rail blog 147 / Joachim Holstein

Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Verkehr und Digitale Infrastruktur am 15.02.2017 (gekürzt)

Von Bundestagsausschüssen geladene Sachverständige haben die Gelegenheit, nicht nur mündlich während der Sitzung Auskunft zu geben, sondern vorab eine Stellungnahme zum behandelten Antrag bzw. Thema einzureichen. Wie schon im Januar 2015, als die DB noch von Rettung der Nachtzüge redete, nutzte ich zwei Monate nach dem Ausstieg der DB diese Möglichkeit, um die Perspektiven der Nacht- und Autoreisezüge und die Situation der 500 Beschäftigten zu beleuchten, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Das Protokoll mit allen Stellungnahmen ist im Internet abrufbar:

https://www.bundestag.de/resource/blob/505978/93f7b1ef18775beaaf4239cf38559667/095_sitzung_protokoll-data.pdf

2015: Ankündigung neuer Nachtzugkonzepte durch die DB

Als vor gut zwei Jahren, am 14. Januar 2015, dieser Ausschuss eine Anhörung zu einem ähnlichen Antrag – BT-Drucksache 18/2494 – durchführte, war für die Deutsche Bahn ihr Vorstand Personenverkehr Ulrich Homburg als Sachverständiger geladen. Herr Homburg räumte zunächst einmal ein, dass die Fahrgastzahlen der Nachtzüge keineswegs sinken würden, wie es die DB zuvor immer wieder behauptet hatte:

Nachfragesituation der Nachtzüge: Stabile Nachfragesituation. Die Züge sind gut gebucht.

Im Verlauf der Befragung gab er bekannt, dass die DB 2015 und 2016 an Konzepten für zukunftsfähige Nachtzüge arbeiten wolle, um danach über Investitionen zu entscheiden:

Was wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erarbeiten wollen, ist ein Satz von Rahmenbedingungen, sowohl unternehmensintern wie extern, die in der Lage sind, eine Basis dafür zu schaffen, dass man Nachtzugverkehre dauerhaft betreiben kann.

Die Investition wird dann von uns vorgenommen, wenn wir ein mittelfristig tragfähiges, wirtschaftliches Gesamtkonzept für ein Produkt Nachtzug erkennen, im deutschen und im internationalen Markt.

Es lässt sich heute feststellen, dass die DB in der Tat an solchen Konzepten gearbeitet hat. Dies betrifft die Bereiche Technik, Fahrpreise, Buchungsmöglichkeiten, Kapazitäten und Fahrplangestaltung.

Im Bereich Technik wurde mit der Entwicklung eines neuen Liegewagen-Typs begonnen. Es wurde ein 1:1-Modell (»Mock-Up«) mit vier einzelnen, abschließbaren Kojen anstelle der üblichen Sechserabteile gebaut und im Herbst 2015 der Fachwelt vorgeführt. Die Resonanz war überwiegend positiv.

Ab Dezember 2015 wurde für die Liegewagen die Wahlmöglichkeit zwischen Vierer- und Sechserbelegung aufgehoben; für die Abteile wurden nur maximal fünf Plätze verkauft, so dass die sechste Liege für Gepäck freiblieb. In den Schlafwagen testete man einige Monate lang das Konzept, eine Dreierbelegung der Abteile nur bei Komplettbuchung eines Abteils anzubieten, so dass Einzelreisende auf ihrem Bett aufrecht sitzen konnten und maximal eine andere, fremde Person im Abteil hatten.

Die wichtigste Veränderung betraf die Sitzwagen: Die alten Ruhesesselwagen wurden durch normale Sitzwagen ersetzt; die Reservierungspflicht wurde abgeschafft; die zuvor nur auf Teilstrecken im Zug befindlichen oder von Gästen nutzbaren »Pendlerwagen« wurden auf der gesamten Nachtstrecke mitgeführt und für Gäste zum Zu- und Ausstieg an jedem Haltebahnhof freigegeben; die Sitzwagen wurden als InterCity angezeigt und angeboten, so dass sie im Internet genauso schnell und einfach gebucht werden konnten wie Tageszüge; die Anzahl der Sitzwagen wurde auf manchen Strecken verdoppelt oder verdreifacht; die Auswahl der Haltebahnhöfe wurde stärker am Bedarf orientiert.

