rail blog 157 / Aktionsbündnis gegen Stuttgart21

Stuttgart 21: Wie sich die Landeshauptstadt aus ihrer Verantwortung als Projektpartner stiehlt

Über das Projekt Stuttgart 21 wurde an dieser Stelle schon oft geschrieben. Zuletzt ging es um die Finanzierungsklage der Bahn gegen die Projektpartner, wonach die Landeshauptstadt sich mit weiteren 1,3 Milliarden Euro an den explodierenden Kosten beteiligen soll. All das hindert aber die Verantwortlichen der Stadt, an der Spitze OB Dr. Nopper, nicht daran, in Vasallentreue der Deutschen Bahn ins Verderben zu folgen.

Jüngstes Beispiel sind immer mehr äußerst kurzfristig angekündigte Vollsperrungen von Schienenstrecken in der gesamten Region mit Schienenersatzverkehren (SEV) und damit verbundenen Ärgernissen für Nutzerinnen und Nutzer des ÖPNV. Dahinter stecken enorme Probleme der Bahn, den vorgesehenen Inbetriebnahmetermin Dezember 2025 einzuhalten und gleichzeitig auch noch den aufgepfropften Digitalen Bahnknoten zur Einführung des Zugsteuerungssystems ETCS herzustellen.

Verkehrsminister Hermann hat öffentlich erklärt, das Land BW hätte die erste derartige elfwöchige Vollsperrung zwischen Waiblingen und Stuttgart-Bad Cannstatt verhindern können, wolle aber nicht die Verantwortung für ein Verschieben des Eröffnungstermins übernehmen. Ohne rechtzeitig informiert worden zu sein, hatte die Stadt umfangreiche Eingriffe in den Straßenverkehr zur Ermöglichung der Busersatzfahrten vorgenommen und zugelassen, dass wegen des Komplettausfalls der S-Bahnen viele Menschen auf die Stuttgarter Stadtbahnen auswichen. Dies brachte dann die Straßenbahnen durch Ausfälle und Verspätungen aus dem Takt. Unmittelbar nach Beendigung dieser Sperrung wurde die S-Bahn-Stammstrecke für 6 Wochen voll gesperrt. Direkt anschließend werden Sperrungen wieder den Raum Waiblingen betreffen.

Dieter Reicherter, Sprecher des Aktionsbündnisses und selbst Betroffener, hatte in einem Schreiben an den Stuttgarter Oberbürgermeister, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der Stuttgarter Straßenbahnen AG ist, auf die Probleme der ersten Vollsperrung und auf die Behauptung der Bahn „Die Politik hat´s so gewollt“ (wörtliches Zitat des S21-Chefs Drescher) aufmerksam gemacht. OB Dr. Nopper ließ ihm daraufhin durch seine Stadtdirektorin Klett-Eininger mitteilen, bei den aktuellen Sperrungen biete die DB „ein leistungsfähiges Ersatzkonzept“ an.

Dies veranlasste Reicherter, OB Dr. Nopper seinen „Abenteuerbericht“ über seine Erlebnisse mit dem Ersatzverkehr zu übersenden und dem OB eine gemeinsame Fahrt im SEV vorzuschlagen. Allerdings vergeblich, denn die Antwort der Stadtdirektorin lautete: „Wir bedauern, dass Sie bei Ihren häufigen Bahnfahrten so viele Schwierigkeiten erlebt haben und haben Ihr Schreiben an die Bahn zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet.“ Also nichts mit politischer Verantwortung der Stadt.

Doch auch die von der Stadt in die Pflicht genommene Bahn hatte keine Lust und schrieb nach 3 Wochen per Mail an Reicherter:

„Sie haben sich Zeit genommen, uns über Ihre Erfahrungen mit der Bahn zu berichten. Ihre Unzufriedenheit können wir nachempfinden.

 Wir nehmen Ihre Hinweise ernst und bedauern, dass wir Sie dieses Mal nicht von unserer Leistung überzeugen konnten. Jede Rückmeldung hilft uns, für Sie besser zu werden.

Für die entstandenen Unannehmlichkeiten bitten wir Sie um Entschuldigung. Bitte geben Sie uns Gelegenheit, Sie auf Ihrer nächsten Fahrt wieder von unseren Leistungen zu überzeugen. Ihre Hinweise haben wir sorgfältig erfasst und zur Auswertung an die zuständigen Fachbereiche übermittelt. Wenn Sie noch eine Frage haben, zögern Sie nicht uns anzurufen. Wir haben rund um die Uhr ein offenes Ohr für Sie und freuen uns, wenn wir Ihnen helfen können.“

Das ließ Reicherter nicht ruhen. Er leitete der Stadtdirektorin die Mail weiter und schrieb dazu: 

„Sehr geehrte Frau Klett-Eininger,

ich komme auf Ihre Mitteilung vom 28.7.2023 zurück, wonach Sie mein für Herrn OB Dr. Nopper bestimmtes Schreiben über meine Erfahrungen mit den Streckensperrungen an die Bahn zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet hätten.

Mir ging nun die nachfolgende Mail der DB zu, die sich offensichtlich auf Ihre Weiterleitung bezieht. Ich selbst habe der DB nicht geschrieben, weil das völlig nutzlos ist. Ich könnte Ihnen jede Menge derartiger Standardtexte als Nachweis vorlegen. Ebensowenig macht es Sinn, aufgrund der Mail die angegebene Telefonnummer anzurufen oder gar einen Brief an den Kundendialog zu schreiben. Schade, aber so ist nun mal der Umgang der Bahn mit ihren Kundinnen und Kunden.

Schade aber auch, dass sich die LHS ihrer Verantwortung nicht stellt. Denn die Probleme der SSB, deren Aufsichtsratsvorsitzender Herr OB Dr. Nopper ist, hängen direkt mit der Unfähigkeit der DB zusammen. Ich empfehle Herrn Dr. Nopper sehr, mich einmal während der Stammstreckensperrung der S-Bahn auf der Alternativstrecke (von Backnang her kommend) ab Bad Cannstatt Wilhelmsplatz mit der U1 oder U2 ins Zentrum zu begleiten. Das ist ja die einzige Möglichkeit, wenn man ins Zentrum will, dem Fernwanderweg ab Hbf. oben zur Stadtbahn oder zum SEV ab Arnulf-Klett-Platz zu entgehen. Wenn man schon die DB entlasten will, sollte man aber für entsprechende Kapazitäten der Stadtbahnen sorgen. Dass Frauen mit Kinderwagen oder Menschen mit Fahrrädern nicht immer mitkommen, ist schon schlimm genug. Dass man aber abends im Berufsverkehr körperliche Gewalt braucht, um sich am Wilhelmsplatz durch die völlig überfüllte Bahn zum Ausstieg durchzukämpfen, ist unzumutbar.

Freundliche Grüße und beste Empfehlungen an Herrn Dr. Nopper!“

Über Dieter Reicherter

Vorsitzender Richter am Landgericht a.D., zuletzt tätig gewesen am Landgericht Stuttgart als Vorsitzender einer Strafkammer

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