rail blog 109 / Heiner Monheim

Macht endlich eine dezentrale Güterbahn

Keine defensive Transformation, sondern eine Offensive für die Güterbahn in der Fläche

DB Cargo und Bundesverkehrspolitik am Scheideweg

Am 26.6.2023 berichtet die Süddeutsche Zeitung auf S. 15 im Wirtschaftsteil über Pläne von DB Cargo-Vorständin Sigrid Nikutta für ein Sparprogramm bei DB Cargo mit massivem Personalabbau. Angeblich fordere die Bundesregierung Einsparungen bei Personal und Angebot. Weil zu viel Angebot unwirtschaftlich würde.

Dagegen positioniert sich der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG mit der Forderung an die Bundesverkehrspolitik, einen Kahlschlag vom Personal und Betrieb bei der Güterbahn zu unterlassen und stattdessen ein Förderprogramm in Höhe von 350 Mio. € für den Einzelwagenladungsverkehr zu starten.

Bürgerbahn fragt: Wo bleibt die Forderung nach wirtschaftlichem Straßenverkehr?

Gegen solche Einseitigkeiten läuft Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene Sturm. Durchaus mit selbstkritischem Unterton, weil bei den Debatten zu Verkehrswende und Bahnpolitik auch bei den Umweltverbänden und Bahninitiativen meist der Personenverkehr im Vordergrund stehe. Er betrifft zugegeben im Alltag mehr Bürgerinnen und Bürger als die Güterbahn. Aber unter den Klima-, Umwelt-, Stau und Unfallproblemen des Schwerverkehrs auf den Straßen leiden auch Millionen von Menschen, die das Pech haben, an hochbelasteten Bundes- oder Landesstraßen wohnen zu müssen.

Klimapolitik braucht eine starke Güterbahn, und die muss dezentral sein

Insofern findet die Forderung nach einer Verlagerung von LKW-Verkehren von der Straße auf die Schiene im Allgemeinen breite Zustimmung. Aber wenn es dann um konkrete Maßnahmen geht wie den Ausbau von Güterverteilzentren und Anlagen für den kombinierten Ladungsverkehr (KLV), regt sich in der Regel Widerstand der Anlieger. Und das durchaus zu Recht, wenn es sich um wenige, riesige Giga-Anlagen handelt, die keineswegs dezentral über alle Regionen verteilt werden, sondern dem Konzept einer Korridorbahn mit wenigen Hauptachsen entstammen. Dabei erlauben moderne Umschlagtechniken mit Gabelstaplern und Abrollcontainern, wie sie in der Schweiz vielfach eingesetzt werden, durchaus auch den wirtschaftlichen Betrieb kleiner Güterverteil- und KLV-Anlagen. Voraussetzung ist, dass die Güterbahn nicht nur in den von USA und Kanada geprägten Lang- und Ganzzugkategorien denkt, sondern auch mit kleineren Formaten antritt, die sehr viel schneller be- und entladen werden können und die die vielfältigen regionalen Güterströme über kurze und mittlere Distanzen bedienen.

Nikutta und Wissing müssen eine regionale Renaissance der Güterbahn einleiten und den Einzelwagenverkehr auf der Straße begrenzen

Der massenhafte Lkw- und Lieferwagen-Verkehr auf deutschen Straßen ist zu 100 % begleiteter Einzelwagenverkehr. Hier muss eine vernünftige Verkehrspolitik ansetzen und eine schrittweise Bündelung der einzelnen Lkw in „gepackten“ Einheiten auf variablen Güterzugformaten anbieten. Diese dürfen nicht zu groß und lang sein, damit keine langen Zugbildungszeiten erforderlich werden.

Schienengüternahverkehr (SGNV) muss vom Personenverkehr lernen

Im Personenverkehr hat die Bahnreform mit der Regionalisierung große Effizienzgewinne im Schienenverkehr mobilisiert. Mit einer jeweils flexiblen Anpassung der Triebfahrzeugformate an kleine (=RB), mittlere (=RE) und große (=S) Aufkommen des Schienen-Personennahverkehrs (SPNV), aber mit einem die verschiedenen Aktionsradien (kurz, mittel, lang) berücksichtigenden integralen Taktfahrplan-System (ITF) wurde der SPNV immer erfolgreicher und hat zuletzt durch das 9-Euro- und das 49-Euro-Ticket nochmal gewaltig Schwung aufgenommen.

