Auszüge aus der Podiumsdiskussion vom 14. Mai 2022
Werner Sauerborn Die Podiumsdiskussion auf der Klima-Bahnkonferenz spitzt viele der angesprochenen Fragen auf klimapolitische Grundsatzfragestellungen zu. Sie bringt dafür wichtige Stimmen auf diesem Podium zusammen. Als da sind: Helge Peukert, Professor für Plurale Ökonomik von der Uni Siegen, der viel zur Finanzkrise geschrieben und geforscht hat. In ihrer Jobbeschreibung stehen Themen wie Sozialpolitik, Wirtschaftsgeschichte und vieles zur Finanzkrise. Ihr Hauptthema ist die Klimagerechtigkeitsbewegung. Da haben sie zwei Bücher geschrieben, die gelten schon so ein bisschen als Standardwerke für alle Menschen, die sich mit Klima fachlich auseinandersetzen wollen. Zwischenruf Peukert „Die sind aber anstrengend, also kein Stoff zum ruhig einschlafen!“
Weiter Werner Sauerborn: …. „Klimaneutralität jetzt“ , so der Titel des ersten, im letzten Jahr geschriebenen Buchs. Und weil sich an der Dramatik nichts verändert hat, hat er vor kurzem „Klimaneutralität jetzt – ein Update“ geschrieben, ein eigenständiges Werk. Dieser „Update 2022“ verarbeitet die absolut beunruhigenden Klimawissenschaftlichen Erkenntnisse. Dann Winfried Wolf. Eigentlich nicht nötig, ihn hier vorzustellen. Chefredakteur von Lunapark21, Motor und Macher vieler Kampagnenzeitungen, zwei Legislaturperioden lang Bundestagsabgeordneter der damaligen PDS. Uns allen bekannt von ungezählten Auftritten und Reden gegen Stuttgart21. Der erste überhaupt, der das Thema S21 aufgriff und schon 1996 ein wichtiges Buch zu Stuttgart21 geschrieben hat. Das war eine Einstimmung in die argumentative Auseinandersetzung um das Projekt. Er hat seither weitere Bücher zu S21 geschrieben; das letzte mit dem Titel „abgrundtief und bodenlos“. Es ist mit mehreren Auflagen schon eine regelrechte Enzyklopädie über die Geschichte des Projekts und über den Widerstands gegen S21.
Auch herzlich willkommen Gero Treuner, Mitglied des Landesvorstands des VCD und auch im VCD-Kreisvorstand Stuttgart, IT-ler und Experte beim VCD für Bahninfrastruktur. Die Unterscheidung von VCD Land und VCD Kreis ist für politische Feinschmecker nicht unwichtig: Der VCD Kreisverband Stuttgart ist Mitglied des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Herr Peukert, Sie beginnen die Runde.
Helge Peukert Wir haben, wenn wir es genau nehmen, kein CO2-Restbudget mehr. Was folgt daraus? Die Antwort wird eher schwierig. Denn wir leben in einem komplexen globalen arbeitsteiligen Wirtschaftssystem, in dem viele Menschen bestimmte Ansprüche an Konsum und Lebensformen haben. Und 75 Prozent der Menschen warten noch auf die Befriedigung solcher Ansprüche. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung pro Jahr um schlappe einmal Bundesrepublik. Wie soll das gehen? Die jungen Leute haben recht, die sagen: Wir setzen uns hier auf die Straße, wir setzen das Wertvollste, was wir haben, unsere Körper ein. Wir sind bereit zum Beispiel das Osterfest im Frankfurter Gefängnis zu verbringen.
Wenn man sich dann das Pariser Klimaabkommen anschaut, dann muss man daran zweifeln, dass die Weltgemeinschaft wirklich bereit ist, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Diese Klimaveranstaltungen werden so organisiert, dass die Leitfrage lautet: Wie bringe ich es zuwege, dass möglichst nichts dabei rauskommt? Man karrt aus allen Herren Länder 30.000 Leute an. Alle dürfen das sagen, was ihnen gerade durch den Kopf geht, seien es prozentuale Klimaziele oder absolute Minderungsziele. Also ein Wünsch-Dir-Was. Wenn man dort nichts vorschlägt, ist es auch nicht schlimm. Wenn man sich später nicht an das hält, was man versprach, dann bleibt das sanktionslos.
