Editorial zum LP21-Extra

Liebe Leserin, lieber Leser,

am Wochenende, 14. und 15. Mai 2022, fand in Stuttgart eine Konferenz zum Thema „Klimabahn“ statt. Ort war das DGB-Haus, dort der große Saal, der tatsächlich auch weitgehend gefüllt werde konnte. Die Auswahl des Themas und die Stadt sind zu erklären. Zu Letzterem: Stuttgart 21 ist mit einem Umfang von mehr als 10 Milliarden Euro weiterhin das größte Infrastrukturprojekt in Deutschland überhaupt – und zugleich dasjenige, das den Bahnverkehr am deutlichsten schwächt. In weiten Teilen des Landes geht – vor allem aufgrund des medialen Boykotts – die Mär um, Stuttgart 21 sei längst gebaut. Oder eben so gut wie fertiggestellt. Das ist nicht der Fall. Aktuell behauptet der Konzern Deutsche Bahn AG, eine Inbetriebnahme erfolge Ende 2025. Realistisch dürfte 2028 sein. Wobei es längst neue „Ergänzungsbauten“ gibt, die auch seitens der baden-württembergischen Landesregierung als notwendig erachtet werden, und deren Fertigerstellung frühestens 2035 vorstellbar ist. Vor allem gilt – und das wird bundesweit viel zu wenig beachtet: Es gibt weiter einen lebendigen Widerstand gegen Stuttgart 21. Mit Demonstrationen seit zwölf Jahren an jedem Montag. Am 26. September 2022 gab es die 630. Montagsdemo. Und es gibt die Mahnwache gegenüber dem Stuttgarter Hauptbahnhof, die dort ebenfalls seit zwölf Jahren präsent ist. Über den Stand bei S21 und den Widerstand gegen das Monstrum S21 wird in diesem Heft berichtet.

Der neue Stuttgart21-Film von Klaus Gietinger, dessen Premiere einen Höhepunkt auf der Konferenz darstellte, wird in besonderer Weise die Absurdität des Projekts und die Lebendigkeit des Widerstands zum Ausdruck bringen.

Zum Thema der Konferenz: Bahn an sich sei gut – so lautet vielfach die Grundaussage, auch im Lager von Klimafachleuten. Wir sind da ganz anderer Meinung. Eine Betonbahn, eine Bahn mit Höchstgeschwindigkeit, mit vielen Tunnelbauten und mit noch mehr Brückenbauwerken – das ist keine Klimabahn. Das sehen nicht nur diejenigen so, die in Stuttgart den beschriebenen Widerstand leisten. Das sehen im Land inzwischen mehr als zwei Dutzend Bahn-Initiativen, von denen eine größere Zahl auf der Konferenz in Stuttgart vertreten war. Und über die in diesem Heft ebenfalls berichtet wird.

Lunapark21 – (die) Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie – hat seit Gründung 2008 mehr als ein Dutzend Sonderhefte zum Thema Verkehr im Allgemeinen und Bahn im Besonderen herausgebracht. Wir sehen uns in einer entsprechenden – guten – Tradition, wenn wir hier ein neues Heft zu dem Thema vorstellen. Wir wollen damit auch aktiv dazu beitragen, dass der Widerstand gegen die vielfältigen Betonbahn-Projekte, die es hierzulande gibt (in München, in der Region Rosenheim, in Frankfurt am Main, in Hannover und Bielefeld, in Hamburg-Altona, auf Fehmarn, in Lindau – um nur einige zu nennen), weiter entwickelt und koordiniert wird. Und dass die enormen klimafreundlichen Potenzen, die im Schienenverkehr stecken, nicht mehr durch solche zerstörerischen Projekte in ihr Gegenteil verkehrt, dass diese Potenzen vielmehr in Gänze zur Geltung gebracht werden.

Über Winfried Wolf

Winfried Wolf war Chefredakteur von Lunapark21. Er veröffentlichte zum Thema Verkehr seit 1986 („Eisenbahn und Autowahn“); zuletzt: „Abgefahren! Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen“ (zusammen mit Bernhard Knierim; Köln 2019)..

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