rail blog 166 / Michael Jung

Bahnalltag, wie er in der überregionalen Presse nicht auftaucht – oder das Drücken vor der Verantwortung

Meldung 28.8.23 im Nordkurier aus Pasewalk: „Hunderte Reisende stranden in Vorpommern am Bahnhof ohne Klo“. Bitteschön wer kennt schon Pasewalk, muss man auch nicht. Ist aber ein wichtiger Bahnknoten in Vorpommern und daher Umsteigebahnhof für Fahrten nach Ueckermünde, Neubrandenburg, Szczecin/Polen und nach Usedom. Mit dem 49-Euro Ticket sind gerade für Berliner das Stettiner Haff (Ueckermünde) und Usedom mit den Kaiserbädern Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin beliebte Wochenend- aber auch generell wichtige Urlaubsdestinationen.

Da die DB immer häufiger auch banale Bauarbeiten nur unter vollständiger Sperrung der Bahnstrecken durchführt, wurde die zweigleisige, elektrifizierte Hauptstrecke von Berlin über Prenzlau-Pasewalk-Anklam-Greifswald-Stralsund (RE3), auf der normalerweise zweistündlich lokbespannte Züge mit fünf Doppelstockwagen verkehren, zwischen Prenzlau und Pasewalk über Wochen hinweg nur im Schienenersatzverkehr bedient. Der bestellte Schienenersatzverkehr reichte nicht aus, um alle Reisenden eines Zuges, die zur Ostsee wollten, aufzunehmen. Folglich strandeten über 300 Reisende über mehrere Stunden hinweg am Bahnhof Pasewalk. Nun ist aber der Bahnhof gar kein Bahnhof mehr, denn im Rahmen der Ausverkaufsaktion der DB wurde das denkmalgeschützte Bahnhofsgebäude 2016 verkauft und dann in einer Versteigerung 2018 an einen in Deutschland lebenden türkischen „Investor“ verscherbelt, der nicht erreichbar ist. Der hatte aber nichts Besseres zu tun, als das Bahnhofsgebäude weiter verkommen zu lassen, in der Hoffnung damit die Kommune erpressen zu können, die nicht tatenlos dem weiteren Verfall des an sich sehr schönen Gebäudes zusehen will. Aber wie viele strukturschwache Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern ist die gerade einmal 10.000 Einwohner zählende Stadt Pasewalk klamm und kann kein Geld für die Sanierung des Bahnhofsgebäudes aufwenden. Ergo tut sich gar nichts.  Der Wartesaal ist verschlossen, und Klos, die es offensichtlich mal im Bahnhof gab, waren verriegelt, weil kaputt.  Und die DB-Auskünfte auf Nachfragen der lokalen Presse sind ebenso zynisch wie entlarvend:

„Der Haltepunkt mit täglich rund 1.500 Gästen sei in die Kategorie Vier eingestuft worden. ‚Die Ausstattung ist entsprechend limitiert.‘ … Das Unternehmen [DB] biete nur dort Toiletten an, wo es muss. ‚Der Eigentümer [des Bahnhofsgebäudes] hat auch kein Interesse daran, dort Toiletten zu betreiben‘“.

Und die DB wurde im Verkehrsvertrag für den Betrieb des RE3 seitens des Aufgabenträgers auch nicht verpflichtet, dort einen Wartesaal und Toiletten vorzuhalten. Aufgrund der Presse-Berichterstattung kommen die üblichen unglaubwürdigen Beschwichtigungen aus der DB-Kommunikationsabteilung:

„Der aktuelle Eigentümer ist nicht zu erreichen. Daher sucht die DB gemeinsam mit der Stadt Pasewalk nach einer zukunftsfähigen Lösung. … Ein Ergebnis ist hier aber nicht zeitnah zu erwarten, da der Sanierungsstau des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes erheblich ist.‘ Alle Versuche, mit dem Eigentümer Kontakt aufzunehmen, seien gescheitert. … ‚Derzeit befinden sich noch Ausstattungselemente der Deutschen Bahn in der Eingangshalle des Gebäudes. Hier wird aber der Rückbau geprüft, weil seitens des Eigentümers derzeit weder Reinigung noch Reparaturen erbracht werden. … Die DB reinigt schon auf eigene Kosten den vorderen Bereich und beseitigt auch Havarien teils auf eigene Kosten. Es entsteht also der Eindruck einer DB-Liegenschaft, die sich aber nicht ist.‘ Als Wirtschaftsunternehmen bedaure man die Situation, werde aber nicht mehr tun.“

Stundenlanges Warten ohne Klo auf einem mit hunderten von Bahnreisenden gut gefüllten Bahnhof und das noch bei erheblicher Hitze, lässt diese Bahnreise sicher bei vielen mit sehr negativen Erinnerungen zurück. Der Imageschaden für das System Bahn durch solche Ereignisse ist enorm. Die verantwortlichen DB-Bürokraten verstecken sich hinter ihren Regularien und Zwängen.

Aber die Grundsatzfrage wird nicht gestellt: Wer hatte den Verkauf des Bahnhofs zu verantworten, der ja Ausgangspunkt der dargestellten Situation ist? Zum damaligen Zeitpunkt hieß der Vorstandsvorsitzende der DB Dr. Grube!

Und eine grundlegende Frage wird auch nicht gestellt: Hat die DB als öffentliches Unternehmen nicht die gesellschaftliche Verantwortung für die Wahrung des kulturellen Erbes unseres Landes? Dazu gehören auch die Bahnhöfe vor allem an wichtigen Bahnknoten, besonders wenn diese dann noch unter Denkmalschutz stehen. Es wird erheblichen politischen Drucks bedürfen, dass die ab 1.1.2024 neu aufzustellende „Gemeinwohlorientierte“ Infrastrukturgesellschaft sich dieser Verantwortung stellt. Dazu zählt auch der Rückkauf aller, zumindest aller unter Denkmalschutz stehenden, Bahnhöfe.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

Zeige alle Beiträge von Michael Jung →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert