Verkehrspolitischer Amoklauf
Diese Woche hat das Bundesverkehrsministerium einen verkehrspolitischen Amoklauf mit gleich zwei fatalen Ansagen vollführt. Die erste Ansage betraf den Deutschlandtakt. Er könne frühestens 2070 komplett eingeführt werden. Das heißt aber mit anderen Worten: Die Verkehrswende muss leider bis in die 2070er Jahre verschoben werden. Denn der Deutschlandtakt sollte ja die Grundlage für die Verkehrswende werden. Und die zweite Ansage betraf die Prognose für die weitere Entwicklung des Verkehrsmarktes bis 2050. In der nun schon seit Jahrzehnten von den Verkehrsministern praktizierten Trendverlängerung wird in dieser Prognose ohne den gebotenen grammatischen Konjunktiv verkündet, der Straßengüterverkehr werde in Deutschland bis Mitte des Jahrhunderts noch mal um 54 % zunehmen. Und dafür brauche man eben den weiteren Neu- und Ausbau der Autobahnen. Das wird so dargestellt, als sei das ein zwangsläufiger Automatismus, auf den leider die Politik keinen Einfluß habe. Aber sie müsse diesem Trend eben mit dem beschleunigten Neu- und Ausbau von Autobahnen Folge leisten.
Im Nebensatz erklärt Minister Wissing dann etwas verschämt, dass es natürlich eine Priorität für den Ausbau der Schiene geben müsse. Aber auch der Ausbau der Schiene sei nun mal schwierig und deswegen könnten die Maßnahmen für den Deutschlandtakt frühestens bis 2070 umgesetzt werden. Vorher könne man die Nadelöhre der Schiene nicht ausbauen. 13.000 km eingleisige Strecken treiben den Minister nicht um. Wohl aber der „Engpass“ von vierspurigen Autobahnen, die dringend 6-, 8- oder 10-spurig ausgebaut werden müssten. Und da traut er sich zu, das auch umgehend abzuarbeiten.
Das Alles ist klimapolitischer Harakiri. Bringt aber weder das Parlament noch die Medien aus der Fassung. Allenfalls die Karikaturisten werden solche Aussagen wieder genüßlich aufspießen.
Mit dieser Ansage beweist Herr Wissing eine massive Uneinsichtigkeit gegenüber den Herausforderungen des Klimaschutzes. Er ignoriert das deutsche Klimschutzgesetz und die völkerrechtsverbindlichen Pariser Klimaschutzziele. Und setzt sich damit dem Verdacht der Rechtsbeugung aus. Man kann nur hoffen, dass die Deutsche Umwelthilfe das Verkehrsmnissterium wegen dieser Verstöße verklagt.
Denn statt gigantischen Straßenneu- und Ausbaus braucht das Land ein Moratorium, mit dem allen Fernstraßenmaßnahmen angehalten und auf ihre Klimaverträglichkeit überprüft werden. Mit dem eine Transformation der Planungssysteme weg von der Perfektionierung des Straßenbaus hin zum beschleunigten Bahnausbau erfolgt. Mit einer massiven Umschichtung des Behördenpersonals für Straßenbau in neue Behörden für schnellen Schiennetzausbau. Mit einer Umschichtung der Haushaltsmittel weg von der Straße hin zu Schiene. Und mit einer massiven Aufstockung der Bundesmittel für die Nahverkehrsfinanzierung.
Die bisher methodisch extrem mangelhafte Gesamtverkehrsplanung des Bundes muß in einem großen klimapolitischen Reformpaket den aktuellen Herausforderungen angepaßt werden. In dem Rahmen braucht es auch eine Bahnreform 2.0, mit der der Schienenfernverkehr und die Schienengüterverkehr aus dem Diktat der Eigenwirtschaftlichkeit befreit werden. Das wären angemessene Hausaufgaben für das Bundesverkehrsmnisterium und die Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern.
Die vom Ministerium vorgelegte Trendprognose berücksichtigt überhaupt nicht die klimapolitischen Herausforderungen. Sie ignoriert die Erfordernisse moderner, integrierter Gesamtverkehrsplanung. Sie berücksichtigt nicht die möglichen Wechselwirkungen zwischen dem Ausbau der Angebote im öffentlichen Verkehr und den dort bevorstehenden Tarifmaßnahmen im Nahverkehr, denen jetzt umgehend auch Tarifmaßnahmen im Schienenpersonenfernverkehr folgen müssen, um mit einem Klimaticket nach österreichischem Vorbild oder einem Generalabo nach Schweizer Vorbild massenhafte Umsteigeeffekte zu erreichen. Sie berücksichtigt auch nicht eine grundlegende Reform der Schienenmaut, die den derzeit expansiven Schienenverkehr stranguliert. Sie berücksichtigt nicht die lange vor 2050 erwartbaren EU-Maßnahmen im Bereich einer netzweiten, stufenweise ansteigenden Straßenmaut, die europaweit fahrleistungs- und fahrzeugabhängig für Pkw und Lkw erhoben wird. Dafür hätte man wenigstens Szenarien vorlegen müssen, die wichtige Änderungen der Verkehrspolitik durchspielen. Und dabei ausgehend von den Minderungszielen für die CO2 Emissionen notwendige Abnahmen der Kfz-Verkehrsmengen in den klimabelastenden Verkehrssektoren berechnen müssen. Solche Szenarien gibt es seit einigen Jahren von der Baden-Württemberg-Stiftung, der Hans- Böckler-Stiftung, der AGORA Verkehrswende, der ACATECH und dem Umweltbundesamt. Sie alle gehen von starken Veränderungen in der Verkehrsentwicklung weg von der Dominanz des Straßenverkehrs hin zu einer starken Zunahme des ÖPNV und SPNV plus SGNV und SPFV und SGFV aus.
Herr Wissing, intelligente Politik ist Zukunftsgestaltung und nicht blinde Trendverlängerung!