Die Klimabahn und Lobbystrukturen im Verkehrssektor

Gesetze um den ständigen Geldfluss für den Bau von Fernstraßen sicherzustellen

von Hermann Knoflacher

Ausgangssituation

Man braucht kein Verkehrsexperte zu sein, um die elementaren Unterschiede zwischen den Verkehrsträgern Fußgänger, Radverkehr, Eisenbahn- und Autoverkehr zu kennen: Für den gleichen Zweck sind Boden- und Energieverbrauch von F, R und Eisenbahnen um Größenordnungen kleiner als für den Autoverkehr – und damit auch die Auswirkungen auf das Klima. Das gleiche gilt auch für die Unfall- und Tötungsrisiken.

Weniger bekannt ist der für eine verantwortungsbewusste staatliche Planung und Regelung wesentliche Unterschied zwischen dem geschlossenen System Eisenbahn mit dem kontrollierten Zugang und der weitgehend geschlossenen Verantwortungskette und dem offenen System Autoverkehr mit unkontrolliertem räumlichen Zugang und der unzusammenhängend aufgesplitterten Verantwortungskette mit laxen Kontrollsystemen und Sanktionen. Die Eisenbahnen als Netz waren eine seit mehr als einem halben Jahrhundert erprobte Verkehrsstruktur auf dem Weg zur technischen Weiterentwicklung, als das Relikt aus dem Dritten Reich, die Autobahnen als Verkehrswege des privaten Autoverkehrs, zum Zentrum der Wirtschaft- und Verkehrspolitik gemacht wurden. Gemacht genau von jenen Machtstrukturen von Auto- und Energiekonzernen, die schon in den USA dem Schienenverkehr in den Städten das Ende bereitet hatten1. Die Strategie: ihre Ziele zu Zielen der Politik und ihre Gewinninteressen zu Wünschen der Gesellschaft nach Autobesitz zu machen.

Angriffspunkte für Lobbys: Die sektorale Behandlung der Verkehrsträger

Den Lobbys ist jedes Verkehrssystem und jede politische Partei recht, mit denen sie ihre Gewinne steigern, ihre Freiheit gegenüber dem Staat und den Bürgern erweitern können, um an die Steuermittel zu gelangen. Die politische Praxis ist also immer noch durch die vielfach übliche Trennung von Straßenverkehr und Eisenbahnen in Verwaltung und damit der Planung, Finanzierung und dem Betrieb gekennzeichnet, anfällig für Einflüsse der jeweiligen Lobbys aus den Konzernen der Finanz-, Auto-,
Energie-, Bau-, Immobilien- und Elektronikbranche. Abgesehen von der Vernachlässigung der Menschen in der aktiven Mobilität als Fußgänger und Radfahrer fehlt bei diesen sektoralen Denk-, Verwaltungs- und Handlungsweisen die Berücksichtigung wechselseitiger und externer Folgewirkungen. Schon die Absichtserklärung einer Gleichbehandlung dieser Verkehrsträger beruht auf dem Irrtum, nicht Vergleichbares gleichmachen zu wollen. Denn die Wirkungen technischer Verkehrssysteme auf die Systemdynamik von Umwelt, Wirtschaft, Sozialbeziehungen, räumliche Strukturen und deren Wechselbeziehungen, die auch die aktuelle Klimadynamik entscheidend mitbefeuert, unterscheiden sich grundlegend zwischen Straßen- und Eisenbahnverkehr. So wird bei der sektoralen Nachfrage orientierten Planungsmethode im Straßenverkehr, die sich nach internen Zielen, wie der Verkehrsqualität und willkürlichen Geschwindigkeitswerten richtet, die Rückkopplung auf das Verhalten der Benutzer nicht berücksichtigt. Die damit bewirkte Überdimensionierung erzeugt zusätzliche Nachfrage und wirkt so auch steigernd auf die Motorisierung. Mit jedem neuen Fahrbahnbau steigt nicht nur der Aufwand für die Erhaltung weiterer versiegelter Flächen, sondern es kommt auch zu einer zusätzlichen Verschiebung der Wettbewerbsbedingungen. Ein Verfahren, das von den einschlägigen Lobbys begrüßt, von der Politik akzeptiert und auch durch die Medien unterstützt wird. Mit dieser Methode werden zugliech auch die Abgas-, Lärm- und Stauprobleme erzeugt, die man hofft durch Schlagworte wie „vermeiden, verlagern, verringern“ zu beseitigen, wobei auch die Eisenbahn über das Verlagerungsargument ins Spiel gebracht wird. Angesichts des Zustandes, in den sie durch die Politik und die Wahl des Managements gekommen sind, tritt sehr schnell Ernüchterung ein: 1950 lag in Deutschland der Anteil des öffentlichen Verkehrs noch bei 65%; (Marktanteil der Eisenbahn 37%), bei einem Motorisierungsgrad von 41 Pkw/1000 Einwohner und wurde bis 1970 um mehr als die Hälfte auf 29 Prozent reduziert, bei einem Motorisierungsgrad von 256 Pkw/1000 EW.

