rail blog 231 / Joachim Holstein

Nie wieder Nightjet?

Man muss nicht drumherumreden – auch bei Nachtzügen kann mal etwas schiefgehen. Die Auswirkungen sind normalerweise gravierender als bei Tagzügen, denn der nächste Zug kommt ja nicht 30 bis 120 Minuten später, sondern erst in der folgenden Nacht … oder notfalls in Gestalt des ersten Fernzuges am Morgen. Und außerdem haben ja die meisten Reisenden nicht nur einen Sitzplatz, sondern eine Liege, ein Bett oder gleich ein ganzes Abteil gebucht, mit allem Komfort und zurück.

Wenn was schiefgeht, dann entscheidet oftmals der Einsatz des Personals und später die Reaktion des Zugbetreibers darüber, ob die Reisenden die Fahrt unter »es gab eine kleine Panne, aber die haben sich toll um uns gekümmert, und wir fahren gerne wieder« verbuchen, oder ob sie sich mit einem vernichtenden Urteil an die Presse wenden:

»Nie wieder Nightjet! Das nächste Mal fliege ich, das kostet genauso viel und ist viel komfortabler«

Das war das Fazit einer Salzburgerin, die mit einer Freundin nach Venedig reisen wollte. Was war passiert?

Susanne L. hatte für sich und ihre Freundin etwas teurere Komfort-Tickets im ÖBB-Nightjet von Wien nach Venedig gebucht. Beide stiegen um 1.40 Uhr in der Früh in Salzburg in den Zug ein und freuten sich auf ein paar erholsame Stunden Schlaf.

»Versprochen wurde uns ein Privat-Abteil zur Einzelnutzung, weil das viel gemütlicher wäre als ein Liegewagen. Doch die Schlafwagen-Waggons waren nicht mitgekommen«, erzählt die Salzburgerin im »Heute«-Gespräch enttäuscht. Die Freundinnen hatten insgesamt 373,80 Euro für die Tickets bezahlt, weil sie ausgeruht in Venedig ankommen wollten und sich als alleinreisende Frauen mehr Sicherheit wünschten.

https://www.heute.at/s/draussen-lag-schnee-aber-oebb-zug-war-nicht-geheizt-120005480

Also »doppeltes Downgrading« von Schlaf- auf Sitzwagen. Kann passieren. Aber der Rest …

Die beiden suchten im ganzen Zug nach Personal, fanden aber niemanden. Es gab also offenbar auch niemanden, der statt des ausgefallenen Schlafwagens dessen Fahrgäste gezielt in Sitz- und vielleicht auch Liegewagen aufsuchte und sich um sie kümmerte.

Der Wagen war eiskalt, und nur ein sachkundiger Fahrgast war in der Lage, die Heizung hochzudrehen. Dabei wäre das die Aufgabe des Personals schon am Abgangsbahnhof gewesen.

Ich behaupte mit der ganzen Erfahrung meiner 20 Jahre bei der Mitropa und der DB European Railservice: So etwas hätte es bei uns nicht gegeben. Meine Kolleginnen und Kollegen, wir alle hätten uns den Allerwertesten aufgerissen, um die Reisenden noch einigermaßen komfortabel ans Ziel zu bringen. Wir hätten jedes freie Bett im Liegewagen vergeben, wir hätten Liegewagen-Reisende mit Viererbelegung gefragt, ob sie gegen Kulanzleistung noch zwei Personen aufnehmen, und wir hätten Decken und Kissen in den Sitzwagen geschleppt und uns außerdem um das leibliche Wohl gekümmert. Warum die Firma Newrest Wagons-Lits Austria nicht so gehandelt hat? Keine Ahnung, ich kann nur darauf verweisen, dass sie nicht zum ÖBB-Konzern gehört und 2016 Tarifgrundlöhne von weniger als 7 Euro zahlte; 2022 war man immerhin bei 11 Euro nochwas angekommen. Es hatte schon seinen Grund, warum 2016 nur zwei von unseren rund 500 Nachtzugpersonalen zur Newrest wechselten …

Alles Weitere, was die Presse dann vermeldete, fällt allerdings in die Verantwortung der ÖBB. Die beiden Reisenden hatten »Komfort-Tickets« für 186,90 Euro pro Person gebucht. Diese Fahrkartenkategorie gibt es bei den ÖBB nur bei den Nachtzügen:

Für Verbindungen mit dem Nachtreisezug bieten wir Ihnen unser ÖBB Komfort-Ticket. Die Kosten für die Fahrt, die Reservierung in der jeweiligen Reisekategorie sowie das Frühstück im Liege- oder Schlafwagen sind hier bereits inkludiert. Das Komfort-Ticket gilt für den gebuchten Zug und die gebuchte Strecke am gewählten Reisetag. Für weitere Zugverbindungen vor oder nach dieser Strecke brauchen Sie gesonderte Tickets.

Bis 15 Tage vor dem 1. Gültigkeitstag werden Komfort-Tickets kostenlos erstattet. Danach fallen bis zum 1. Gültigkeitstag 50% des Fahrpreises (mindestens € 15,-) an.

Die beiden Frauen wandten sich wegen Entschädigung an die ÖBB. Sie bekamen pro Person einen Gutschein – also kein Geld – in Höhe von 34,75 Euro pro Person, garniert mit Belehrungen, die sich die ÖBB besser verkniffen hätten:

»Bei Buchungen bei den ÖBB im Nightjet muss man die Telefonnummer, bzw. Mail-Adresse hinterlassen und wird dann informiert, falls es zu Wagenänderungen kommt. In solchen Fällen entschädigen wir immer nach den allgemein gültigen Fahrgastrechten. … Wenn die gebuchte Leistung nicht angeboten werden kann und keine gleichwertige Komfortklasse zur Verfügung steht, können Fahrgäste von der Reise zurücktreten und erhalten den Ticketpreis erstattet.«

Und wenn einen diese Nachricht nicht erreicht, worauf man in den Zug steigt und dann erst feststellt, dass der Schlafwagen fehlt?

»Wird die Reise in der niedrigeren Komfortklasse angetreten, so besteht Anspruch auf den Differenzbetrag der jeweiligen Komfortklassen. Eine Umbuchung entspricht tariflich einer Stornierung und anschließender Neubuchung. Diese Regelungen sind in unseren Tarifbestimmungen festgehalten«, heißt es abschließend von den ÖBB.

Rrrums, das hat gesessen. Selber Schuld, gnä‘ Frau … und ich möchte wetten, dass beim Errechnen der lächerlich niedrigen Erstattung ein Schlafwagenticket zum Rabattpreis gegen ein Sitzwagenticket zum Normalpreis mit saldierter Stornierungsgebühr aufgerechnet wurde.

Und was war mit dem Personal? Die ÖBB lassen verlauten:

Im Zug hat es ganz sicher Ansprechpartner:innen gegeben. Aber die Sitzwagen haben keine eigenen Stewards – eventuell wird das verwechselt

Mein lieber Herr Gesangverein – das ist die offizielle Antwort auf die Sachverhaltsdarstellung der Kundinnen?

Susanne L. machte sich auf die Suche nach einem Schaffner, doch sie wurde im ganzen Zug nicht fündig.

Nebenbei verbreiten die ÖBB damit die Botschaft: Sitzwagen in den Nachtzügen werden von niemandem betreut. Für Schwarzfahrer und Taschendiebe aller Länder gilt also: »tu felix Austria« …

Die ÖBB sind ja mit dem Slogan »Lässig statt stressig« angetreten, als sie 2016 sechs Nachtzuglinien und 42 moderne Schlafwagen der DB übernahmen:

»Es geht nicht darum, möglichst schnell anzukommen, sondern zur richtigen Zeit«, beschreibt [ÖBB-Chef] Matthä die Philosophie. So lässig, wie er das Nachtzug-Reisen beschreibt, hätte man es gerne: Die Übernachtung im Hotel gespart und nach der Ankunft des Nightjet-Zugs einen Espresso am Canal Grande in Venedig trinken oder eine Melange auf dem Wiener Stephansplatz.

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/osterreicher-ubernehmen-nachtzuge-der-deutschen-bahn-5663677.html

Liebe ÖBB, bei dieser Gastbeschwerde habt ihr an der falschen Stelle gespart. Warum habt ihr nicht gesagt: »Wir bedauern die durch den Wagenausfall entstandenen Unannehmlichkeiten, wir bedauern außerdem, dass kein Personal vorhanden war, um sich proaktiv um Sie zu kümmern; wir erstatten den vollen Fahrpreis, legen einen Fünfziger pro Person für den Stress im Zug und am Ankunftstag drauf und schenken Ihnen einen Gutschein für die nächste Nachtzugfahrt – geben Sie uns eine Chance, Ihnen zu beweisen, dass wir es besser können.«

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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