Nach all diesen Klimakonferenzen von 1 bis 26 – so viele Klimakonferenzen gab es – sind die Emissionen von Konferenz zu Konferenz weiter gestiegen. Alles zusammen um 50 Gigatonnen pro Jahr. Dabei haben wir nur noch 230 Gigatonnen. Dann gibt es noch die sogenannten Unsicherheiten. Der 6. IPCC-Bericht benennt solche in einer Größenordnung des 230-Gigatonnen-Restbudgets. Das kann also heißen, dass es gar kein Rest-Budget mehr gibt!
Wenn man die EU-Kommission fragt: Wie kommt ihr eigentlich zu eurem „minus 55%“, das ist ja an sich ein ganz nettes Ziel. Dann reden die sich heraus und sagen: Schauen Sie mal auf der Seite 188; da haben wir doch eine tolle Tabelle. Hakt man nach, dann heißt es: Nein, damit argumentieren wir eher nicht. Wir argumentieren mit Pfad soundsoviel. Und auf die weitere Nachfrage: Was das denn jetzt für das Restbudget heißen würde, wird geantwortet: So genau könne man das nicht sagen; man sei halt für das Pariser Klimaabkommen. Nochmals nachgehakt: Was das denn jetzt heißen würde: 1,5 Grad oder 2 Grad? Darauf sagen die: Auch das könne man so genau nicht sagen. Und die vom Ökoinstitut sagen, dass es auf 1,8 hinausläuft.
Das ist, kurz gesagt, die Lage. Wobei die Politiker:innen ja nur so gut sind wie die Wählenden. Meiner Meinung nach ist es letztlich ein Bündnis von all denen, die von diesem System profitieren. Und das sind blöderweise relativ viele. Das sind einmal Gutverdienende, die beispielsweise in den Konzernzentralen sitzen und die im Prinzip das Steuer schnell herumwerfen könnten. Doch die verdienen zu viel. Man könnte sagen, die hätten ja oft Kinder zu Hause, die ihnen die Hölle heiß machen. Gegenargument: Die sind halt auch oft unterwegs. Dann fruchtet der Kinderprotest vielleicht nicht zu 100 Prozent.
Zu den Politikern heißt es oft: Das sind ja im Grunde arme Würstchen. Man personalisiert das auch oft. Dann heißt es: Das eine ist der selbstverliebte Scheuer-Andi. Der andere scholzt so vor sich hin. Und die Merkel blickt nicht bei allem durch. Doch das alles hat ja strukturelle Gründe. Der wesentliche strukturelle Grund besteht darin, dass die Politik abhängig ist vom Wirtschaftswachstum. Dafür verschuldet man sich wiederum auf den Kapitalmärkten. Das ist dann vielleicht keine vernünftige Finanzpolitik. Doch die Leute im Finanzsektor sind ja fast froh über den Klimawandel. Mit der Konzentration auf dieses Thema ist er jetzt aus dem Blickfeld. Und so entstehen auch neue wunderschöne Schuldenberge, sprich Kartenhäuser.
Der Staat wiederum ist von der Finanzindustrie abhängig. Und wenn niemand mehr Lust hat, Staatsanleihen zu kaufen, dann muss halt die EZB ran. Da werden dann alle EU-Regularien über Bord geschmissen. Der Staat ist auch abhängig von Steuereinnahmen. Da müssen hier in Stuttgart teure SUVs gebaut und verkauft werden, damit Einkommensteuer und ein bisschen Körperschaftsteuer reinkommt. Und dann bekämpft man die Auswirkungen der SUV-Flotten. Das ist die berühmte Katze, die sich wer weiß wohin beißt.
Das ist das Problem: Man kann im Grunde der Wirtschaft gegenüber nicht handlungsmächtig auftreten, weil man so von ihr abhängig ist. Es gibt hier ein strukturelles Problem im Verhältnis Staat, Wirtschaft und Bürger. Der Bürger ist in unserem System in erster Linie ein Konsum-Bürger. Und wenn ihm der Konsum ein bisschen eingeschränkt wird, dann sind die meisten sauer. Auch wenn es ihnen mit weniger Konsum vielleicht sogar besser gehen würde. Wenn man alle Input-und Output Faktoren in eine Tabelle bringt, dann könnte eine Debatte zu dem Thema geführt werden: Was ist wirklich legitimer Basis-Konsum in unseren Metropolen? Wo müssen wir uns einschränken? Ist es okay, dass die Leute dreimal im Jahr in Urlaub fliegen?
Auch müsste der Staat eine ganz andere Finanzierungsquelle kriegen. Die EZB übt ja Vergleichbares schon, indem sie Staatsanleihen aufkauft. Im Prinzip müsste der Staat Schenk-Geld haben, Geld, das er nicht zurückbezahlen muss. Das könnte auf die kommunale Ebene gehen. Dann leben wir im Papiergeld-Standard, es gibt keinen Anker, weder Gold noch sonst irgendetwas. Die Banken schöpfen im Moment ohnehin das Geld aus dem hohlen Bauch. Das könnte auch eine Zentralbank machen, die das den Staaten in die Hand drückt und damit öko-soziale Arbeitsplätze finanziert, ohne von einem fortgesetzten Wirtschaftswachstum abhängig zu sein. Denn eines ist klar: Ohne eine deutliche Einschränkung der Industriegesellschaft ist eine Klimawende nicht zu schaffen. Das mit dem Greenwashing ist Selbstbetrug; das wird nicht hinhauen. Wir sehen das doch überall, auch bei der Pandemie, diese Übergriffigkeit des Menschen gegenüber der Natur. Überall die Landnahme. All das rückt uns auf den Pelz, um es mal tierisch auszudrücken.
Werner Sauerborn Vielen Dank, Herr Peukert. Eine Rückfrage habe ich zu dem Punkt, der uns alle verbindet – zu dieser Erfahrung, dass man mit guten Argumenten einfach nicht durchkommt. Sie haben in ihrem „Update 2022“ geschrieben: „Meine Hoffnung, eine achtbare Hintergrundliteratur geliefert zu haben, auf die alle zurückgreifen könnten, hat sich trotz der Verwendung vieler Geschenkexemplare nicht erfüllt“. Und weiter: „In Kriegssituationen werden die archaischen Reflexe der Urhorde aktiviert, eine entsprechende DNA hinsichtlich der ökologischen Krise gibt es leider nicht. Es stellt sich oft das Gefühl ein, dass klassische Abwehrmechanismen in Anschlag gebracht werden und die meisten Menschen die existenzielle Grenzsituation angesichts der Klimakatastrophe verleugnen, weil sie ihre persönlichen und gesamtgesellschaftlichen Sinnkonzepte in Frage stellen.“
Dann kommen Sie auch darauf zu sprechen, was diese Abwehrhaltung von Menschen sind, nicht nur im privaten, sondern auch im politischen Bereich, die vielleicht erklären, warum die Klimabewegung auf der Stelle tritt trotz so viel Resonanz. Wir reden uns bei Stuttgart21 den Mund fusselig und es wird nicht mal zugehört. Was ist die Typologie der Abwehrbewegung, die das erklären kann?
Helge Peukert Das ist ja die einigermaßen frustrierende Grundfrage. Ich war sehr beeindruckt heute von den professionell vorgetragenen Argumenten, wie es eigentlich laufen könnte. Und es ist extrem frustrierend, dass das bei der breiten Bevölkerung nicht ankommt.
Wenn man sich jetzt mal die Geschichte mit Scholz anschaut, der plötzlich sagt: 100 Milliarden für Rüstung – das geht! Dann erinnert das ein bisschen an 1914 und die Bewilligung der Kriegskredite. Wenn dann plötzlich unsere Spezialdemokraten mit fliegenden Fahnen dabei sind und auch die Oliv-Grünen. Das ist der Reflex der Urhorde. Es wird ja immer gesagt: Wir müssten auf eine unmittelbare Bedrohung sofort reagieren. Als wir Jäger und Sammler waren – kaum kommt ein Tiger um die Ecke: Bumm! Doch wenn es Veränderungen in der Umwelt gibt, die wir blöderweise mit unseren Sinnen nicht unmittelbar wahrnehmen, dann ist es wie mit dem Frosch, der in den Kochtopf mit kaltem Wasser gesetzt wird: Die Temperatur im Topf wird langsam erhöht. Doch er denkt gar nicht dran, herauszuspringen. Anders wäre es gelaufen, wäre er gleich in heißes Wasser geschmissen worden. Alte Geschichte.
Das heißt: Wir sind vielleicht genetisch schlicht und einfach nicht geeignet, auf solche Umweltbedrohungen zu reagieren, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Corona ist allerdings im gewissen Sinn ein Gegenbeispiel. Da sterben massenhaft die Leute. Und – zack! – das ganze Wirtschaftssystem konnte umgestellt werden. Ob das, was da alles getan wurde, richtig war, ist eine andere Frage.
Ich will jetzt nicht ins Psychoanalytische der Abwehrmechanismen hinabsteigen. Ich möchte jedoch die „just-world-Theorie“ erwähnen. Meiner Meinung nach sind wir in der existenziellen Grenzsituation unseres Lebenswandels im Prinzip vergleichbar mit der Situation am Ende der 1930er Jahre. Plötzlich verschwinden die Juden. Eigentlich kann man sein kleinbürgerliches Leben nicht mehr einfach so weiterführen. Was jedoch viele Leute wollen. Die „Just-World-Theorie“ besagt, dass wir Menschen ein sinnvoller Bestandteil dieser Welt und dass wir nicht schuldig sein wollen. Dann verdrängen wir das eben mal. Es wird uns ja auch leicht gemacht. Schauen wir uns nur die Werbung mit diesen Greenwashing-Aktionen an. Es gibt da super wirksame Mechanismen. Es gibt „rasenden Stillstand“ und Übersättigung. Wenn wir abends in den Talkshows die immer gleichen Figuren vorgesetzt bekommen, dann haben die meisten Leute irgendwann die Schnauze voll und schalten ab. Man kann auf diese Weise Themen auch töten.
Wir haben in der Neuzeit eine Philosophie des Fortschrittsglaubens. Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Dabei gibt es das Grundproblem: Das Persönliche ist politisch. Diese alte 68er-Formulierung ist erschreckend wahr und konkret: Wenn ich mich ins Auto setze und den Zündschlüssel umdrehe, dann wirkt sich das weltweit aus. Wie der in China umgefallene Sack Reis. Mit anderen Worten: Wir befinden uns praktisch in einer Weltgemeinschaft mit allen unseren negativen externen Effekten. Das widerspricht den Grundprinzipien westlicher Demokratien, wonach der Staat nicht zu sehr ins Privatleben der Leute einzugreifen hat.
Winfried Wolf Ich glaube, dass das Wegducken in der NS-Zeit ohne Zweifel ein wichtiger Faktor war. Es gab diese DNA mit „Das hab ich nicht gesehen“. Auch noch nach 1945 mit: „Wir haben nichts gewusst. Bei uns in der Stadt gab es gar keine Juden“. Aber es gibt auch den Faktor der kollektiven Aktionen und des Organisierens. Und dieser war oft und ist heute entscheidend. Ich möchte daran erinnern, dass die Friday-for-Future-Bewegung niemals mit einer solchen DNA hätte begriffen werden können. Da gibt es zum richtigen Zeitpunkt eine kleine junge Frau, die sich autistisch vor den Reichstag in Stockholm setzt und die dann einen weltweiten Protest in Gang setzt. Einfach graswurzelmäßig: Freitag gehen wir nicht in die Schule, wir demonstrieren! Dass das jetzt zusammengesackt ist, hat auch viel mit der Pandemie zu tun. Und auch damit, dass es zu wenig organisierende Kräfte gab.
Aber ganz sicherlich kann man sagen, dass – um einen Sprung zum Thema Stuttgart zu machen – ein Projekt, das mit S21 vergleichbar ist, die Tunnelprojekte Brenner oder Koralm in Österreich oder in Frankreich eine neue TGV-Strecke, alles Projekte, die ähnlich zerstörerisch wie S21 sind, dass das nur dann zur Kenntnis genommen werden und nur dann „stadtgewaltig“ werden kann, wenn dieser Protest organisiert wird, wenn es die organisierende Kraft mit einem entsprechend langen Atem gibt, wie dies zwölf Jahre lang in Stuttgart der Fall war und weiter ist. Und wo wir immer wieder zwischendrin neue Events organisiert haben, so die Kopfmachen-Konferenz 2014 in Stuttgart. Und eben an diesem Wochenende diese Klimabahn-Konferenz.
