rail blog 72 / Michael Jung

Bahn muss nicht immer Vollbahn bedeuten

Im Rahmen der festen Fehmarnbelt-Hinterlandanbindung (FFBQH) soll die Bahnstrecke zwischen Fehmarn und Lübeck in weiten Teilen neugebaut und entlang der Autobahn A1 trassiert werden. Bekanntermaßen will die DB, leider auch unterstützt vom Land Schleswig-Holstein und peinlicherweise auch von einigen Anliegerkommunen, die Bestandsstrecke auf dem Abschnitt zwischen Timmendorfer Strand und Neustadt/Holstein, bekannt als Bäderbahn, weil sie zahlreiche Ostseeseebäder erschließt, nach Fertigstellung der FFBQH stilllegen.

Die Seebäder wären damit faktisch vom Bahnverkehr abgeschnitten und nur noch durch Umsteigen in den Bus, von den Bahnstationen an der Neubaustrecke, mit dem ÖPNV erreichbar. Zwischenzeitlich dämmert aber einigen Seebädern, dass dies keine gute Idee ist, weil es weder zum Klimawandel passt, noch für die Seebäder förderlich ist, die schon heute unter dem zunehmenden Autoverkehr und besonders in der Hochsaison völlig verstopften Straßen leiden. Fünf Jahre, nach der von der Politik mitgetragenen Stilllegungsabsicht der DB gibt es nun einige Kommunen, die an der Sinnhaftigkeit der Entscheidung zweifeln und sich bemühen, die Bäderbahn ggfs. unter einem anderen Betreiber als der DB und Übernahme der Infrastruktur weiterzuführen. Aber hierbei wird wieder mechanisch an einem klassischen Vollbahnbetrieb, wenn auch ggfs. mit Akkutriebwagen gedacht. Neue Ideen wie die Anbindung mit High-Speed-Katamaranen oder mit einer Seilbahn, die z.T. von der Politik lanciert werden, sind entweder komplett abwegig oder dienen nur der Ablenkung. Andere Ideen werden entweder erst gar nicht näher in Betracht gezogen oder stoßen aus Unkenntnis auf Ablehnung.

Eine solche alternative Verkehrskonzeption wäre die Umstellung und Erweiterung der Strecke auf eine Überlandstraßenbahn.  Diese Linie könnte von Travemünde – bis dahin geht die elektrifizierte Bahnstrecke von Hamburg – über Timmendorfer Strand, Haffkrug und Sierksdorf nach Neustadt/Holstein führen, sollte aber auch gleich über Pelzerhaken hinaus bis nach Grömitz verlängert und zweigleisig ausgebaut werden. Weitgehend sollte die alte, zur Stilllegung vorgesehene Bahntrasse genutzt werden, aber auch Linienkorrekturen in den einzelnen Kommunen, um die Schwerpunkte des lokalen Verkehrs besser anzubinden, sollten gleich mit eingeplant werden. Elektrifiziert würde dann die ganze Strecke mit der üblichen Straßenbahnspannung von 750V.

Vorbild für eine solche Küstenstraßenbahn ist die 70 km lange „Kusttram“ entlang der belgischen Küste von Knokke/Heist über Zeebrügge, Blankenberge, Oostende und Nieuwpoort – nach De Panne. Auf dieser z.T. direkt durch die Dünen und entlang der Hauptverkehrsstraßen in den Kommunen verlaufenden Strecke wird in der Hochsaison ein strammer 10-Minutentakt, verdichtet auf dem 30 km langen mittleren Streckenabschnitt, ein 5-Minutentakt gefahren. Und die langen Straßenbahnzüge sind immer rappelvoll. Kern der Flotte sind die bald dreißig Jahre alten Hochflurwagen aus belgischer Fertigung, ergänzt um ein eingehängtes Niederflurmittelteil aus deutscher Produktion, sowie, besonders in den Sommermonaten, aus dem Straßenbahnnetz von Gent abgezogenen Siemens Niederflur Straßenbahnen.

Derzeit erfolgt eine Umstellung der Gesamtflotte auf Neubaufahrzeuge von CAF aus Spanien. Zu erwähnen ist, dass dieser Straßenbahnbetrieb in einem herausfordernden Umfeld der direkten Salznebelsprühzonen am Meer, gepaart mit häufig auftretenden Sandverwehungen bis 1 Meter Höhe stattfindet. Diese werden aber vom Betreiber De Lijn binnen kürzester Seit mit Schneeschleudern/-pflügen ähnlichen Geräten routiniert beseitigt. Jeder deutsche Betreiber und erst Recht die DB hätten schon längst vor den Umweltbedingungen für diesen Betrieb kapituliert. Aber vor Ort läuft der Betrieb auch bei stürmischen Wetterlagen im Winter immer stabil.

Das Beispiel zeigt: Überlandstraßenbahnen, die in Deutschland bisher in zehn Bundesländern betrieben werden – bekannteste Beispiele sind wahrscheinlich die Stadtbahn im Raum Karlsruhe-Heilbronn, die Tram zwischen Köln und Bonn sowie die Tramlinien am Ostrand von Berlin –, können auch an der Küste verkehren. Die Bäderbahn in Schleswig-Holstein wäre ein ideales Projekt für die Weiterentwicklung des Konzepts.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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