General- oder Minimalsanierung?
Bundesverkehrsminister Wissing plant zusammen mit der DB die sog. „Generalsanierung“. Das klingt zunächst sehr verheißungsvoll, als würde jetzt das gesamte Bestandsnetz der Bahn modernisiert. Denn das ganze Bestandsnetz hätte aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung und vielfacher Desinvestitionen sowie des vielfachen Fahrens auf Verschleiß und aufgrund der starken Abnutzung durch Hochgeschwindigkeitszüge des ICE-Verkehrs dringend eine Modernisierung nötig. Das werden alle Vielfahrer bestätigen, die unter den vielen Störungen im System, seinen Strecken, Bahnübergängen, Stellwerken und Fahrzeugen und dadurch bedingten Verspätungen leiden.
Der irreführende Begriff Generalsanierung suggeriert, danach würde alles besser. Weit gefehlt. Die Generalsanierung bezieht sich lediglich auf 40 Streckenabschnitte mit insgesamt rund 4200 Streckenkilometern auf sieben Hauptkorridoren. Den ganze Rest des gravierenden Sanierungs- und Modernisierungsstaus läßt das Konzept außer Acht. Wenn 30.0000 km ohne Sanierung bleiben, ist das eher eine Minimalsanierung. Und insoweit mal wieder ein Beleg für die grundlegende Fehlorientierung der deutschen Bahnpolitik und des DB-Managements auf eine Korridorbahn. Der Rest „guckt in die Röhre“.
Klimapolitisch braucht Deutschland aber für eine Verkehrswende eine leistungsfähige Flächenbahn, die auch abseits der sog. Hauptkorridore ein modernes und kundenfreundliches Angebot macht. Und für eine hohe Leistungsfähigkeit sorgt, damit im ganzen Netz moderner Taktverkehr im Raster des begrüßenswerten Deutschlandtakts möglich wird. Dafür braucht man den Wiedereinbau von an vielen Stellen fehlenden Weichen und Überholgleisen, den Bau vieler neuer Bahnhöfe und Haltepunkte überall da, wo die alte Bahn an den neuen Wohn- und Gewerbegebieten ohne Halt vorbei fährt. Und wo für den regionalen Güterbahnverkehr Gleisanschlüsse, Güterschuppen und Güterrampen sowie kleine, dezentrale GVZ-Und KLV-Anlagen fehlen.
Das offizielle Konzept der Generalsanierung ist zerstörerisch im doppelten Sinn. Denn es wird einen erheblichen Teil der gerade durch das 9 € Ticket neu gewonnenen Personenverkehrsnachfrage durch die mit der Generalsanierung einher gehenden Erschwernisse massenhaften Schienenerstatzverkehrs und großer Umwegfahrten mit Verzögerungen gegenüber bisherigen Fahrplänen vergraulen. Und es wird im ganzen Rest des Netzes noch mehr als bisher zur Vernachlässigung der dringenden bahnpolitischen Hausaufgaben der Sanierung, Modernisierung und des Ausbaus führen.
In der Schweiz und in Österreich erfolgen Sanierungen und Ausbaumaßnahmen meist unter „rollendem Rad“. Auf diese zugegeben etwas kompliziertere und teuerere Form der Sanierung muss eine verkehrswendeorientierte Verkehrspolitik die Bahn dringend umpolen. Damit aus der Generalsanierung kein Fiasko wird. Und damit die dringenden Maßnahmen im restlichen Netz zeitnah geplant und umgesetzt werden, auch und vor allem in ländlichen Regionen, die bislang „Stiefkinder“ der Verkehrswende sind und durch die Korridorbahn ignoriert werden.