Herbst 2016: DB evaluiert die neuen Nachtzugkonzepte

Der Erfolg dieser 2015 begonnenen Maßnahmen war enorm: im Oktober 2016 gab der Vorstand Verkehr und Transport der DB Berthold Huber bekannt, dass die Beförderungsleistung in den Sitzwagen um 30 Prozent gestiegen war. Bei einem Anfang Dezember 2016 vorgestellten »Nachtzugmonitoring« per September 2016 [siehe dazu auch https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.deutsche-bahn-nachtzuege-sind-staerker-gefragt.d36ff327-3b55-4f49-9e4c-f3eecddabfd7.html] wurden für die ersten neun Monate des Jahres 2016 gegenüber dem Vorjahreszeitraum folgende Zuwächse festgestellt:

  • + 14,4 % bei der Beförderungsleistung aller Nachtzüge
  • + 20,2 % im Netz Hamburg/Amsterdam-Frankfurt-München/Zürich
  • + 20,3 % im Netz Köln-Berlin-Warschau/Prag
  • +   5,9 % in allen Schlaf- und Liegewagen (bei leicht reduziertem Platzangebot)
  • + 27,2 % in allen Sitzwagen (bei deutlich ausgeweitetem Platzangebot)

Auf einigen Linien stieg die Beförderungsleistung in den Schlaf- und Liegewagen um über 10 Prozent, in den Sitzwagen sogar um über 50 Prozent. An der niederländischen Grenze sowie zwischen Hannover und Berlin verdreifachte sich die Zahl der Sitzwagenreisenden, zwischen Hannover und Kassel verdoppelte sie sich.

Die DB bezeichnet das als »Entwicklung der Nachfrage«. Diese Darstellung trifft nicht den Sachverhalt, denn die Nachfrage war auch vorher schon vorhanden, aber sie konnte nicht befriedigt werden, weil die Kapazität der Nachtzüge nicht ausreichte. Umgekehrt nahm die DB Anfang September 2016 aus den auf München zulaufenden Zugteilen zwei von vier Schlafwagen heraus. Daraufhin sank zwangsläufig die Zahl der Reisenden auf dieser Strecke, aber von einer sinkenden Nachfrage an Plätzen in Richtung München konnte zwei Wochen vor Beginn des Oktoberfestes sicherlich keine Rede sein.

Die schlechten Zahlen der Verbindungen nach Italien beruhen darauf, dass mehrere Wochen lang die Züge wegen baustellenbedingter Fahrplanabweichungen als nicht buchbar, teilweise sogar als nicht existent angezeigt wurden. Selbst Stammgäste schauten sich hier schon nach Flugverbindungen um. Sobald die Fahrgäste wieder die Chance hatten, einen Nachtzug zu buchen, waren sie wieder an Bord. Aber ausgerechnet die treuesten Kunden – Stammkunden im hochpreisigen Bereich, die den Nachtzug wegen der Zeitersparnis und wegen des Komforts allen anderen Verkehrsmitteln vorziehen – wurden von der DB 2014 bei der Zielgruppenanalyse ausgeblendet.

Hier tauchen keine Geschäftsreisenden, keine Politiker und keine Wissenschaftler auf, für die der Nachtzug die bequemste oder sogar die einzige Möglichkeit ist, einen Abendtermin am Ort A und einen Vormittagstermin am Ort B miteinander zu verbinden. Oft nutzen diese Kunden in der einen Richtung den Nachtzug und in der anderen den ICE. Nicht erwähnt werden auch Menschen, die aus Umweltschutzgründen oder wegen des Landschaftserlebnisses Bahn fahren wollen – oder gelten sie auch als »Eisenbahnnostalgiker«, analog zu denen, die aus medizinischen Gründen Flugverbot haben und wohl unter »Flugphobiker« subsumiert werden sollen?

Auch bei der Nennung der Reisendenzahlen blendete die DB bis zuletzt die Reisenden in den Sitzwagen aus. 2013 waren es 1,2 Millionen; seitdem hat die Zahl noch zugenommen.