Spätestens die Erfahrungen mit der Energiekrise 1973 hätten bei einer rational agierenden Politik Anlass geben müssen, sich der Eisenbahnen zu erinnern und zumindest deren Erhalt sicherzustellen. Stattdessen präsentierte der Vorstand der Deutschen Bundesbahn 1976 sein „Betriebswirtschaftlich optimales Netz“ mit umfangreichen Stilllegungen des damals noch 29.000 km langen Netzes auf 16.000 km, das zum Glück am Widerstand der Länder scheiterte. Es waren, an der Spitze der DB, keine dem Staat und den Steuerzahlen verpflichteten Personen tätig, sondern Manager eines davon getrennten Konzerns, denen die Politik, unter welchem Einfluss auch immer, Randbedingungen vorgab, die weder der ökologischen, noch der sozialen und auch nicht der langfristig ökonomischen Bedeutung der Eisenbahn entsprochen haben. Das Ergebnis ist nicht nur der Verlust der Transportanteile, sondern auch ein Abbau der langfristigen Infrastruktur, als ob die Eisenbahn keine Zukunft mehr hätte.

In die Vorkriegsautobahnen wurde massiv investiert, in den alten Bundesländern fanden sich genügend Mittel, um deren Länge zwischen 1950 und 1990 zu vervierfachen2. Das Bahnnetz von 1938 wiederherzustellen, war nie Ziel der Nachkriegspolitik und schon gar nicht der Ausgangspunkt für eine zukünftige Erweiterung. Die Reichsgaragenordnung von 1939, mit der der Führer die Motorisierung der USA überholen wollte, wurde mit der fatalen Wirkung des §2 in die Bauordnungen übernommen und damit der strukturelle Anreiz/Zwang zum privaten Autobesitz und dessen gesetzlich und finanziell geförderte Nutzung geschaffen.

Einfache Indikatoren wie Boden-und Energieverbrauch machen offensichtlich, dass der Öffentliche Verkehr in Verbindung mit Fuß- und Radverkehr den integralen Begriff der Klimabahn ausmacht. So genannte Hochgeschwindigkeitsstrecken sind Rumpfbahnen, die ihre kurzen Fahrzeiten vor allem durch den Verzicht auf Bahnhöfe erzielen und an vielen Potentialen des Personen- und auch des Güterverkehrs vorbeifahren. Der so genannte „Zeitgewinn“ verpufft schnell mit der zunehmenden Entfernung von den verbliebenen Bahnhöfen, während die Fläche dem klimaschädigenden Autoverkehr überlassen wird. Als Klimabahn kann man diesen Zweig technischer Entwicklung nur dann bezeichnen, wenn sie in ein funktionierendes Schienennetz mit Flächenbedienung sowohl in der Stadt wie auch auf dem Land integriert wird und gleichzeitig parallele Autobahnen zurückgebaut und renaturiert werden.

Ziele der EU-Schein und Sein

Mögen die verkehrspolitischen Ziele der EU von guten Absichten getragen worden sein, von Sachkenntnis getragen waren sie sicher nicht. Denn in der Realität der EU-Verkehrspolitik findet seit Jahrzehnten das Gegenteil statt: Netzstrukturen wurden leichtsinnig abgebaut!

Die Nähe zu den Kunden und potentiellen Fahrgästen ist der entscheidende Faktor für den Erfolg des öffentlichen Verkehrs und für die Eisenbahnen ist es die Zahl, Lage und Qualität der Bahnhöfe.

Nicht nur in Deutschland hat sich das Verhältnis der Infrastruktur der Schiene gegenüber der Straße seit über 30 Jahren kontinuierlich verschlechtert. Schon zwischen 1990 bis 2000 haben die Eisenbahnen der EU im Gütertransport durch Ausdünnung der Netze rund 40 Prozent ihrer Anteile verloren. Die Auflassung der privaten Gleisanschlüsse hat ihren Organismus geschwächt, indem man ihm seinen Zugriff auf Ressourcen im Raum kappte. Auch die Hände am menschlichen Körper sind für sich betrachtet ein Kostenfaktor, aber für den Gesamtorganismus unverzichtbar. Das verstehen die auf Teileffizienzmaximierung getrimmten Bahnmanager offensichtlich nicht.