Mir fällt in diesem Zusammenhang ein, dass ich ja eigentlich von der Kritik des Autos her zur Bahn komme. Und dass ich vor sechs Jahren zum ersten Mal das Buch „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse – Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt“ schrieb. Lange Zeit galt das E-Auto als eine geile Geschichte: kein Verbrenner, nicht fossil. Ich habe damals klargemacht, dass wir auch beim E-Auto die folgenden Elemente haben: erstens Wachstumszwang, denn das E-Auto ist vor allem eine Ergänzung der gesamten Pkw-Flotte; es sind überwiegend Zweit- und Drittwagen. Und zweitens ökologischer Rucksack. Das ist ein bisschen so, wie im Fall der Neubaustrecken und der Tunnelbauten: Du hast einen ökologischen Rucksack, den du abfahren musst, um die Vorteile des E-Autos oder eben einer Bahnfahrt eins zu eins zu erhalten. Beim Tesla S sind das 120.000 Kilometer, beim Renault Zoe vielleicht 30.000. Die müssen mit so einem E-Pkw erst mal gefahren werden, bis die theoretischen Vorteile des Elektroautos im reinen Betrieb überhaupt zu Buche schlagen. Es gibt da diese gigantische Masse von CO2, die während des Baus der Batterie emittiert werden. Noch gar nicht zu reden von der Problematik Kobalt und Seltene Erden.
Ich habe im Vorfeld Werner gefragt, „Wie neu ist das Thema Klima eigentlich bei euch?“ Und Werner hat unterstrichen, dass dieses Thema von Anfang an eine Rolle gespielt hat. Der klimaschützende Park wurde bereits bei Beginn der Bauarbeiten von Stuttgart21 plattgemacht. Der Begriff „graue Energie“, wie werden die Tunnelbaukosten eingerechnet, wie lange fährt man im Fall einer Tunnel-Strecke, um den ökologischen Rucksack, den es bei so einer Tunnelstrecke ja auch gibt, abzufahren: All das ist relativ neu. Diese Thematik gibt es seit fünf oder sieben Jahren.
Auch Klimaforscher beginnen, das zu betonen. Professor Hans Joachim Schellnhuber hat neulich gesagt: „Man muss schon sehr lange Bahn fahren bis die anfängliche CO2-Schuld abgetragen ist“. Bisher sagte ein Großteil der Klimaforscher beim Thema Schiene: Bahn ist immer gut. Ja, man kritisierte uns mit den Worten: „Was, ihr seid gegen Hochgeschwindigkeitsstrecken?! Aber ich muss doch schnell nach Kopenhagen kommen. Da habe ich einen Vortrag.“
Da gibt es einen Dr. Klaus Radermacher. Der erstellte für die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung eine Studie, die die sehr hohen CO2-Emissionen einer Bahn mit vielen Tunnelbauten dokumentiert. Nun ist die FDP natürlich nicht die Partei, die sagt: Dann muss man für eine Flächenbahn, für eine überwiegend oberirdische geführte Bahn eintreten. Dann muss man Tempolimits für den Autoverkehr fordern. Stattdessen wird seitens Radermacher und der FDP argumentiert: Weiter so mit dem Autoverkehr. Oder dann eben Flug statt Bahn. Wir als Klima- und Bahnfreunde haben diese verdammte Verantwortung, diesen Aspekt mit einzurechnen. Das Resultat lautet grob: Bahnhochgeschwindigkeit mit Tunnelstrecken hat eine vergleichbar schlechte Bilanz wie eine Pkw-Fahrt mit zwei Personen im Auto. Entsprechend müssen wir Hochgeschwindigkeit und den Tunnelbauwahn kritisieren. Und, wie von den Referenten Hesse und Busche hier vertreten, einen Ausbau nach Augenmaß und ohne Top-Geschwindigkeit favorisieren.
Werner Sauerborn Vielen Dank, lieber Winnie. Ich hätte in der Vorstellung erwähnen sollen, dass Du einer der Hauptpromotoren auch dieser Konferenz warst, dass es ohne dich diese Konferenz nicht gegeben hätte. Den Applaus kannst Du also auch darauf beziehen. Jetzt fehlt noch der Schritt, dass man genauer berechnen muss: Wie viele Emissionen verursacht die Flächenbahn. Und wie viele eine Beton-Bahn. Die Klimawissenschaft ist hier nicht ganz auf Ballhöhe.
Jetzt kommen wir zu Dir lieber Gero. Das Thema Klimabahn ist ja relativ neu. Du spielst eine maßgebliche Rolle im VCD. Kannst Du uns sagen, ob der VCD das mit der Klimabelastung einer Betonbahn so sieht. Ob andere Verbände wie der BUND das so sehen.
