rail blog 185 / Heiner Monheim

14 Thesen zur Zukunft der Bahnen in Deutschland

Vorbemerkung

2021 fand in Berin schon mal ein sog. „Bahngipfel“ statt. Zu dem hatte ich ein Thesenpapier mit 14 Thesen verfasst, das mir jetzt anläßlich des von uns schon mehrfach kritisch kommentierten diesjährigen Bahngipfels in Erinnerung kam. Vielleicht hätte ich dies Thesenpapier damals auch an die Tür des Berliner Bahntowers „nageln“ sollen, damit es eine richtige Wirkung entfaltet. Denn angesichts der durchgehenden Ignoranz der Mächtigen gegen die Erfordernisse einer Verkehrswende kann einen schon mal ein „heiliger Zorn“ erfassen, den seinerzeit wohl Martin Luther für seine Thesen gegen die mächtigen Kirchenoberen gespürt hat.

Irgendwie haben die „quasireligiösen“ Verhärtungen der Bahnvorstände und des Spitzenpersonals in den Verkehrsmnisterien des Bundes und der Länder Parallelen zu damaligen Ignoranz der Päpste gegen die Entartungen des Ablasses und die Prasserei des „Kirchenadels“ bei gleichzeitg hungerndem Kirchenvolk.

Aber natürlich wollen wir Bürgerbahner keinen 30jährigen Glaubenskrieg anzetteln, wie er sich als Reaktion auf die Thesen Luthers und die Machtkämpfe zwischen den Religionen (der alten katholischen und der neuen protestantischen) aufgeschaukelt hatte, mit unfassbaren Verwüstungen und Millionen von Toten.

Trotzdem mutet der Streit um die richtige Bahn- und Verkehrspolitik manchmal wie ein Glaubenskrieg an, der durch kontroverse Glaubensbekenntnisse gespeist wird und bei dem es auch keine Basis für einen echten Ideenwettstreit gibt, kein Forum für den Dialog mit Kritikern, kein offenes Zuhören auf die vielen Mahnungen, sondern ein stures Durchregieren mit dem Druck der administrativen Macht und alten parlamentarischen Beschlüssen wie den BVWP, der als Monstranz und Legitimation an der Spitze der Prozessionen der Beton- und Hochgeschwindigketisfetischisten und Bahnhofsspekulanten getragen wird, obwohl seine Grundlagen aus der Zeit gefallen sind.

Genug der Anspielungen auf quasireligiöse Heilslehren, jetzt also in „medias Res“ der Thesen.

Die Zukunft der Bahn zwischen Flächenbahn und Korridorbahn

Präambel:

Verkehrswende entscheidet sich vor allem dezentral in den Städten, Dörfern und Regionen des Landes. Nur wenn Busse und Bahnen auch in der Fläche ein attraktives Angebot machen, kann massenhaftes Umsteigen in den öffentlichen Verkehr erwartet werden. Dafür muss der jahrzehntelange Rückzug der Schiene aus der Fläche umgekehrt werden. Die 400 derzeit diskutierten Streckenreaktivierungen müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Aus den erfolgreichen S-Bahnsystemen und dem viele Jahre sehr erfolgreichen InterRegio müssen für die Investitionen die richtigen Lehren gezogen werden.

These 1: Kundennähe durch mehr Zugangsstellen

Eine kundennahe Personenbahn braucht viel mehr Bahnhöfe und Haltepunkte. Wo eine solche Strategie angewendet wurde, hat es immer massive Fahrgastzuwächse gegeben. So gesehen muss das Vorbild der erfolgreichen S-Bahnsysteme endlich in die Fläche gebracht werden. Alle Ober- und Mittelzentren brauchen S-Bahn-ähnliche Stadt-Umland-Bahnen.

These 2: Kapazitäts- und Netzerweiterung durch Reaktivierungsprogramm

Aktuell werden in Deutschland ca. 400 Reaktivierungen diskutiert ( bei der Allianz pro Schiene und VDV sind es leider nur die ersten 230 vordringlichen Reaktivierungen und es fehlen noch viele andere Beispiele, aber auch die 230 kommen nur schleppend voran). Um sie schnellstmöglich zu realisieren, muss ein eigenes Bundesprogramm mit schnell abrufbaren Investitions- und Haushaltsmitteln und angemessenen Planungskapazitäten aufgebaut werden. Die bislang sehr starren Beurteilungsmaßstäbe für die Wirtschaftlichkeit des ländlichen Schienenverkehrs müssen flexibilisiert werden und die Standards für Strecken und Fahrzeuge den ländlichen Bedingungen nach dem Vorbild von Überlandstraßenbahnen angepasst werden. Für Kapazitätserweiterungen braucht man den zweigleisigen Ausbau eingleisiger Strecken oder wenigstens den Einbau zusätzlicher Kreuzungsstellen mit entsprechenden Weichenpaaren.

These 3: Renaissance des IR Interregio 2.0

Eine erfolgreiche Bahn braucht nach dem Vorbild unserer Nachbarländer attraktive InterRegio-Verbindungen im Halbstundentakt, die alle Ober- und Mittelzentren untereinander anbinden. Der Ausstieg aus dem sehr beliebten InterRegio war ein schlimmer strategischer Fehler. Für die InterRegios braucht man neue elektrische Triebzuggarnituren, die für einen wirtschaftlichen Betrieb als Ganzzüge, Halbzüge und Drittelzüge mit Flügelung eingesetzt werden. Damit das neue IR-System alle Regionen anbindet, muss der Bundesgesetzgeber im Schulterschluß mit den Ländern eine gesetzliche Basis für den bestellten Fernverkehr schaffen und dafür angemessene Mittel bereitstellen.

These 4: Schienenbus 2.0 als Basis der E-Mobilität

Eine wirtschaftliche Bahn braucht für den ländlichen Raum innovative Fahrzeugkonzepte, für die der alte Schienenbus Vorbild sei kann, natürlich jetzt als moderner Akku-Elektrotriebwagen oder Oberleitungstriebwagen. Nicht zu groß, nicht zu schwer, nicht zu schnell und angepasst für den Einsatz abseits der Hauptkorridore auf den vielen Stichstrecken.

These 5: Systemgeschwindigkeit statt Bolzstrecken

Nicht die Höchstgeschwindigkeit auf einzelnen Korridoren entscheidet über den Erfolg, sondern die Netz/Systemgeschwindigkeit einschließlich aller Zu- und Abgangszeiten und Umsteigezeiten. Schneller wird die Bahn durch ein dichteres Netz, einen dichteren Takt und mehr Zugangsstellen und nicht durch ein paar Hochgeschwindigkeitsachsen. Die massive Verringerung des Autoverkehrs ist Ziel der Klimaneutralität. Dies gelingt am ehesten mit 200 km/h als Zielgeschwindigkeit im Hauptnetz und 120 – 160 km/h im übrigen Netz der großen Strecken und 80 km/h auf den kleinen ländlichen Stichstrecken.

These 6. Deutsche und EU-weite Nachtnetze

Eine erfolgreiche Bahn braucht für den immer stärker wachsenden Spätverkehr und als attraktiver Konkurrent mit dem innereuropäischen Flugverkehr ein dichtes nationales und internationales Nachtzugnetz mit Schlaf- und Liegewagen, an dem sich auch die DB wieder engagiert beteiligt. Durch Bereitstellung eigener Nachtzugarnituren. Sich in der Mitte Europas als größte europäische Bahn aus diesem Geschäft zu verabschieden, war ein schlimmer strategischer Fehler. Wobei im Interesse der Wirtschaftlichkeit nichtnur reine Schlaf- und Liegewagenzüge, sondern multifunktionale Zuggarnituren mit Sitzwagenanteilen bzw. einfacher Umrüstung zum Sitzwagen nötig sind, die die langen nutzlosen Standzeiten vermeiden.

These 7: Die Bahn als Basis der Elektromobilität

Eine effektive Bahn braucht neue Fahrzeugkonzepte, in denen die Elektrotraktion entweder als Akku-Triebzug oder Oberleitungstriebzug zum Standard wird. Die Zeit der Dieseltraktion geht zu Ende. Umrüstprogramme müssen dafür sorgen, dass die Dieseltriebwagen des SPNV schnell „elektrifiziert“ werden können. Statt Prämien für E-Pkw und E-Lkw muss die Beschaffung von E-Fahrzeugen auf der Schiene für alle in Deutschland operierenden Bahnunternehmen mit Prämien unterstützt werden.

These 8: Taktverkehr überall und schnellstmöglich

Der Deutschlandtakt ist eine zwingende Notwendigkeit. Aber weil seine Realisierung mit dem Knotenausbau leider noch lange dauert, müssen vorher schon regionale ITF-Konzepte umgesetzt werden. Der Deutschlandtakt darf nicht vom Fernverkehr „gekapert“ werden, um mit ihm weitere Hochgeschwindigkeits-, Neu- und Ausbaustrecken zu legitimieren. Nur mit dichten und durchgängigen Takten können Wartezeiten minimiert und das Umsteigen problemlos werden. Deswegen müssen als Zwischenlösung unabhängig vom Langfristziel Deutschlandtakt überall jetzt schon regionale, integrale Taktfahrpläne etabliert werden, unter Einbeziehung des StrÖPNV.

These 9: Bus-Schiene-Konzepte

Damit die Bahn auch in der Fläche hohe Akzeptanz findet, braucht es viel mehr stimmige Bus-Schiene-Konzepte. Der ländliche Busverkehr darf sich nicht nur auf den Schülerverkehr beschränken. Die Landkreise als Aufgabenträger müssen ihre Busnetze so ertüchtigen, dass es vertaktete Landbus- und Dorfbusnetze gibt, die auch den Einkaufs- und Freizeitverkehr bedienen, mit angepassten Fahrzeugkonzepten für elektrische Mini- und Midibusse. Damit sich auch mittlere und kleine Städte und ländliche Gemeinden angemessen für den ÖPNV engagieren, braucht es in den Nahverkehrsgesetzen eine Verpflichtung der Kommunen für eigene lokale ÖPNV-Konzepte und Angebote. Darüber hinaus braucht man dann regionale Plus- und Schnellbuslinien. In dem Sinne braucht es außerdem eine Reaktivierung der alten Posatbusse und Bahnbusse als wichtige Zu- und Abbringer in die Fläche in der Aufgabenträgerschaft des Bundes. Das alles muss offensiv vermarktet werden mit attraktiven, einfachen Tarifen. Nahverkehrspläne der neuen Generation müssen offensiv konzipiert werden, mit Verkehrswendeduktus.

