Nach Zugunglück in Bayern: Experten erheben schwere Vorwürfe gegen die Bahn AG

Die am Unfall beteilige Lokomotive mit ähnlichen Doppelstockwagen, 2011. Bild: Paul Smith, CC BY-SA 2.0

26. Juli 2022  Harald Neuber

Unfall hatte Anfang Juni zahlreiche Tote und Verletzte gefordert. Bericht sieht Verfehlungen in Planung und Wartungsmanagement. Experten fordern Antworten auf offene Fragen.

Knapp zwei Monate nach einem verheerenden Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen haben Verkehrsexperten und Gewerkschafter dem Management der Deutschen Bahn AG schwere Verfehlungen vorgeworfen. Es gebe zahlreiche Indizien dafür, dass die Entgleisung des Zuges auf bauliche Probleme des Streckenabschnitts zurückzuführen sein, hieß es bei einer Pressekonferenz in München am heutigen Dienstagvormittag.

Die beteiligten Experten forderten mehr Gelder für Ausbau und Wartung des Streckennetzes. Auch kritisierten sie die Krisenkommunikation der Deutschen Bahn AG und warnten davor, einzelnen Beteiligten die Schuld an dem Unfall zuzuschieben, ohne strukturelle Probleme zu thematisieren.

Am 3. Juni 2022 war eine Regionalbahn der DB Regio AG auf der Strecke zwischen München und Garmisch-Partenkirchen beim Ortsteil Burgrain entgleist. Bei dem Zugunglück kamen fünf Menschen ums Leben, 68 wurden verletzt.

Knapp zwei Monate später stellten heute die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und mehrere Branchenexperten einen umfassenden Bericht vor. Darin machen sie auch bauliche Fehler und Sanierungsrückstände als Ursachen für das Unglück aus.

Bei der Präsentation anwesend waren neben dem bayerischen GDL-Bezirksvorsitzenden Uwe Böhm auch der Bahnexperte und Telepolis-Autor Winfried Wolf, der ehemalige Vorsitzende der Initiative Pro Bahn, Dieter Doege, und Michael Jung von dem Verein Prellbock Altona.

Telepolis veröffentlicht heute um 12 Uhr einen umfassenden Bericht zum Thema von Winfried Wolf, der die wesentlichen Thesen des Untersuchungsberichtes wiedergibt.

Die katastrophalen Folgen des Eisenbahnunglücks in Burgrain seien einem „grob fahrlässigen Außerachtlassen simpelster Schutzvorrichtungen geschuldet“, heißt es in dem Bericht. Ein Grund für die Schwere des Unfalls sei die Duldung eines Bachbettes neben dem Gleis und einer dahinter liegenden steilen Straßenböschung.

Betonschwellen mussten ausgewechselt werden

Zudem belegten Luftbilder der Unglücksstelle die offenkundige Reparaturanfälligkeit des Bahndamms. Auf dem kurzen Unglücksabschnitt hätten mehr als zwei Dutzend Betonschwellen ausgewechselt wurden müssen.

Problematisch sei auch, dass eine Straße drei Meter über dem seitlichen Bachbett verlaufe. Der verdichtete Unterbau der Straße „wurde für die herabstürzenden Doppelstockwagen zur unüberwindbaren und in keiner Weise nachgebenden Barriere“, so die Experten. Die Autoren des Berichtes gehen davon aus, dass der harte Aufprall und die starken Verformungen der Wagenkästen „ursächlich verantwortlich“ für die fünf Todesopfer und die zahlreichen Schwerverletzten waren.

Bei der Pressekonferenz in München warnten die Bahnexperten davor, einzelnen Mitarbeitern die Schuld zuzuschieben. Tatsächlich dürfte das für die Deutsche Bahn AG schwierig werden: Die Auswertung des Fahrtenbuchs hatte den Lokführer bereits entlastet.

Nach dem Unglück hatte der Hamburger Bahnverein Prellbock Altona kritisiert, dass Politikerinnen und Politiker sowie Bahnmanager nach dem Unglück vor Ort waren. „Aber sie schweigen hartnäckig zur möglichen Unfallursache“, hieß es von dieser Seite. Auch gebe es „fast keine Kommunikation seitens des DB-Bahnvorstand“.

Die Hamburger Aktivisten sind sich sicher: „Die Anklageerhebung gegen drei Beschäftigte der Deutschen Bahn lenkt eher von den möglichen tatsächlichen Ursachen für das Unglück ab.“ Mit den Anklagen solle das Unglück auf „menschliches Versagen“ zurückgeführt werden.

Der Bericht der Bahnexperten sieht hinter dem Unglück neben der mutmaßlich mangelhaften Wartung des Schienenabschnitts auch einen verkehrspolitischen Konflikt: Der betroffene Streckenabschnitt sei zu verengt gewesen, der künstliche Bachverlauf zwischen Bahndamm und den Straßenneubauten „regelrecht hineingequetscht“ worden.

Todbringende Barriere für den Unglückszug

Damit sei nicht nur der dringend notwendige zweigleisige Ausbau dieser Bahnstrecke unmöglich gemacht worden. Durch die künstliche Verlegung des örtlichen Baches neben die Gleise und die höherliegende Straße dahinter „wurde mit der gegenüberliegenden, massiven Straßenkante genau jene todbringende Barriere erschaffen, an der die vom Bahndamm heruntergerutschten Waggons zerschellt sind“.

Für den mehrfach tödlichen Ausgang des Unglücks sei daher vorrangig die Verlegung des Katzenbachs an den Bahndamm verantwortlich. Diese Entscheidung sei getroffen worden, „weil sein natürliches Wildwasser-Bachbett dem großräumigen Straßenbau im Wege lag.“ Dies weise auf den Konflikt zwischen Bahn- und Straßenausbau hin.

Die Bahnexperten und Gewerkschafter fordern vom Management der Deutschen Bahn AG nun Antworten auf eine Reihe von Fragen. Vor allem müsse geklärt werden, wer für die bauliche Planung vor Ort verantwortlich war. Es sei bei dem Streckenabschnitt schließlich mit bloßem Auge erkennbar gewesen, dass eine Zugentgleisung in einer eine Katastrophe münden würde – zumal keine Schutzmaßnahmen ergriffen worden sind.

Fragen werfen auch Luftbilder auf, die 28 hellere Betonschwellen zeigen, „was auf Auswechselungen in neuerer Zeit schließen lässt“. „Waren diese Betonschwellen gebrochen?“, heißt es in dem Bericht, der Fotos enthält, auf denen mutmaßliche Bruchstücke alter Schwellen zu sehen sein könnten.

Quelle: Telepolis 26.7.22

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