Bei der üblichen sektoralen Sicht des Verkehrssystems gehen zwei Bereiche verloren: Die Wechselbeziehungen zwischen den Verkehrsträgern und die direkten und indirekten Wechselbeziehungen zur Umwelt. Wichtige Synergieeffekte durch ein Verkehrsmanagement werden nicht wahrgenommen. Beispiele sind ein Moratorium im Straßenbau zur Erweiterung der Flächenbahn; Lkw-Nachtfahrverbote auf sensiblen Routen mit Ausbau von Verladebahnhöfen, Einführung einer Verkehrserregerabgabe auf verkehrsintensive Betriebsstandorte, wie Verteilzentren, abseits bestehender und geplanter Schienentrassen etc. Wird dieses Instrument nicht eingesetzt, werden die Verkehrs- und Klimaprobleme ständig vergrößert. Der Mechanismus der Lobbys funktioniert wie ein Zahnrad, bei dem die Lobby der Investoren die Gemeinden mit Standorten abseits klimaverträglicher Verkehrsanlagen erpresst, den Güterverkehr auf die Straße zu bringen. Die Politik wird mit der Illusion getäuscht, der Ausbau von Schienengroßprojekten würde den Güterverkehr auf wunderbare Weise von der Straße absaugen.

Das Verkehrswesen war seit Beginn immer im Spannungsfeld von wirtschaftlichen und Machtinteressen. Mit den technischen Verkehrssystemen wurde vergessen, dass es dabei auch immer den Machtfaktor Natur gab, der sich nun immer deutlicher in diesen Prozess einbringt, den Spielraum der Entscheidungen einengt und die Risiken von Fehlern potenziert. Für die auf kurzfristige Gewinne ausgerichteten Interessen der Lobbys ist das uninteressant.

In Gebieten mit öffentlichen Mitteln gibt es keine interessenfreien Räume – Political Engineering

„Political engineering is a concept in political science that deals with the designing of political institutions in a society and often involves the use of paper decrees, in the form of laws, referendums, ordinances, or otherwise, to try to achieve some desired effect within a society.” In der Übersetzung liest sich das so: „Politisches Engineering ist ein Konzept in der Politikwissenschaft, das sich mit der Gestaltung politischer Institutionen in einer Gesellschaft befasst und oft die Verwendung von Verordnungen in Papierform, umgesetzt in Gesetze, Volksabstimmungen, Verordnungen oder auf andere Weise, beinhaltet, um zu versuchen, einen gewünschten Effekt in einer Gesellschaft zu erzielen.“

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Jahrzehntelange Beobachtungen und Erfahrungen dieser Methode in Österreich. Analogien sind aber auch in anderen Staaten, vor allem in der EU und ihren Teilorganisationen deutlich zu erkennen. Praktisch bedeutet das die gezielte Beeinflussung von politischen Institutionen, der Verwaltung, der Politik, der Legislative, Gerichte, Forschungsinstitutionen, Schulen und Universitäten, Sachverständigen, Beratungsbüros und Medien. Genau genommen handelt es sich um eine Entmachtung der Politik, der Demokratie, eine Unterordnung der Gerichte und im Idealfall auch der Verfassung oder wenn das nicht möglich ist, um Rechtskonstruktionen, diese zu umgehen.

Um den „gewünschten Effekt“, die Beschaffung von Steuergeldern, um die Konzerngewinne auf Dauer und ohne Einfluss der Bürger sicherzustellen, muss ein Anlass dafür erfunden werden, der den Eindruck erwecken soll, er wäre alternativlos. Dazu wird eine dem Zweck angepasste Zukunft mit Hilfe geeigneter Experten erfunden, die möglichst weit über die politischen Perioden der Parlamente und Regierungen hinausreicht. Dazu das Zitat des Generaldirektors und Bauunternehmers Horst Pöchhacker3 bei einem Vortrag an der TU Wien: „Noch wichtiger als technische Kenntnisse ist es für die Zukunft der Bauingenieurabsolventen, das Bewusstsein für die Probleme zu wecken, für die wir die Lösungen haben“. Zur operativen Strategie der Lobbys gehören die Bemühungen, die Funktionen des Staates und der einschlägigen Verwaltung so zu verändern, dass sie im Sinne der genannten Lobbys agieren. Es handelt sich um ein System, das sich in Österreich erfolgreich etablieren konnte. Beispiele sind etwa das ASFINAG-Gesetz4 und das Bundesgesetz über Eisenbahn-Hochleistungsstrecken5.

