rail blog 184 / Michael Jung

Den Erfolg des 49-Euro-Tickets durch zusätzliche Kapazitäten und begleitende Maßnahmen absichern

An jedem Wochenende kann man jetzt beobachten, dass die Regionalexpresszüge brechend voll sind. Das gilt besonders für die lang laufenden RE-Linien, zum Beispiel Hamburg – Hannover, Hamburg – Bremen, Hamburg – Rostock, Wismar – Cottbus, Magdeburg – Frankfurt/Oder oder für die Linien zu den beliebten Seebädern wie Berlin – Rostock, Hamburg – Travemünde, Hamburg – Westerland, Berlin – Stralsund und so weiter. Die meisten dieser Linien werden aufgrund der guten Grundauslastung schon jetzt mit Doppelstockeinheiten gefahren, aber an den Spitzentagen sind die Züge so voll, dass die Reisenden auch in allen Gängen in beiden Etagen und den Eingangsbereichen dicht an dicht stehen. Sicher keine komfortable Reise bei Fahrzeiten von ein bis drei Stunden und mehr. Erstaunlicherweise ertragen die Reisenden das mit relativer Ruhe und Gelassenheit: Hauptsache mitkommen und ankommen. Das ist die neue Freiheit durch das 49-Euro-Ticket. Aber wie lange hält die Geduld der Reisenden an, wann werden sie sich wieder vom 49-Euro-Ticket abwenden?

Durch die mehr als Vollauslastung gelangen auch die robusten Doppelstockwagen an ihre technischen Kapazitätsgrenzen, und Räumungen von Zügen wegen Überfüllung durch die Bundespolizei kommen leider immer häufiger vor. Fahrkartenkontrollen sind in derart überfüllten Zügen nicht mehr möglich, und das Zugbegleitpersonal beschränkt sich darauf, dafür zu sorgen, dass bei den Ein- und Aussteigevorgängen keine Reisenden – insbesondere mobilitätseingeschränkte Passagiere – zu Schaden kommen und der Zugbetrieb trotz der verlängerten Fahrgastwechselzeiten noch einigermaßen pünktlich abläuft.

Also: Was tun, um dem einerseits erfreulichen – was den Passagierzuspruch angeht –, andererseits misslichen Zustand – was das Gedränge und die technische Belastung des Rollmaterials angeht – Zustand schnellstmöglich abzuhelfen? Eine Erhöhung der Zugfrequenz, sprich Halbstunden- statt Stundentakt ist in den meisten Fällen aufgrund mangelnder Streckenkapazität, fehlenden Personals und unwilliger Aufgabenträger kurzfristig nicht umsetzbar. Allenfalls können an Wochenenden die sonst im Berufsverkehr eingesetzten Verstärkerzüge auch fahren. Bleibt als kurzfristige Lösung also nur, die Sitzplatzkapazitäten der jetzt fahrplanmäßig verkehrenden Züge zu erhöhen. In den meisten Fällen, wo die Strecken mit lokbespannten Doppelstockzügen (Dostos) bedient werden, würde es schon helfen, zwei und mehr zusätzliche Dostos in die Zuggarnitur einzureihen. Bei mehr als sieben Dostos könnte, abhängig von der eingesetzten Zugmaschine, eine zweite Lokomotive erforderlich sein, aber auch das lässt sich leicht lösen. Eine so verlängerte Einheit bräuchte weder mehr Personal noch neue Trassen. In Ländern wie Belgien sind auf hochbelasteten Strecken lokbespannte Wendezüge mit neun Dostos und einer Lokomotive die Standardausstattung. Auf einzelnen Strecken, die früher mit dreizehn einfachen Reisezugwagen bestückt wurden, fahren jetzt 10 Dostos und drei normale Reisezugwagen im Wendezugbetrieb ebenfalls mit nur einer Siemens Lokomotive! Warum ist das hier nicht machbar? Zum einen, weil hier immer mehr Schlaumeier bei den Aufgabenträgern auf Triebwagenzüge setzen. Aber diese lassen sich nicht so flexibel dem gestiegenen Bedarf anpassen, weil die Kapazität immer nur sprungweise, durch das Ankoppeln einer weiteren Triebzugeinheit, vergrößern lassen … und das kostet deutlich mehr und benötigt dann auch mehr Personal, weil die Triebzüge in Deutschland ja nach dem Ankoppeln nicht durchgängig begehbar sind.

Natürlich kommen alsbald nach am Ankoppeln zusätzlicher Wagen die klugen Strategen aus dem Busch und sagen, die Bahnsteiglängen an manchen Unterwegsbahnhöfen reichen nicht aus. Auch dafür hat die Deutsche Bahn durchaus Lösungen, wenn sie nur will. Sie verfügt über mobil einsetzbare Stahlkästen, die relativ einfach als Bahnsteigverlängerung genutzt werden können. So gesehen am Bahnhof Salzwedel, als die DB die ICE Züge Hamburg – Berlin über Uelzen und Stendal führen musste. Alternativ – und das funktioniert auch –  werden dann die Türen der Waggons, die außerhalb des Bahnsteigs halten, einfach nicht geöffnet. Dafür kann das Personal sorgen, indem die Türen händisch verriegelt werden (wie bei den üblichen Türstörungen) oder elektronisch mittels selektiver Türsteuerung. Aber man muss wollen.

Der gesteigerten Nachfrage müssen auch die sonstigen Bahnhofseinrichtungen angepasst werden. Das fängt ganz einfach an mit dem Aufstellen zusätzlicher Müllbehälter auf den Bahnsteigen, mit dem Anbringen größerer Papierkörbe in den Waggons und mit häufigerer Reinigung der in der Regel viel zu kleinen „Aschenbecher“ in den Sitzgruppen. Die Kosten für den zusätzlichen Aufwand zur Abfallbeseitigung müssten eigentlich die Eigentümer der immer zahlreicher werdenden Imbiss-/FastFood-/Coffee-to-Go-Läden an den Bahnhöfen tragen, die kräftig von den gestiegenen Passagierzahlen profitieren und über die man gewollt oder ungewollt an fast jedem größeren Bahnhof stolpert.

Ein Problem bleibt: Die zu geringe Zahl an WCs in den Zügen. Spätestens wenn ein oder zwei kaputt sind, kommen Nöte auf. Und die Ausstattung aller DB-Bahnhöfe mit brauchbaren Sanitäranlagen lässt mehr als nur zu wünschen übrig. Daher sollten auf allen Unterwegsbahnhöfen ohne Sanitäranlagen temporär, bis diese nachgerüstet sind, Dixi-Klos aufgestellt werden.

Auf den großen Bahnhöfen müsste die DB auch für mehr Personal auf den Bahnsteigen sorgen, welches die Passagierströme besser lenkt und Reisende davon abhält, in den Zug einzusteigen, bevor alle Passagiere ausgestiegen sind. Das 49-Euro-Ticket hat viele „Neubahnfahrende“ generiert, die erst einmal lernen müssen, wie man sich verhält, damit der Fahrgastwechsel zügig vonstatten geht.  Angesichts der deutlich größer gewordenen Passagiermassen werden sich die Fahrplangestalter auch damit anfreunden müssen, an den Knotenbahnhöfen die Haltezeiten um ein bis zwei Minuten zu verlängern.

Fazit: Der Erfolg des 49-Euro-Tickets muss jetzt mit kleinteiligen Maßnahmen durch die Bahnhofsbetreiber, die Eisenbahnverkehrsunternehmen aber auch die Aufgabenträger abgesichert werden, damit nicht die neugewonnenen Reisenden aufgrund zu vieler negativer Erfahrungen das 49-Euro-Abo kündigen. Damit wäre der Verkehrswende nicht geholfen.

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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