Das Defizit der Nachtzüge wurde 2016 gegenüber 2014 halbiert

Für 2012 gab die DB das Defizit der Nachtzüge (EBIT) mit 9 Mio. Euro an, für 2013 nannte sie 18 Mio. und für 2014 37 Mio. Euro Verlust. Das war der Stand, als die letzte Anhörung stattfand und die Verbesserungsmaßnahmen angekündigt wurden. Im »Nachtzugmonitoring« wurden für 2015 noch 30 Mio. Euro Verlust genannt und für 2016 ein negatives EBIT von nur noch 20 Mio. Euro prognostiziert – also eine Halbierung der Verluste gegenüber 2014.

Diese Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. So wurden beispielsweise beim Übergang von 2012 auf 2013 »Erlöse aus Pendlerwagen« mit einem geschätzten Volumen von 5,4 Mio. Euro »nicht berücksichtigt«; bei der Berechnung des »Deckungsbeitrages 1« tauchte neben der Spalte »Kosten« plötzlich eine Spalte »Vertrieb« mit einem Volumen von 8,1 Mio. Euro auf, und die Overheadkosten stiegen um sage und schreibe 41 Prozent, in absoluten Zahlen um 5,2 Mio. Euro. 2015 sollen die Fahrzeugkosten um 5 Mio. Euro höher gelegen haben als 2014, obwohl zum Jahreswechsel die 34 reparaturanfälligen Doppelstock-Schlafwagen ausgemustert worden waren.

Das Ergebnis hätte noch besser ausfallen können, wenn bei Flügelzügen im Falle der Verspätung eines Flügelzuges der andere Zug pünktlich auf die weitere Reise geschickt und der andere Zug separat nachgeführt worden wäre, anstatt den pünktlichen Zug am Knotenbahnhof zwei, drei oder sogar fünf Stunden warten zu lassen und sich verärgerte Fahrgäste, schlechte Presse und hohe Entschädigungen im Rahmen der Fahrgastrechte einzuhandeln. Auch die Erstattungen für Downgrades wegen der häufigen Ersatzgestellungen durch Liegewagen, weil Schlafwagen nicht zügig repariert wurden, führten zu vermeidbaren Belastungen.

Zwischenfazit: Gute Perspektiven für die Nachtzüge

Die DB hat Projekte in der von Ulrich Homburg 2015 vorgestellten Richtung entwickelt und dadurch sowie mit Hilfe anderer Maßnahmen das Defizit der Nachtzüge von 2014 bis 2016 halbiert. Da 2018 die Trassengebühren in den Nachtstunden gesenkt werden, verbessern sich die Rahmenbedingungen für die Nachtzüge weiter. Die vorliegenden Zahlen zeigen: Die Rahmenbedingungen für Investitionen und den Weiterbetrieb der Nachtzüge sind im Grunde gegeben.

Gegenteilige Entscheidung der DB: Einstellung vor Evaluation

Bekanntlich hat die DB nicht abgewartet, ob die entwickelten Konzepte greifen, sondern hat Ende 2015 beschlossen, ihre Nachtzüge mit Schlaf- und Liegewagen einzustellen. Vorstand Berthold Huber stellte es am 17. Dezember 2015 in einer Pressekonferenz so dar:

Es stimmt, dass wir unter anderem mit der ÖBB im Gespräch sind, weil der Nachtzugverkehr in deren Produktionsstrukturen und deren Fahrzeugstrukturen besser passt als bei uns und wir auf die Art und Weise den Nachtzug für den Kunden im Kern aufrechterhalten können und wir selber gegenüber das, was wir heute ohnehin schon an Nachtzug mit ICEs haben, wir fahren ja vier ICEs als Nachtzüge, gerne aufstocken würden auf zehn, die werden von den Kunden sehr gut angenommen, die können wir aus dem laufenden Produktionskonzept fahren, also ausgesprochen günstig produzieren, und die auch mit, auch da haben wir vorher schon mal drüber diskutiert, ergänzen mit netzergänzenden Nachtbussen, so dass wir ein ganzheitliches Nachtzugkonzept entwickelt haben, das tatsächlich unter anderem auch mit der ÖBB diskutiert wird, zu fahren.

