extremem Problemdruck leidet – und die Politik gibt sich demgegenüber weitgehend hilflos.
Ähnliche Tunnelprojekte gab es auch in zahlreichen kleineren Städten. Und immer wurde der mehr bestandsorientierte, schnell umsetzbare und preiswerte Lösungsweg verworfen zugunsten des teuren und langwierigen Tunnelprojekts. Auch in einigen Mittel- und Kleinstädten gab und gibt es ähnliche Tunnelpläne.
Die systematische und konsequente Sanierung städtischer Hauptverkehrsstraßen mit stadtgestalterisch und verkehrlich hochwirksamen Umbauten dagegen wurde nicht vorangetrieben. Für Köln und Düsseldorf hätte das bedeutet, statt der beiden kurzen Rheinufertunnel pro Stadt etwa 100 km hochbelastete Hauptverkehrsstraßen in ein ehrgeiziges Programm zur städtebaulichen Integration und Verkehrsberuhigung einzubeziehen, sie zu Boulevards und Alleen mit intensiver Aufenthaltsfunktion, hoher Qualität für Fußgänger und Radfahrer sowie gestalterisch integrierten ÖPNV-Achsen umzubauen. Natürlich wären dann auch die betroffenen Rheinuferstraßen erheblich aufgewertet worden. Im ÖPNV sollte gemäß der Planung der Stopp der Tunnelprojekte zu einer Renaissance der Straßenbahn führen. Die in vielen Städten für die Verkehrsentwicklung und die städtischen Haushalte wenig vorteilhafte »Tunnelitis« sollte zu Gunsten eines schnellen, gesamtstädtischen Netzausbaus umgestellt werden. Vorbild sollte die Renaissance der französischen Straßensysteme sein, die dort in vielen Großstädten innerhalb von nur 15 Jahren zu beachtlichen verkehrlichen und städtebaulichen Erfolgen geführt hatte und die inzwischen weltweit als vorbildlich gilt, auch wegen der optimalen Integration von Stadt- und Verkehrsentwicklung, wegen der erfolgreichen Aufwertung der betroffenen Straßenräume und wegen der beachtlichen Zuwachsraten für die kommunalen ÖPNV-Systeme. In Nordrhein- Westfalen dagegen haben sich trotz der milliardenschweren Investitionen in die vielen Tunnel die Verkehrsmärkte weiter negativ entwickelt und die Stadtentwicklung nicht die erhofften Impulse erfahren. Nirgendwo in Europa wurde in diesen Jahren so viel in den ÖPNV investiert, mit so geringem Netzeffekt und nirgendwo wurde damit so wenig erreicht. Maximale Investitionen, minimale ÖPNV-Anteile. Das muss traurig und wütend machen.
Es folgten mehrere Ministerwechsel. Die Betonorientierung in Nordrhein-Westfalen erreichte ihren Höhepunkt mit dem massiv betriebenen, am Ende dann aber doch gescheiterten Projekt »Metrorapid«. Schon Mitte der 1980er Jahre hatte ein internes Gutachten im Verkehrsministerium zur Relevanz der Transrapid-Technik für das Ruhrgebiet klar gezeigt, dass Hochgeschwindigkeit dort weder verkehrsstrukturell noch siedlungsstrukturell sinnvoll ist. Extrem hohen Kosten stehen sehr fragliche Nutzen gegenüber, es gibt viele negative Effekte für das bestehende Schienennetz. Das hinderte den späteren Ministerpräsidenten und vorherigen Verkehrsminister Clement nicht daran, nach dem Scheitern des Transrapid-Projekts Berlin-Hamburg wegen der typischen Konkurrenz unter den Bundesländern mit Blick auf die erhofften Fördermilliarden und die unterstellte »Leuchtturmwirkung« eines solchen Großprojekts erneut eine Transrapid- Planung für das Ruhrgebiet anzumelden und jahrelang mit massivem politischem Druck planerisch und publizistisch vorantreiben zu lassen. Erst sein Nachfolger als Ministerpräsident, Steinbrück, auch ein ehemaliger Verkehrsminister, hat dann in nüchtern realistischer Einschätzung der Kosten und Risiken sowie der verkehrlichen Notwendigkeiten das Projekt »beerdigt« und stattdessen durch die viel vernünftigere Variante eines weiteren, konventionellen Netzausbaus im Ruhrgebiet für einen viel dichter vertakteten und leistungsfähigeren Regionalexpress RRX ersetzen lassen. Das war dann für seinen bayrischen Kollegen Stoiber der Anlass, seinerseits das Projekt einer Transrapid-Flughafenanbindung für München zu forcieren und mit aller Macht gegen die Stadt München, die überwiegend ablehnenden Fachleute und gegen die finanzpolitischen Erfordernisse durchpeitschen zu wollen, ehe dann das Transrapidunglück im Emsland diese Option obsolet gemacht hat.
Ein weiteres symptomatisches Großprojekt nordrhein-westfälischer Prägung war das »Ufo«-Projekt in Dortmund, die geplante Bahnhofsüberbauung am Hauptbahnhof für die Aufnahme eines riesigen »Urban Entertainment Centers« am Rande der Altstadt. Auch dieses Projekt hat jahrelang Kommunalpolitik und Planer beflügelt und konnte, weil es vom Bauvolumen und Investitionsvolumen ein paar Nummern zu groß war, nicht realisiert werden. Und so dämmert der in der Tat städtebaulich desolate Hbf weiter vor sich hin, weil die dringend erforderliche, angepasste, maßstabs- und standortgerechte Umbauplanung nicht energisch betrieben wurde und das dafür eigentlich ideale Zeitfenster im Rahmen der IBA-Emscherpark – anders als bei den anderen Bahnhöfen der Köln-Mindener Eisenbahn wie zum Beispiel Oberhausen – wegen der Fixierung auf das Großprojekt verpasst wurde.
Als beklemmendes Fazit bleibt die Erkenntnis: Pharaonen müssen eben Pyramiden bauen, je höher, desto besser, Ministerpräsidenten müssen Prestigeprojekte haben, je teurer, desto besser, und Bürgermeister brauchen eben auch ihre Großprojekte, wenn sie als tolle Kerle in die Geschichtsbücher eingehen wollen.
Nächster Teil: Kritische Dimensionen von Großprojekten