Gero Treuner Ja, vielen Dank erst mal für die Einladung. Ergänzen kann ich vorab, dass es auch im VCD bundesweit eine Arbeitsgruppe „Bahnreform II“ gibt, die sich mit solchen Fragen beschäftigt hat. Zu den anderen Verbänden kann ich weniger sagen. Klar ist: Wenn man die Fahrgastzahlen der Bahn um das Zwei- bis Dreifache steigern will, dann braucht man einen massiven Kapazitätsausbau. Der Betrieb muss zuverlässig sein. Die Anschlüsse müssen klappen. Da geht es dann auch um Prioritäten. Die wirkungsvollen, klimaschonenden Maßnahmen wie Ergänzungsbauten – die sollte man zuerst in Angriff nehmen. Dabei Engpässe beseitigen. Notwendig sind Überholgleise und Überleitstellen für lange Güterzüge. Gegenüber Hochgeschwindigkeitsprojekten hat das Vorrang. Auch eine Harmonisierung der Geschwindigkeiten, die in den Konferenzpapieren erwähnt ist. Was aber nicht verschwiegen werden darf: Wenn wir über Klimabahn reden, dann ist entscheidend, dass wir den Straßenverkehr verringern. Der Anteil von knapp 20 Prozent des ÖPNV lässt sich nur dann steigern, wenn er attraktiver wird im Vergleich zum Autoverkehr. Und wenn wir die Attraktivität von Autos senken. Deswegen muss das Motto lauten: Weniger Autobahn. Dann kommt die Klimabahn. Wenn wir über CO2-Budgets bei Bahn-infrastrukturbauten reden, dann muss man auch den Autobahnausbau stoppen.
Man kann auch andere Sachen ohne HGV machen, um die Fernstrecken attraktiver zu machen. Man kann Sprinter-Verbindungen einrichten. Pünktlichkeit im täglichen Betrieb hängt natürlich von der Infrastruktur ab. Und für einen zuverlässigen Deutschlandtakt benötigt man Reserven und mehr Resilienz, um auch im Störungsfall besser zu werden. Anderenfalls wird festgestellt: Es gibt keine Weichen, um zu überholen oder um auszuweichen.
Ich möchte noch die Idee eines neuen Modells von Wettbewerb vorstellen. Bisher sieht Wettbewerb auf der Schiene so aus, dass die Aufgabenträger Ausschreibungen machen und die privaten Betreiber dann die Angebote abgeben und einer den Zuschlag bekommt. Uns ist es wichtig, dass wir einen integrierten Betrieb haben. Insofern geht es darum, dass es nicht nur einen Infrastrukturbetreiber gibt. Notwendig ist, dass Züge integriert verwendbar sind, dass sie vom Betreiber auch gewartet werden. Das hat auch technische Hintergründe.
Nehmen wir den Fernverkehr. Wenn da ein Ersatzzug notwendig ist, dann muss der zum Park passen. Da kann man nicht den Konkurrenten fragen, ob er noch einen in Reserve hat. Das muss aus einer Hand kommen.
Inzwischen nutzen die Länder ihre Kraft, auch in finanzieller und organisatorischer Hinsicht, um Bestellungen zu tätigen, bei denen die Wartung mit ausgeschrieben wird. Das heißt: Der private Betreiber muss eigentlich nur noch die Lokführer und die Zugbegleiter stellen und den Vertrieb machen. Das ist sehr wenig.
Im Fernverkehr haben die privaten Betreiber zuerst nach Altmaterial gefragt, nach Wagen usw., die die etablierten Bahnen allerdings dann nicht abgeben wollen. Jetzt sieht man, dass sie günstigste Züge einkaufen. Erkennbar ist, dass dort keine Innovation erfolgt. Es gibt auch keine echte Konkurrenz. Zu fragen ist auch, wie das dann mit den Arbeitsbedingungen aussieht. Und ob das, was hier stattfindet, wirklich ein Beitrag zur Förderung des Fernverkehrs ist.
Deswegen möchten wir, dass das Grundangebot im Deutschlandtakt von einem integrierten Betreiber in staatlicher Verantwortung geleistet wird. Der Wettbewerb kann dann dort stattfinden, in den Zügen. Indem die Betreiber Einzelwagen einsetzen. Diese mit Personal ausstatten, mit eigenem Service, eigener Marke. In der Regel wird es wahrscheinlich so sein, dass die Züge dann von einem Unternehmen begleitet werden.
Die Diskussion hierzu muss in Gang kommen. Das würde auch bedeuten, dass auf europäischer Ebene eine neue Form von Regulierung notwendig wird.