Die DB Fernverkehr AG hatte ihre Tochterfirma DB European Railservice GmbH (DB ERS), die das Personal auf den Nacht- und Autoreisezügen stellte, am 1. Dezember 2015 über die geplante Einstellung der Nachtzüge informiert und leitete die Auflösung der DB ERS ein. Alle Bemühungen der Betriebsratsgremien, die fast 500 Arbeitsplätze zu retten und die DB ERS beispielsweise als Personal auf den oben genannten ÖBB- und ICE-Nachtzügen oder auf Zügen anderer Betreiber einzusetzen, wurden abgeblockt. Von der 2016 durchgeführten Mitarbeiterbefragung der DB wurden die Beschäftigten der DB ERS ausgeschlossen. Und obwohl zum Dezember 2016 einerseits die ÖBB alle Schlafwagen und einen Teil der Liegewagen übernahmen und rund die Hälfte der Nachtzuglinien weiter betrieben und andererseits die DB Fernverkehr AG die bisherigen InterCity-Kursgruppen der Nachtzüge als InterCity-Züge dort weiter betrieb, wo die ÖBB nicht aktiv werden wollten, lehnte man es ab, diesen Übergang des Betriebs der Nachtzüge auf ÖBB und DB Fernverkehr als Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB zu behandeln und allen Beschäftigten die Weiterbeschäftigung anzubieten. Stattdessen müssen sie sich auf andere Stellen im Konzern bewerben und selbst bei weiterer Ausübung ihres Berufs als Mitarbeiter im Fahrdienst mit Lohneinbußen von bis zu 30 Prozent rechnen. Ein selbst organisierter Wechsel auf die Nachtzüge der ÖBB kam für die Beschäftigten auch nicht in Frage, denn der Subunternehmer der ÖBB, die österreichische Tochter des französischen Konzerns Newrest, stellt nur befristet ein und hat seine Lohnstruktur auf das österreichische Rentenniveau abgestimmt, das um 50 bis 80 Prozent über dem deutschen liegt und Sonderleistungen für Geringverdiener und Nachtarbeiter aufweist.

Erkenntnisse aus den ersten zwei Monaten des neuen Nachtverkehrs

Bezüglich der ÖBB-Nightjets ist die allgemeine Wahrnehmung: Die Kunden sind dankbar, dass es auf einigen Strecken noch Nachtzüge gibt. Die Nightjets der ÖBB sind mindestens genauso voll wie die CityNightLine-Züge der DB.

Die DB hat von den Plänen Abstand genommen, nachts zusätzliche ICEs einzusetzen. Stattdessen werden IC-Garnituren verwendet, das heißt: faktisch fahren einige IC-Kursgruppen der bisherigen Nachtzüge weiter, teilweise in derselben Fahrplanlage, teilweise mit derselben Zugnummer. Allerdings gibt es keine angehängten Schlaf- und Liegewagen mehr und damit auch keine Gastronomie. Einige Züge fahren nur am Wochenende oder im Hochsommer. Die DB präsentierte diese Züge am 7. Oktober 2016 wie folgt:

Mit der Ausweitung der nächtlichen IC-/ICE-Verbindungen ist Deutschland 24 Stunden am Tag mit der Bahn mobil

Es wurde der Eindruck erweckt, als seien die herausgestellten Leistungsmerkmale neu:

  • Die Möglichkeit, den Frankfurter Flughafen nachts um 4 Uhr zu erreichen
  • Nachts von Frankfurt nach Mannheim oder von Stuttgart nach Berlin zu fahren
  • Sparpreise, BahnCard und Sonderangebote zu nutzen
  • Zuschlagfrei zu reisen

Alle diese Merkmale trafen auch schon auf die Nachtzüge der DB zu, wurden zuletzt aber nicht mehr beworben.

Ferner gibt es Merkmale zur Komfortsteigerung, die angesichts des Umgangs der DB mit den bisherigen Nachtzügen geradezu grotesk wirken. So werden jetzt die Durchsagetexte »deutlich verkürzt, um schlafende Fahrgäste nicht zu stören«. In den Nachtzügen der DB erfolgten aber zwischen 22 und 6 Uhr, teilweise bis 7 Uhr überhaupt keine Ansagen. Die schon 2014 vorgeschlagene Option, an nächtliche IC-Züge je nach Bedarf Schlaf- und Liegewagen anzuhängen, war allerdings seinerzeit ausgeschlossen worden, da angeblich auch nachts an jedem Halt eine ausführliche Beschallung erfolgen müsse.

Außerdem wird nunmehr das Licht zentral gedimmt, was in den Sitzwagen der CNL-Züge aus Sicherheitsgründen untersagt war.

Das Bordpersonal soll Fleecedecken und »Schlafsets« bestehend aus Nackenkissen, Ohrstöpseln und Schlafmaske verkaufen. Fleecedecken gab es in den Ruhesesselwagen der CNL-Züge gratis. Unklar ist, wie mit von Gästen zurückgelassenen Fleecedecken und Teilen der Schlafsets verfahren werden soll: Dürfen sie nochmals verkauft werden oder sind sie zu entsorgen?

An vielen dieser Dinge wird deutlich, dass die DB sich beim Service- und Betriebskonzept für nächtliche Züge nicht auf die Sachkunde der Mitarbeiter auf ihren Nachtzügen gestützt hat.

Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Antrag DS 18/7904

In den elf Monaten, die seit Einreichung des Antrags vergangen sind, hat die DB Fakten geschaffen, die den Zielen des Antrages zuwiderlaufen. Dennoch kann der Bundestag im Sinne dieses Antrages handeln.

Es besteht ausreichende Nachfrage sowohl nach komfortablen Nachtverbindungen auf der Langstrecke als auch nach Städteverbindungen auf der Kurzstrecke. Selbst dort, wo Hochgeschwindigkeitszüge nur noch drei- bis fünfeinhalb Stunden benötigen, haben Nachtzüge ihre Berechtigung, wie das Beispiel Paris-Stuttgart-München zeigt, wo zwischen der letzten Verbindung am Abend und der ersten am Morgen eine Lücke von 11 bzw. 13 Stunden klafft. Bis 2008 verließ der direkte Nachtzug Paris kurz vor 23 Uhr und erreichte Stuttgart kurz nach 6 Uhr und München um 9 Uhr. Damit bot er einen Zeitvorteil von drei bis fünf Stunden.

Die Annahme der DB, das Wettbewerbsumfeld des Nachtreiseverkehrs werde sich »durch neue Angebotsoffensiven der Marktteilnehmer« verschärfen, ist zu pessimistisch und steht in bemerkenswertem Kontrast zu den sonst so optimistischen Annahmen der DB, etwa was die Wirtschaftlichkeit des Projektes »Stuttgart 21« und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm betrifft. Die größten Angebotsoffensiven kamen 2016 von der DB in Form von Tickets zu 19 Euro und einem auf 10 Euro reduzierten Liegewagenaufpreis, was Fahrten im Liegewagen für 29 Euro – mit BahnCard für 24,25 Euro – ermöglichte.

Die ÖBB alleine können nicht die gesamte Nachfrage befriedigen, insbesondere auf Strecken, die nicht von Österreich aus mit Personal bedient werden können, denn die Europäische Eisenbahn-Fahrpersonalverordnung EFPV lässt keine viernächtigen Umläufe zu, etwa von Wien über Hamburg nach Paris und zurück. Die EFPV verlangt, dass auf jede auswärtige Ruhezeit eine Ruhe am Dienstort folgt; mit einem tariflich vereinbarten Ausgleich sind auch zwei auswärtige Ruhen vor Rückkehr an den Ausgangsort möglich. Ein Anbieter aus einem kleinen Staat kann folglich den Bedarf in einem Gebiet, das sich von Kopenhagen über Amsterdam, Paris und Zürich bis nach Rom, Zagreb, Prag und Warschau erstreckt, nicht alleine abdecken. Es bedarf der Kooperation zwischen verschiedenen Bahnunternehmen.

Beispiele für solche Kooperationen lieferten früher die Staatsbahnen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz mit dem nach den Autokennzeichen als »DACH« bezeichneten Betreiber der ursprünglichen CityNightLine-Züge, später die DB und die ÖBB viele Jahre lang mit dem gemeinsamen Betrieb des EuroNight zwischen Hamburg und Wien und derzeit mit ICE-Garnituren, auf denen die Logos beider Bahnen prangen. Für den Betrieb der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Deutschland und Paris haben die DB und die SNCF eine gemeinsame Tochtergesellschaft namens Alleo gegründet. Seit 1999 betreibt das Joint Venture der DB und der Nederlandse Spoorwegen (NS) namens »ICE International« den ICE-Verkehr von Deutschland nach Amsterdam und Brüssel.

Es ist also vorstellbar, auch im Nachtzugbereich zu kooperieren. Schmerzlich vermisste Verbindungen wie die Nachtzüge nach Paris und Kopenhagen, zwischen Zürich und Köln/Amsterdam, Berlin und Köln, Berlin und München sowie zwischen Zürich und Dresden könnten auf diese Weise wieder in Betrieb genommen werden.