Der §1 des letzteren gibt in einer erstaunlichen Klarheit die Absicht des Gesetzes kund: „§ 1. (1) Die Bundesregierung kann durch Verordnung bestehende oder geplante Eisenbahnen (Strecken oder Streckenteile einschließlich der notwendigen Eisenbahnanlagen) zu Hochleistungsstrecken erklären. Voraussetzung hierfür ist, daß diesen eine besondere Bedeutung für einen leistungsfähigen Verkehr mit internationalen Verbindungen oder für den Nahverkehr zukommt und daß zur Optimierung der Verkehrsbedienung umfangreiche Baumaßnahmen geboten sind.“ Begriffe, wie „Bedarfsnachweis, Menge des Güter- oder Personenverkehrs, Zuganzahl, Streckenkapazität“ findet man im gesamten Gesetzestext nicht. Es ist ein Gesetz zur willkürlichen Geldbeschaffung durch die Lobbys in Verbindung mit Parlament, Verwaltung, Exekutive und Medien.

Der Text des ersteren spricht für sich. „Die Rechtsgrundlage des Unternehmens ist das ASFINAG-Gesetz. Die ASFINAG wurde 1982 gegründet und der Unternehmensgegenstand ist gemäß § 2 Absatz 1 des Gesetzes die Finanzierung, die Planung, der Bau und die Erhaltung von Bundesstraßen sowie die Einhebung von zeit- und fahrleistungsabhängigen Mauten. Für die Einhebung der Maut wurde 1997 ein Fruchtgenussvertrag abgeschlossen und die ASFINAG hat seither formal das Fruchtgenussrecht an den im Eigentum des Bundes stehenden Grundstücken und Anlagen des hochrangigen Bundesstraßennetzes (ASFINAG-Ermächtigungsgesetzes 1997).“

Die ASFINAG erhält keine finanziellen Mittel aus dem Staatsbudget, sondern finanziert sich über Einnahmen aus der Vignette, LKW-Maut und Streckenmautabschnitten sowie über Anleihen am Kapitalmarkt. Gemäß § 10 ASFINAG-Gesetz hat der Bund die Liquidität des Unternehmens sicherzustellen. Der Bund „übernimmt für einzelne Finanzierungstransaktionen eine gesonderte Haftung, um die Finanzierungskosten gering zu halten. Bei einem Jahresüberschuss führt die ASFINAG ggf. einen Teil als Dividende an die Republik Österreich ab.“6 Das Gesetz ist zeitlich nicht befristet und hat nur den Zweck, den Geldfluss für den Bau von Autobahnen und Straßen, mit dem Staat beziehungsweise dem Steuerzahler als Bürgen, sicherzustellen. Das Ergebnis: Der Ausbau der Autobahnen und Schnellstraßen löste sich damit vom Bedarf und führte bisher dazu, dass Österreich über ein Fernstraßennetz verfügt, das um rund 40 Prozent größer ist als dasjenige in allen vergleichbaren Ländern der EU. Seit es Widerstand gegen Neubauten gibt, werden die bestehenden Straßen verbreitert, und wenn auch das auf Hindernisse stößt, werden Lärmschutzwände im Flachland mit acht Metern Höhe gebaut, auch wenn sich dahinter Gewerbegebiete befinden.

Gesetze werden vom Verfassungsdienst auf Verfassungskonformität geprüft. Die österreichische Bundesverfassung führt bei der Verwendung öffentlicher Mittel in fünf Artikeln die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit als Prinzipien der Mittelverwendung an, die auch Prüfkriterien aller Rechnungshöfe sind.7 Gesetze, deren Folgen zweistellige Milliardenausgaben öffentlicher Mittel für Infrastruktur-Großprojekte sind, müssen Hinweise auf diese Verfassungsprinzipien enthalten. Man wird aber bei der Suche nach diesen Prinzipien in beiden Gesetzestexten nicht fündig. Womit sich die Frage stellt, wie diese Gesetze durch das Parlament, die Prüfungen des Verfassungsdienstes, die Rechtsabteilungen der einschlägigen Ministerien und auch durch die Medien, als „Vierte Macht“8, gelangt sein können. Es bleibt die Vermutung, dass es sich um gezielten Lobbyismus handelt, der nicht nur im Lande, sondern auch in der EU, die ja diesbezüglich öffentliche Bekanntheit genießt9, handelt. Für alle derzeitigen Tunnel-Großprojekte der Eisenbahn und der Autobahnen und Schnellstraßen liegen nachvollziehbare Untersuchungen vor, die beweisen, dass keines davon den verfassungsmäßigen Prinzipien entspricht.10

