rail blog 190 / Joachim Holstein

OLG Frankfurt stoppt Irreführung durch DB-Navigator

Am 2. Oktober wurde über eine Entscheidung des OLG Frankfurt am Main in einem Eilverfahren über den – inzwischen geänderten – Algorithmus der Suche nach »schnellsten Verbindungen« im DB Navigator berichtet.

Der juristische Fachverlag Beck und die »Süddeutsche Zeitung« berichteten korrekt:

DB-Suchfunktion „Schnellste Verbindung anzeigen“ war irreführend

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/olg-frankfurt-db-suchfunktion-schnellste-verbindung-anzeigen-als-irrefuehrend-untersagt

Gericht: DB-Suchfunktion „Schnellste Verbindung“ irreführend

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehr-frankfurt-am-main-gericht-db-suchfunktion-schnellste-verbindung-irrefuehrend-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-231002-99-415736

Demgegenüber waren die Schlagzeilen bei der ARD (»Oberlandesgericht stoppt Suchfunktion in Bahn-APP«) selber irreführend, erst im Text erscheint die entscheidende Information:
Die Funktion war aus Sicht des Oberlandesgerichts Frankfurt irreführend.

Am besten erklärt sich das an einem – fiktiven – Beispiel. Nehmen wir an, man gibt einen Fahrtwunsch von A nach B ein und setzt als Abfahrtszeit »ab 10:00 Uhr«. Und nehmen wir an, mit den ersten vier nach 10:00 abfahrenden Zügen seien – direkt oder mit Umsteigen und vielleicht auf unterschiedlichen Routen – folgende Verbindungen möglich:

Verbindung 1: ab 10:15, an 15:29 = 5:14 Stunden
Verbindung 2: ab 10:23, an 15:29 = 5:06 Stunden
Verbindung 3: ab 10:38, an 16:00 = 5:22 Stunden
Verbindung 4: ab 10:50, an 16:20 = 5:30 Stunden

Welches sind nun die drei schnellsten Verbindungen, die der DB Navigator bis vor kurzem anzeigte? Nicht etwa 1, 2 und 3 – sondern 2, 3 und 4! Und das, obwohl man mit Verbindung 1 früher in B ankommt als mit den drei anderen und obwohl die reine Fahrzeit bei Verbindung 1 kürzer ist als bei Verbindung 3 und 4!

Wie kam das? Ganz einfach: Der Suchalgorithmus war so programmiert, dass er die Verbindung mit der kürzesten Fahrzeit an erster Stelle anzeigte, also Verbindung 2 von 10:23 auf 15:29 Uhr. Und dann zeigte der Algorithmus nur noch Verbindungen an, die später abfuhren als diese Verbindung 2. Verbindung 1 wurde unterschlagen, obwohl sie die zweitschnellste Fahrzeit aufwies und zur gleichen Zeit in B ankam wie Verbindung 2.

Eine Konkurrentin der DB ließ sich das nicht gefallen und klagte. Während das LG Frankfurt als erste Instanz im Mai 2023 das Unterschlagen von Verbindung 1 guthieß, entschied das OLG Frankfurt jetzt in zweiter Instanz, das Verschweigen solcher Verbindungen sei »irreführend und unlauter«, denn:
Verbraucherinnen und Verbraucher würden davon ausgehen, dass es sich – wie beworben – um die schnellsten Verbindungen zu ihrer Suchanfrage handle, „auch weil das primäre Ziel des Verkehrs bei einer Verbindungsabfrage ist, möglichst schnell von A nach B zu kommen“, hieß es in der Entscheidung des OLG.

Das ist absolut nachvollziehbar und zu begrüßen.

Um so verstörender fiel die Reaktion der DB aus:

Die Bahn bedauerte, dass das Oberlandesgericht – anders als die Vorinstanz – die erläuternden Hinweise zur Suchfunktion als nicht hinreichend ausführlich bewerte.

Was sollten »erläuternde Hinweise«? Etwa klarstellen, dass die drei angezeigten »schnellsten Verbindungen« nicht die schnellsten sind? Und dann? Was sollte man dann machen, um die fehlenden Verbindungen angezeigt zu bekommen?

Sorry, liebe DB, aber diese Phrase ist ein englischsprachiges Stoffwechselprodukt eines männlichen Rindviehs. Ihr im Bahntower wisst genau, dass die Kundschaft Informationen kurz und bündig haben will, vor allem auf dem Handy. Was nicht auf dem ersten Bildschirm zu sehen ist, existiert faktisch nicht.