Im Mai 2016 haben Bahnexperten den Entwurf eines mitteleuropäischen Nachtverkehrsnetzes namens »LunaLiner« vorgestellt, das auf realistischen Annahmen basiert: Orientierung an seit langem befahrenen Verbindungen zwischen Hauptstädten, Ballungsräumen und wichtigen Knotenpunkten; lokbespannte Züge mit Wagenmaterial, das für 200 km/h zugelassen ist; Nutzung von Hochgeschwindigkeitstrassen ungefähr im bisherigen Umfang; Möglichkeit der Flügelung.

Entwurf des »LunaLiner«-Netzes; grün: Kernnetz mit ausgestaltetem Fahrplan

Für das Wagenmaterial eines zukunftsfähigen Nachtzugsystems kann auf moderne Typen zurückgegriffen werden. Dazu zählen die Schlafwagen, die gerade von der DB an die ÖBB verkauft wurden, die für Langstrecken konzipierten Schlafwagen osteuropäischer Bahnen sowie die vor kurzem in Berlin umgebauten Talgo-Garnituren, die mit einer automatischen Spurwechselvorrichtung ausgestattet sind. Für den Liegewagenbereich kämen Fahrzeuge in Betracht, die verschiedene Komfortkategorien von Einzelkojen bis zu Sechserabteilen innerhalb eines Wagens bieten. Für den Sitzwagenbereich stehen Fahrzeuge – mit Großraum und mit Abteilen – zur Verfügung, die problemlos auch in Tageszügen eingesetzt werden können und so die Synergie erhöhen.

Ein an den Interessen der Kunden orientiertes Nachtzugsystem muss über ausreichende Kapazitäten für Fahrräder und sperriges Gepäck (z. B. Skier und Snowboards) verfügen. Die DB verfügt über sogenannte Halbgepäckliegewagen mit jeweils 20 Fahrradstellplätzen, die auf den Verbindungen aus der Schweiz nach Amsterdam, Hamburg, Berlin und Dresden sowie zuletzt von München nach Amsterdam und Hamburg eingesetzt wurden und sehr stark ausgelastet waren. Im wachsenden Segment des Fahrradtourismus sind Reisende prägend, die mit dem eigenen, hochwertigen und ihnen vertrauten Rad unterwegs sein wollen, und solche, die eine Langstrecke auf dem Rad zurücklegen wollen. Für beide Gruppen kommen Leihräder am Urlaubsort nicht in Betracht, sondern nur eine möglichst umsteigefreie und bequeme Langstreckenverbindung, wie sie der Nachtzug bietet.

Ein modernes Nachtzugsystem verfügt selbstverständlich über Gastronomie an Bord, mindestens in Form eines Bistros.

Ein zukunftsfähiges, länderübergreifendes Nachtzugsystem muss ein einheitliches, einfaches und robustes Buchungs- und Preissystem aufweisen. Es muss mit den üblichen Fahrkarten der jeweiligen Länder zu benutzen sein, die üblichen Rabattkarten wie BahnCard, Vorteilscard und Halbtax/SwissCard müssen anerkannt werden. Es müssen durchgehende Fahrkarten für die gesamte Reisekette mit allen Zügen im Vor- und Nachlauf erhältlich sein, so dass bei Verspätungen die vorgesehenen Entschädigungen greifen und alternative Züge genutzt werden können.

Für dieses umweltfreundliche Verkehrssystem sollte der Bund die Weichen stellen. Er sollte durch Erleichterungen bei der Umsatz- und der Energiesteuer die immer wieder, nicht zuletzt bei der Anhörung vom Januar 2015 beklagte Diskriminierung des grenzüberschreitenden Zugverkehrs gegenüber dem Flug- und dem bisher nicht bemauteten Busverkehr verringern oder völlig beseitigen. Damit würde er eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung des auf dem Pariser Klimagipfel Ende 2015 vereinbarten Abkommens schaffen.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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Ein Kommentar zu “rail blog 147 / Joachim Holstein”

  1. Ein sehr informativer und gut geschriebener Beitrag, der deutlich aufzeigt, was für gravierende Fehlentscheidungen die DB getroffen hat und weiterhin trifft.

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