Der Brenner-Basistunnel11 (vorläufige Kosten: 9,5 Milliarden Euro) wurde „auf Schiene gebracht“, indem vorhandene und kurzfristig realisierbare Alternativen ausgeblendet wurden. Dazu gehören der zweigleisige Ausbau der Tauernbahn (zwischen Schwarzach-St. Veit im Bundesland Salzburg und Spittal-Millerstättersee in Kärnten), die neue Eisenbahn-Alpentransversale in der Schweiz (Tunnelstrecken Lötschberg und Gotthard) und vertragliche Verpflichtungen über die Zulaufstrecken. All das gibt es nicht! Im Unterschied zur Schweiz gibt es auch keine bindenden Verträge, den alpenquerenden Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern mit quantitativen Grenzwerten und Sanktionen. Dazu gehört auch die Ausstattung der Zulaufstrecken in den Nachbarländern im Norden und Süden mit leistungsfähigen Verladebahnhöfen. Auch eine finanzielle Beteiligung der Sender- und Empfängerländer an den Bau-, Betriebs- und Erhaltungskosten wurde nicht in Betracht gezogen.

Das vom Verfasser bereits in den 1980er Jahren geforderte Lkw-Nachtfahrverbot auf allen Transitrouten durch die Alpen wurde nicht einmal als Ziel genannt. Dass diese elementaren Vorbedingungen nicht erfüllt wurden, sondern Milliarden Euro sozusagen auf „gut Glück“ in die Projektierung und den Bau fließen, beweist den Einfluss der einschlägigen Lobbys auf die Politik in Österreich, aber auch in der EU. Dass der EU-Rechnungshof an dieser Methode Kritik übt12, stört die Betreiber nicht. Dazu noch ein Zitat des bereits genannten Horst Pöchhacker „Was interessiert, sind baureife Projekte und unterschriftsreife Verträge“. Für einen Lobbyisten eine ehrliche und klare Position, der aber keine ebenso klare und ehrliche Position der Politik gegenübersteht, die für die Verwendung der Steuermittel verantwortlich ist. Im Verkehrsministerium wurde 2007 (in dem Jahr in dem Pöchhacker vom Baukonzern Porr in den Aufsichtsrat der ÖBB wechselte) ein Generalsekretär etabliert, der aus dem Finanzministerium kam und der dort die Finanzierung der Großprojekte bearbeitete. Soviel zum Umbau des Staates.

Koralmtunnel13 (Kosten vermutlich rund 10 Milliarden Euro14) und Semmeringbasistunnel15 (wohl mehr als 4 Milliarden Euro16) sind Eisenbahn-Großprojekte am Rande der Alpen mit mehreren parallelen Autobahn- und Schnellstraßen und parallelen Eisenbahnstreckenumfahrungen Österreichs durch das Flachland. Begründet wurden beide Projekte durch die Erfindung einer „Baltisch-Adriatische-Achse“, die nicht durch das Flachland über Ungarn führt, sondern den Weg durch ungeeignetes Gestein der Alpenausläufe, mit verheerenden Folgen für die Hydrologie der Region,17 sucht.

Ein vom Ministerium in Auftrag gegebenes Gutachten an ein Konsortium19 berechnete einen Nutzen-Kosten-Wert für den „Semmering-Basistunnel neu“ von 2,56. Das international mit Bewertungen erfahrene Beratungsunternehmen Vieregg-Rössler aus München, kommt in seiner Bewertung dieses Projektes zum Ergebnis: „Der Nutzen-Kosten-Wert für das Projekt „Semmering-Basistunnel neu“ beträgt […] in Anlehnung an das deutsche Bewertungsverfahren zwischen 0,22 (unteres Szenario) und 0,46 (oberes Szenario).“20 Eine vom Verfasser 1988 veröffentlichte Arbeit kam 1988 auf einen Nutzen-Kosten-Wert von 0,3721. In einem Rechtsstaat mit funktionierender Verwaltung und Justiz kann man annehmen, dass das Gutachten des Projektbetreibers, die auf obskuren Annahmen und Methoden, wie sie Vieregg-Rössler offenlegen, mit Ergebnissen jenseits der internationalen Erfahrung beruht, geprüft werden müssen. Zumindest müssten die obersten Gerichte Gutachter zu bestellen, die nicht befangen sind. Keine dieser offensichtlichen Verpflichtungen wurde beachtet und das Projekt im Verfahren bestätigt. Das zeigt, dass der Einfluss der Lobbys auf die Politik bis in die Justiz reicht.

Zur Nachfrage nach Personen- und Güterverkehr auf diesen Strecken: Im Personenverkehr zwischen Graz und Klagenfurt wird die Nachfrage aktuell durch eine Schnellbusverbindung über die parallele Südautobahn im Zweistundentakt befriedigend abgedeckt. Wird – zur Zeit von Baumaßnahmen – auf der bestehenden Semmeringstrecke eingleisig gefahren, kann der Bedarf durch einen Busersatz auf der parallelen Schnellstraße gedeckt werden. Das allein zeigt, in welcher Größenordnung eine beispiellose Vergeudung von Steuermitteln für unsinnige Großprojekte in Österreich stattfindet. Gleichzeitig wurden über 30 Nebenbahnen, 26 allein in Niederösterreich, aufgelassen22.

Eine Recherche aus dem Jahr 2011 beschreibt den damaligen Zustand dieser Lobbyarbeit in dem Buch von Godeysen „ÖBB – Schwarze Löcher – Rote Zahlen. Wie Österreichs Zukunft durchbohrt wird“23

Anmerkungen:

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fer_Amerikanischer_Straßenbahnskandal

2 https://de.wikipedia.org/wiki/Autobahn_(Deutschland)

3 Pöchhacker Horst (1938 – 2014) 1982 bis 2007 Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Baukonzerns PORR, 2007 – 2014 2007 Aufsichtsratsvorsitzender der ÖBB sowie stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der ASFINAG. https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_P%C3%B6chhacker

4 https://www.jusline.at/gesetz/asfinag-g

5 https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10006987&FassungVom=1996-07-31

6 https://de.wikipedia.org/wiki/ASFINAG

7 https://www.jusline.at/gesetz/b-vg/paragraf/artikel127a

8 https://de.wikipedia.org/wiki/Vierte_Gewalt

9 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/eu-lobbyisten-lobbycontrol-facebook-google-amazon-1.5397505

10 https://www.diepresse.com/1546067/oebb-zahlentricks-auf-dem-weg-ins-milliardenloch

11 https://de.wikipedia.org/wiki/Brennerbasistunnel

12 https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/eu-rechnungshof-uebt-kritik-am-brennerbasistunnel-bau-88961266

13 https://de.wikipedia.org/wiki/Koralmtunnel

14 https://www.diepresse.com/603772/wenn-milliarden-im-schwarzen-loch-versickern?_vl_backlink=%2Fhome%2Fwirtschaft%2Findex.do

15 https://de.wikipedia.org/wiki/Semmeringtunnel

16 https://noe.orf.at/stories/3152142/

17 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210223_OTS0126/semmering-basistunnel-ein-desaster-fuer-die-natur-und-steuerzahler

18 Knoflacher H. (2000) Gutachten „Verkehrliche Bewertung der verschiedenen Projekte der Eisenbahn am Semmering.“ TU. Wien 2000.

19 Riebesmeier Brigitta u.a., „Schlussbericht zur Gesamtwirtschaftlichen Bewertung des Projekts Semmering Basistunnel neu“ im Auftrag der ÖBB. 2011

20 VIEREGG – RÖSSLER GmbH Innovative Verkehrsberatung. Analyse der „Gesamtwirtschaftlichen Bewertung des Projekts Semmering-Basistunnel neu“ und Erstellung einer neuen Nutzen-Kosten-Bewertung in Anlehnung an das Verfahren für den deutschen Bundesverkehrswegeplan 2015. München. 2014

21 Knoflacher H. „DIE „NEUE BAHN“ – LASST ZAHLEN SPRECHEN“ Verkehrspolitik, Heft 1,2/1988 Seite 32-33

22 https://www.profil.at/home/oebb-welche-nebenstrecken-275953

23 https://www.amazon.de/%C3%96BB-Schwarze-%C3%96sterreichs-durchbohrt-Recherche/dp/3851672542