rail blog 172 / Michael Jung

Statt Stilllegung der Bäderbahn in Schleswig-Holstein Ausbau zur Küstentram

Der Beschluss der schwarz-grünen schleswig-holsteinischen Landesregierung zur Stilllegung der Bäderbahn von Timmendorfer Strand nach Neustadt in Holstein im Rahmen des Neubaus der Hinterlandanbindung zur Festen Fehmarn-Belt-Querung (FFBQ) ist ein Offenbarungseid in Sachen Klimapolitik und Vekehrswende. Der Beschluss scheint aus der Zeit gefallen zu sein. vermutlich dient er nur dazu, die ohnehin marginale Wirtschaftlichkeit des Bahnstreckenneubaus von Puttgarden bis Bad Schwartau aufzubessern, in dem man zusätzliche Schienenpersonennahverkehre auf diese Strecke leitet. Gleichzeitig wird durch zusätzlichen SPNV das Bedienkonzept für die Strecke, die vorrangig dem langlaufenden schweren Güterverkehr und hochwertigen Langstreckenreiseverkehr dienen soll, kaputt gemacht.

Seit bald zwanzig Jahren wird an der FFBQ und der Erneuerung der Hinterlandanbindung herum geplant und jetzt auch gebaut, wobei die Hinterlandanbindung sich noch im Plangenehmigungsverfahren befindet. Aber seit diesen zwanzig Jahren wurde auch an der Bäderbahn nichts mehr getan, die Strecke ist zum größten Teil noch mit mechanischer Stellwerkstechnik ausgestattet. Das Bedienkonzept ist veraltet und die eingesetzten Dieseltriebwagen besonders in den nachfragestarken Sommermonaten mit starkem Urlaubs- und ach Tagesausflugsverkehr zu den schleswig-holsteinischen Seebädern zu klein. So kommt es regelmäßig, wenn viel Reisende mit Fahrrädern und großem Gepäck einsteigen, zu Abfahrtsverzögerungen, so dass diese Bahnstrecke allgemein als unpünktlich gilt. Durch den Neubau der Strecke parallel zur Autobahn A7 werden die Stationen für die Seebäder Timmendorfer Strand, Scharbeutz, Haffkrug, Sierksdorf,  Neustadt/Holst. in das Binnenland verlegt und man kann nicht mehr, wie bisher, zu Fuß vom Bahnhof an den Strand gelangen, sondern muss umständlich in irgendwelche Shuttlebusse umsteigen. Das senkt die Attraktivität der Bahn für die ohnehin unter permanenten Verkehrsstaus auf der Küstenstraße leidenden Seebäder enorm.

Fazit: Eine Modernisierung der Bäderbahn, ihrer Anlagen und des Betriebskonzepts ist unumgänglich. Der Neubau der Haltepunkte im Binnenland ist keine Alternative. Daher muss ein neues Konzept für die Bäderbahn her. Und das muss nicht zwingend ein Vollbahnkonzept sein.  Kommt die auch diskutierte Alternative „Integration der Bäderbahn in ein zu bauendes S-Bahn-Netz Lübeck nicht zum Tragen, dann könnte das Konzept Küstenstraßenbahn, für das es zum einen in Europa Vorbilder gibt, und zum anderen auch schon Vorüberlegungen in Schleswig-Holstein selber, eine zukunftsweisende Alternative zur Bewältigung der touristischen Verkehre sein.