Der Schindluder mit der Eigenwirtschaftlichkeit

Es war ein kardinaler Webfehler der Bahnreform, den Güternahverkehr auf der Schiene nicht parallel regionalisiert zu haben, sondern unter das Diktat der Eigenwirtschaftlichkeit und damit der Sparkommissare zu stellen. Hätte man Ähnliches bei der Straße gemacht, dann gäbe es heute ein viel kleineres Straßennetz und viel weniger Straßenverkehr, weil der Straßenverkehr im Personen- wie im Güterverkehr extrem unwirtschaftlich und hoch subventioniert ist, was aber die verantwortliche Baulastträger und deren Parlamente stets geschickt in ihren Haushaltsansätzen verbergen. Über die indirekte Folgekosten des Autoverkehrs (z.B. Umwelt, Unfälle) darf man abstrakt reden. Die massive Unterdeckung des gesamten Straßenverkehrssektors einschließlich der Kosten für Parkierung von Pkw und Lkw dagegen darf man politisch nicht thematisieren, dazu fehlen regelmäßig auch die geeigneten Datengrundlagen und Methoden.

Die Schwere im Kopf als Bremse aller sinnvollen Transformation

Die platte „Faszination“ der Rationalisierer orientiert sich an den US-amerikanischen und kanadischen Langzügen von mehreren km Länge und präferiert Giga-Formate. Eine Differenzierung der Formate und Auffächerung der Netze erscheint ihr zu kompliziert. Dabei gibt es klare Erfordernisse der polyzentrischen Raum- und Siedlungsstrukturen und der klein- und mittelständischen Wirtschaft in Deutschland. Ihretwegen wurden ja jahrzehntelang immer neue Straßen gebaut. Und für die Bahn soll das alles nicht gelten?

Frau Nikutta sollte wissen, dass die Güterbahn mit einem Rationalisierungssparkurs und Stelleneinsparungen ihre klimapolitischen Hausaufgaben drastisch verfehlen wird. Die auch von Frau Nikutta geforderte Transformation der Güterbahn muss eben nicht in einen Sparkurs münden, sondern zu einer Angebots- und Kreativitätsoffensive führen, mit einer Erweiterung kleinteiliger und dezentraler Angebote. Wer möglichst viele Güter von der Straße auf die Schiene zurückholen will, braucht dafür neue Konzepte, darunter: kleinere Fahrzeuge und kleinere Anlagen. Und für deren Betrieb wird weiterhin viel Personal gebraucht.

Als „Zwilling“ kann der SGNV viel vom SPNV lernen mit dessen modernen Triebzugkonzepten und dem Einsatz von Flügelung bei Streckenverzweigung. Die Taktdichte muss dabei nicht so hoch wie im SPNV werden, aber mehrere Fahrten je Tag und Relation sollten schon angeboten werden. Und wie das Umsteigen zum viel genutzten SPNV gehört, müssen auch im SGNV die Güter wieder umsteigen lernen, mit modernen Gabelstaplern und Hubliftern und bei den kleinen Einheiten auch mit Bedienung im Selbstverlad.

Nur so kann man den extrem hohen Anteil von Lkw- und Lieferwagen-Fahrten über kurze und mittlere Distanzen verkleinern. Dafür braucht man eine Angebotsoffensive, die die Tausenden leerstehender Güterschuppen im deutschen Bahnnetz wieder reaktiviert. Die viel mehr Engagement in offensives Marketing steckt. Die bei allen anstehenden Schienenreaktivierungen den Güterverkehr als wichtigen Aufgabenbereich mit bedenkt.

Noch mal: Es geht darum, den extrem ineffizienten und umweltbelastenden Einzelwagenverkehr mit Lkw und Lieferwagen massiv abzubauen. Er verstopft die Straßen und schädigt das Klima. Dagegen kann man nur was tun, wenn man nicht nur die üblichen Nahverkehrspläne erstellt, sondern wenn man auch die künftigen Aufgabenträger eines kleinteiligen Güterbahnverkehrs so dezentral wie möglich aufstellt und wenn diese regionale Güterbahnkonzepte entwickeln, bei denen die Potenziale zunehmender Streckenreaktivierungen und einer verbreiteten Wiederinbetriebnahme von Gleisanschlüssen mit modernen, differenzierten regionalen Güterbahnangeboten genutzt werden.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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