These 10: Intermodale Angebote ausbauen

Der intelligenten intermodalen Kombination der Verkehrsmittel gehört die Zukunft. Die Bahnen der Zukunft verknüpfen Schiene und Radverkehr mit Radstationen, Bike & Ride und Fahrradverleih an Bahnhöfen und bieten ausreichend Kapazitäten für die Fahrradmitnahme im Nah- und Fernverkehr. Und engagieren sich auch bei dezentralen Car Sharing Angeboten. Die DB muss mit der Infrastruktursparte Station und Service die Anbindung des Radverkehrs als Pflichtaufgabe wahrnehmen, einschließlich der nötigen Ladestationen für die Pedelecs. Und die DB muss sich im Bereich der öffentlichen Leihradsysteme bundesweit engagieren, auch und vor allem in ländlichen Regionen.

These 11: Offensive Tarifpolitik

Eine offensive Tarifpolitik sichert den Erfolg der Bahnen und des öffentlichen Verkehrs in Deutschland. Hierfür war das 9 € Ticket ein erster Anfang, seine Fortsetzung mit dem 49 € Ticket eine immer noch akzeptable Fortsetzung. Aber das Aussparen des Fernverkehrs aus dieser Tarifreform hinterläßt eine schmerzliche Lücke. Deutschland braucht deswegen ein einfaches Generalabo nach dem Vorbild der BC 100, aber jetzt zu einem deutlich günstigeren Preis wie das österreichische Klimaticket. Es ist toll, dass der komplizierte Tarifdschungel der vielen Verkehrsverbünde und der vielen Sonderangebote durchforstet wurde. Ein einfacher Deutschlandtarif wird der „Zwilling“ zum Deutschlandtakt. Mit Hilfe von Prämien soll der Erwerb von der neuen BC 100 bei Abschaffung privater Autos gefördert werden. Das ist wichtiger als die Prämien für E-Autos.Regelmäßiges Bahnfahren kann so zum eingeübten Routineverhalten im ganzen Land werden.

These 12: Auch die Güterbahn braucht eine Renaissance in der Fläche

Am einschneidendsten war der Rückzug der Güterbahn aus der Fläche. Die Fläche muss für die Güterbahn zurückerobert werden, wenn das „Entlastern“ der Straßen gelingen soll . Dafür muss bei den Reaktivierungen auch an den Güterverkehr gedacht werden. Neue Konzepte der Landlogistik können hier helfen. Das System der Güterverkehrs- und Güterverteilzentren und KLV-Anlagen muss dezentralisiert werden. Dafür kann man die viele ehemaligen Güterbahnhöfe nutzen. Und man braucht für den regionalen Güterbahnverkehr neue Fahrzeug- und Betriebskonzepte mit einfachen Umschlagtechniken, digitaler Betriebssteuerung und Zugbildung mit Hilfe von Automatikkupplungen. Der Gleisanschluss muss wieder zur Norm aller transportintensiven Betriebe werden. Als Zwilling zum Schienenbus braucht man eine ähnlich flexiblen, kleinen elektrischen Cargo Sprinter.

These 13: Umschichtung von Budgets für den öffentlichen Verkehr

Die Budgets aller Gebietskörperschaften Bund, Länder, Kreise und Gemeinden müssen umgeschichtet werden. Bei den Ausgaben für den Straßenverkehr (Straßennetzausbau und Parkraumausbau) muss massiv gespart werden. Aufgestockt werden müssen die Budgets des öffentlichen Verkehrs. Daher sind die derzeitigen Haushaltesansätze nicht klimaverträglich und müssen völlig neu justiert werden.

These 14: Umschichtung und Umschulung von Personal

Damit Verkehrswende gelingen kann, sind neben der notwendigen Umschichtung von Investitionsmitteln massive Umschichtungen von Personal aus dem bisher bevorzugten Straßenbereich in den Bahn- und ÖPNV-Bereich erforderlich. Für die vielen notwendigen Kapazitätsausbaumaßnahmen im Schienennetz und den Ausbau der Busnetze und für die Gewährleistung eines reibungslosen Betriebs ist viel mehr Personal nötig. Man kann nicht warten, bis die nachwachsende Generation die Lücken füllt. Daher sind großmaßstäbliche Umschulungsprogramme für Verwaltungs-, Planungs- und Betriebspersonal nötig. Und die Bezahlung muß so attraktiv gestaltet werden, dass die Arbeit für die Verkehrswende zur attraktiven Zukunfstaufgabe wird.

So kann die Verkehrswende zu klimaneutraler Mobilität gelingen und können die Bahnen wieder die Nr. 1 im Verkehr werden.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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