Das Konzept der Küstentram

Die Tram mit Betriebsführung unter BOStrab startet in Travemünde am Ende der zweigleisigen elektrifizierten Strecke Hamburg Hbf. über Lübeck nach Travemünde. Am dortigen Bahnhof sind noch Gleise frei, hier könnte auch der Betriebshof für die Straßenbahn entstehen. Ein Streckenneubau entlang der Küste von Travemünde nach Timmendorfer Strand wäre erforderlich. Von dort verläuft die Küstentram auf den zu ertüchtigenden (komplett zweigleisiger Ausbau) Gleisen der jetzigen Bäderbahn. Und von Neustadt-Holst., wo auf dem Bahnhofsgelände auch noch Platz für den zweiten Betriebshof der Strecke wäre, würde die Bahn durch die Innenstadt von Neustadt weiter geführt über die große Rehaklinik und den Badeort Pelzerhaken bis nach Grömitz. Damit wären dann alle schleswig-holsteinischen Ostseebäder gut miteinander verbunden und man müsste durch zusätzliche Beschränkungen für den MIV dafür sorgen, dass der Autoverkehr, der besonders in den Sommermonaten die zwischenörtlichen Straßen regelmäßig verstopft, zurückgedrängt wird. Wenn die Gemeinderäte mutig sind, könnte man die Straßenbahngleise auch z.T. über die Boulevards laufen lassen, dass würde die Attraktion einer solchen Küstentram deutlich erhöhen.


Das Vorbild

Ein solche Küstentram in Meterspur gibt es seit bald 140 Jahren entlang der gesamten belgischen Küste von der belgisch/niederländischen Grenze bei Knokke/Heist über Blankenberge, Zeebrügge, Ostende, Nieuwpoort bis nach De Panne an der belgisch französischen Grenze. Mit einer Gesamtlänge von 67 km ist das die längste Straßenbahnlinie der Welt. Vor 40 Jahren konnten Stilllegungswünsche der Politik abgelehnt werden, seitdem wurde die Strecke grundlegend modernisiert. Sie wird von dem flämischen SPNV-Betreiber de Lijn mit modernen 48 CAF-Niederflurstraßenbahnwagen und älteren 32 BN-Hochflurfahrzeugen mit eingehängtem Niederflugmittelteil im 10 Minuten Takt, der auf der Kernstrecke von Zeebrügge bis Westende im Sommer zu einem stabilen 5-Minuten Takt (im Winter durchgängiger 20-Minutentakt) verstärkt wird, bedient. Diese Straßenbahn hat eine anspruchsvolle Linienführung, durch enge Innenstädte, wie auch durch Dünenlandschaften, direkt Wind, Flugsand und Salznebelspray ausgesetzt! Bei Sturm müssen die Gleise häufig mit Schneepflug ähnlichen Geräten von Sand befreit werden. Die Linie ist an vier Punkten mit dem belgischen Vollbahnsystem der SBCB verknüpft (Knokke, Blankenberge, Ostende und De Panne), sodass eine halbwegs gleichmäßige Befüllung der Linie sichergestellt ist. Und die Akzeptanz dieses Verkehrskonzepts ist überwältigend. Die Züge sind trotz der hohen Bedienfrequenz immer brechend voll. Parallel dazu wurde auch der Autoverkehr eingedämmt in dem in der Hochsaison der Autostellplatz im öffentlichen Raum 25 Euro/Tag kostet.

Was ist jetzt zu tun

Die Seebäderkommunen müssen sich mit dem Konzept einer Küstentram und den Chancen, die das Projekt bietet, vertraut machen. Die Kommunen müssen schnellstens die Infrastruktur der zur Stilllegung anstehenden Bäderbahn kaufen, bevor sie die Deutsche Bahn an irgendwelche Immobilienspekulanten verhökert. Die Kommunen müssen anfangen, auf Teilstrecken z.B. zwischen Travemünde und Timmendorfer Strand das Konzept zu entwickeln und schrittweise umzusetzen und Betriebserfahrungen sammeln. Dafür muss zuerst von den Kommunen eine Küstentram Entwicklungsgesellschaft gegründet werden, die alle weiteren Planungsschritte koordiniert. Für ein solches Projekt lassen sich mit Sicherheit EU-Mittel einwerben. Eine solche Küstentram würde den z.T. etwas in die Jahre gekommenen Ostseebädern in Schleswig-Holstein einen neuen Entwicklungsschub verleihen und einen Betrag dazu leisten, die Nahverkehrsinfrastruktur der Schleswig-holsteinischen Seebäder zu modernisieren und zukunftsweisend auszurichten.“

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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