rail blog 138 / Michael Jung

Die Graffiti-Bahn

Lärmschutz tut not an Bahnstrecken, die direkt an Siedlungen liegen oder zum Teil aufgrund der historischen Lage der Ortschaften in beengten Tälern mitten durch sie durchgehen (siehe Mittelrheinstrecke). Nicht ohne Grund wenden sich mehr als die Hälfte der über 55 Bahnbürgerinitiativen in Deutschland ausschließlich gegen Bahnlärm und im Überschwang gegen die Eisenbahn an sich.

Bahnlärm, erzeugt durch Flachstellen an den Waggonrädern, verbunden mit den höheren Geschwindigkeiten und längeren Zügen, wie sie heute im Güterverkehr gefahren werden, kann einen um jeden Schlaf bringen. Hier hat sicher die Umstellung der Bremsen bei den Güterwagen von den früher üblichen Graugusssohlen auf die modernen Kunststoffsohlen einige Erleichterung geschaffen, denn letztere rauen die Radreifen nicht mehr so auf, woraus früher die Masse des Lärms entstand. Personenzüge haben heute durchweg Scheibenbremsen und generatorische Bremsen und erzeugen daher beim Bremsen kaum noch Lärm.

Ein weiteres probates Mittel zur Reduzierung des Bahnlärms sind Lärmschutzwände entlang der Bahnstrecken. Bislang galten diese als ausreichend, wenn diese schienennah angebracht und zwei Meter hoch waren. Diese absorbierten den größten Teil des Lärms und ermöglichten den Bahnreisenden nach wie vor einen freien Blick aus dem Zugfenster. Aufgrund der Rechtsprechung wurde über die Zeit hinweg die DB gezwungen, immer höhere Lärmschutzwände einzubauen. Heute sind Schallschutzwände mit sechs Meter Höhe über Schienenoberkante de facto Standard und müssen nach den derzeitigen DB-Bauvorschriften an allen Stellen eingebaut werden, an denen die Gleislage verändert wurde. Dies führt zu dem absurden Ergebnis, dass an Strecken, die bisher völlig ohne Lärmschutzwände waren, wie zum Beispiel an der Hamburger Verbindungsbahn, bei der Erneuerung einer Brücke, weil diese mit einer Gleislageveränderung verbunden ist, auf beiden Seiten sechs Meter hohe Wände errichtet werden, die für die Anwohner rein gar nichts bringen, weil die Hauptquelle des Verkehrslärms an dieser Eisenbahnüberführung nicht die Bahn, sondern die vierspurige Straße ist. Zudem lassen diese Wände die Brücke besonders monströs aussehen und verstellen die Sichtachsen in diesem Stadtquartier.

Viele neugebaute, erneuerte oder erweiterte Eisenbahnstrecken sehen heute aus wie Tunnels ohne Dach. Der Fahrgast sieht – selbst aus dem ersten Stock eins Doppelstockwagens – nichts mehr von der Landschaft, sondern die bundesweit in Einheitsgrau, grün oder braun gefärbten Wände erzeugen bei den Bahnreisenden eine klaustrophobische Enge. Sie verschatten die hinter solchen Lärmschutzwänden liegenden Grundstücke der Anlieger komplett und entwerten diese damit. Es gibt in Hamburg Gärten von Bestandswohnbauten, die nach Bauarbeiten an der Strecke hinter einer solchen sechs Meter Wand zu liegen kommen, in die sich kein Sonnenstrahl mehr verirrt.

Diese riesigen einfarbigen Lärmschutzwände locken natürlich Sprayer und Streetgangs aller Art an, die binnen Wochen nach Fertigstellung einer solchen Wand diese mit ihren Tags, Symbolen und manchmal auch witzigen Bildern verzieren. Die Geschwindigkeit, in der die Bemalung dieser Wände erfolgt, ist atemberaubend, für den Fahrgast eher beklemmend, nimmt dieser die Graffitis nicht als „Kunstwerk“, sondern als simple Schmiererei wahr, die besonders hässlich aussieht, wenn nach einigen Jahren die Farbe verblichen, abgewaschen oder mit neuen Symbolen konkurrierender Gangs übermalt wurde. Auf den ersten Blick ist es unverständlich, warum die DB diesen Schmieraktionen tatenlos zusieht. Das tut sie aber nicht, denn sobald ein politischer Spruch die Lärmschutzwände ziert, kann man sicher sein, dass dieser binnen weniger Tage entfernt oder übermalt wird!

Was tun, um Lärmschutz an Bahnstrecken sicherzustellen, aber gleichzeitig die Verschandelung der Landschaft durch überhohe Lärmschutzwände zu vermeiden, die gleichzeitig das Trennende einer Bahnlinie betonen, sie quasi zur Verkehrsschneise machen, die die Landschaft zerschneidet? Da bieten sich schienennahe niedrige Lärmschutzwände an, die den Lärm direkt an der Quelle – den Radsätzen – absorbieren, ferner der Einbau von Schienewegedämpfern, die das Rollgeräusch zwischen Rad und Schiene wirksam reduzieren, und der Einbau von Kunststoffschwellen, die Rollgeräusche besser als die üblichen Betonschwellen dämpfen. Zudem ließen sich sicher auf mindestens der Hälfte der Lärmschutzwände Photovoltaikpaneele für die klimafreundliche Erzeugung von Strom für die Bahn installieren. Und last but not least gehört dazu die regelmäßige Pflege des Rollmaterials durch das zeitnahe Abdrehen von Flachstellen, wie auch das regelmäßige Schleifen der Schienenköpfe, um Riffeln, die durch Räder mit Flachstellen erzeugt werden, zu vermeiden bzw. schnell zu beseitigen. Aber das kostet Geld, und damit sind wir wieder beim alten Thema: Die Bahn spart dort, wo es um Wartung und Instandhaltung geht. Die megahohen, hässlichen Lärmschutzwände zahlt der Bund, das heißt der Steuerzahler und letztendlich auch der Bahnfahrgast!

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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