Der Algorithmus stelle Angebote diskriminierungsfrei in der Reiseauskunft dar und werde europaweit von vielen Verkehrsunternehmen genutzt.

Das Wort »diskriminierungsfrei« lädt zum Philosophieren und zu einem Rückblick ein. Es meint vermutlich »weil wir mit diesem Trick nicht nur die Züge unserer Konkurrenz, sondern auch die eigenen preisgünstigeren Züge zugunsten des ICE verschwinden lassen, kann man uns keine Diskriminierung von Wettbewerbern vorwerfen«.

Da würde ich sagen: Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Und genau hier lohnt ein Blick in die Geschichte der DB, denn sie machte den Interregio und andere »ungeliebte« Züge auch mit Hilfe der Fahrplanauskunft platt. Beim Interregio wurde mehrfach berichtet und von Verbraucherschutzorganisationen bemängelt, dass etwa bei Verbindungen von Köln nach Kassel, bei denen der Interregio auf dem Weg auf Nebenstrecken durch die Provinz ein paar Minuten länger brauchte als der ICE bei seiner Fahrt mit Umweg und Umsteigen über Hannover, nur der ICE angezeigt wurde. Selbst am Schalter und auf Nachfrage, ob es da auch eine preiswertere Verbindung gebe, bekamen Fahrgäste oft eine falsche Auskunft. Und auch Nachtzüge wurden auf diese Weise unterschlagen. Der Nachtzug Hamburg-Gießen-Frankfurt-Karlsruhe-Stuttgart wurde bei einer Suche nach »Hamburg – Frankfurt« erst dann angezeigt, wenn man »Direktverbindungen mit Liegewagen« eingab, ansonsten schickte die DB-Website einen stets auf den nächtlich verkehrenden IC von Hamburg über Köln nach Mainz und dann in die S-Bahn nach Frankfurt; bei der Suche nach »Direktverbindungen« wurde überhaupt nichts angezeigt. Und bald darauf hieß es, die Nachfrage nach diesem Zug sei gesunken.

»Wir prüfen nun, inwieweit sich dessen Funktionsweise noch klarer darstellen lässt, vor allem im Hinblick auf das Kriterium Schnelligkeit.«

Das ist eine Standardrhetorik, wenn einer Behörde oder einer Firma ein Gerichtsurteil überhaupt nicht passt und sie nicht bereit sind, es unverzüglich und in vollem Umfang zu befolgen. Dann wird »geprüft, ob«. Dabei hatte die DB den Algorithmus bereits überarbeitet:

Die umstrittene Version der Suchfunktion sei während des laufenden Rechtsstreits offline genommen und geändert worden, hieß es vom Oberlandesgericht

Geht also! Jetzt sieht man die »schnellsten Züge« hintereinander und erkennt auf den ersten Blick die jeweiligen Abfahrtszeiten, Ankunftszeiten und Fahrzeiten, also bei einer Suche nach Hamburg – Köln am 3. Oktober ab 14:30 nacheinander:

Flixtrain, ab 14:49, an 18:58 = 4:09 Stunden
ICE 615, ab 15:45, an 19:47 = 4:02 Stunden
ICE 1021, ab 16:10, an 18:58 = 3:41 Stunden
ICE 205, ab 16:45, an 20:47 = 4:02 Stunden

Warum nicht gleich so?

Die Bahn verwende für die Verbindungsauskunft ein Standardprodukt eines externen Anbieters, sagte eine Bahn-Sprecherin.

Und hier weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, denn die DB rühmt sich ja ihrer europaweit führenden Fahrplanauskunft, die auch von anderen Bahnen, Ländern und Firmen genutzt wird. Die Software ist aus Nutzersicht hochgradig leistungsfähig und »unter der Haube« sicherlich hochkomplex, weil sich damit auch Busverbindungen landauf, landab anzeigen lassen, aber bei der kritisierten Darstellung der »schnellsten Verbindungen« dürfte wohl ein Fall von »geliefert wie bestellt« vorliegen. Gut, dass das OLG Frankfurt jetzt den Bedürfnissen der Kundschaft Vorrang verschafft hat.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

Zeige alle Beiträge von Joachim Holstein →

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert