rail blog 246 / Joachim Holstein

Petersons Traumfahrt

In der »ZEIT« vom 28.12.2023 durften zehn Menschen erzählen, was sie sich für das Jahr 2024 wünschen.

https://www.zeit.de/2024/01/2024-ausblick-wuensche-hoffnung

Einer von Ihnen sagte:

Mein Traum ist eine Bahn, in der sich Menschen zu Hause fühlen. Oder wie im Kurzurlaub. Weil es bequeme Schlafkabinen gibt, Arbeitsecken und Spielzimmer.

In seiner »Traum-Zugwelt« verkehren alle 30 Minuten Züge zwischen großen Städten mit perfekt getakteten Anschlüssen. Und natürlich ist auf diese Traum-Bahn auch in Sachen Pünktlichkeit Verlass.

Von so einer Bahn träumen sicherlich viele. Die Person, die diesen Traum in der »ZEIT« ausbreiten durfte, ist aber keine frustrierte Pendlerin, die wegen der Bahn ihren Job verloren hat (https://www.nachdenkseiten.de/?p=108674), kein Stuttgarter oder Altonaer, dem die Bahn gerade den Bahnhof kaputtmacht, kein Sprecher eines Fahrgastverbandes und kein Vorstandsmitglied von Bürgerbahn, nein – es ist der für den Fernverkehr zuständige Topmanager der Deutschen Bahn AG, Michael Peterson.

Der Mann ist seit 2014 bei der DB, hat also noch die Zeiten erlebt, als die DB einige Züge mit »Schlafkabinen« hatte: diese Kabinen hatten 1 bis 4 Betten, wenn man sich in einem Schlafwagen befand, und 2 bis 6 Liegen, wenn man sich in einem Liegewagen befand. Damit konnte man, bevor Herr Peterson zur Bahn kam, zum Beispiel von Hamburg nach München, von Stuttgart nach Berlin, von Köln nach Warschau, von Zürich nach Amsterdam oder auch von Hamburg nach Paris oder von München nach Rom fahren. Man konnte sogar »sperriges Reisegepäck« (Originalton DB) in Form von Autos mitnehmen, von Herrn Petersons Studienort Karlsruhe, von Düsseldorf, Hamburg, Berlin und München gelangte man damit unter anderem bis nach Narbonne kurz vor der spanischen Grenze.

Michael Peterson hat keine bahnerische Ausbildung. Er gehört zu denen, die als Excel-Artisten und Marketing-Fuzzis Führungsfunktionen bei der DB einnahmen und damit Fachleute verdrängten – etwas, das sich weder Autokonzerne noch Flugzeugbauer leisten. Wirtschaftsingenieurwesen, Doktor in BWL, dann Geschäftsführer einer Strategieberatung. Und als solchen holte ihn die DB 2014 für das »Produktmanagement« Fernverkehr. Im April 2016 wurde er Marketing-Vorstand.

„Wir gewinnen mit Michael Peterson einen Kollegen aus dem Fernverkehr für unser Vorstandsteam, der konsequent und leidenschaftlich vom Fahrgast her denkt“, lässt sich Birgit Bohle, Vorstandsvorsitzende DB Fernverkehr, in einer Mitteilung zitieren. „In den vergangenen zwei Jahren hat er in enger Zusammenarbeit mit den anderen Bereichen und Geschäftsfeldern unser Produktbild auf die steigenden Kundenanforderungen im Wettbewerb ausgerichtet.“

„Ich freue mich sehr, meine große Leidenschaft für das Thema Kunde nun in der neuen Rolle ganzheitlicher aus der gesamten Marketingperspektive inklusive Produkt, Preis und Fahrplan weiter voran treiben zu dürfen“, sagt Peterson.

https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/DB-Fernverkehr-Michael-Peterson-ist-neuer-Marketing-Vorstand-139608

Bei den Stichworten »Produktmanagement« und »vom Fahrgast her denken« fällt mir als jemand, der damals Nacht- und Autoreisezüge begleitet hat, der Betriebsrat und Sprecher des Wirtschaftsausschuss des Gesamtbetriebsrats war, die peinliche Geschichte der Frühstücke für Autozug-Fahrgäste ein. Diese gehörten als Inclusivleistung einfach dazu, egal ob man Düsseldorf-Narbonne oder Hamburg-Lörrach gebucht hatte. Alle bekamen es, die Tüten mit den Zutaten packten wir abteil- oder gruppenweise nachts, und die Gäste konnten sich das Getränk dazu aussuchen.

Mit einer Ausnahme.

Im täglich verkehrenden Nachtzug Hamburg-München waren ein paar Schlafwagenabteile und ein kompletter Liegewagen für Autoreisezug-Kunden reserviert, alle anderen Betten und Liegen waren für »Fußgänger«, also normale Nachtzugreisende ohne Fahrzeug – und für die war das Frühstück nur inbegriffen, wenn sie ein Bett im Schlafwagen gebucht hatten. Alle anderen sollten einige Euro für ein normales oder kleines Frühstück bezahlen.

Das konnten die Autozugreisenden nicht nachvollziehen. Denn im parallel fahrenden Autozug Hamburg-München hätten sie – beim identischen Fahrpreis – das Frühstück als Inclusivleistung bekommen.

Wir als Beschäftigte konnten das auch nicht nachvollziehen und leiteten den Ärger, den wir an Bord deswegen abbekamen, an unsere Geschäftsführung bei der DB European Railservice weiter. Diese brachte zur nächsten Sitzung des Wirtschaftsausschusses die Antwort der Muttergesellschaft DB Autozug / DB Fernverkehr mit:

Das Marketing-Team möchte nicht, dass im Produkt »Nachtzug« einige Reisende im Liegewagen ein Inclusivfrühstück bekommen.

Das hätte nach Ansicht dieser Marketing-Teammitglieder für Neid und böses Blut im Liegewagen sorgen können: Wieso bekommen die anderen etwas, was ich nicht bekomme?

Wir als Wirtschaftsausschuss argumentierten mit Logik und Vernunft:

1. Die Reisenden hatten nicht das »Produkt Nachtzug« gebucht, sondern das »Produkt Autozug«: auf der speziellen Website für die Autozüge, und auch auf ihrer Fahrkarte stand »AZ« und eine fünfstellige Zugnummer, während die »Fußgänger« »NZ« und eine vierstellige Zugnummer auf der Fahrkarte stehen hatten.

2. Die Reisenden waren vielleicht nur deswegen im kombinierten NZ/AZ gelandet, weil im parallel verkehrenden reinen AZ ihre Bettenkategorie schon ausgebucht war oder für ihr Fahrzeug kein passender Platz mehr war, speziell bei Cabrios, die auf den Autotransportwagen unten stehen mussten, und bei Vans, die nur auf ein bis drei Plätzen des Oberdecks untergebracht werden konnten, wurde es heikel. Angesichts hoher dreistelliger und teilweise vierstelliger Preise empfanden die Reisenden die Extrakosten fürs Frühstück als Nickeligkeit.

3. Und dann war es auch noch so, dass der für die Autozugreisenden reservierte Liegewagen direkt neben den beiden Schlafwagen eingereiht war – wir hätten also mit den Inclusivfrühstücken gar nicht durch die anderen Liegewagen hindurch laufen müssen: niemand von den »Fußgängern« hätte es mitbekommen, dass nebenan Frühstück inbegriffen ist. Und selbst wenn – mit dem Hinweis darauf, dass diese Reisenden die Kategorie »Autozug« gebucht hatten, wäre der Unterschied problemlos zu erklären gewesen.

Aber nein, das Marketing-Team von DB Fernverkehr wollte das nicht.

Und nun träumt also der damals zuständige »Produktmanager« und spätere »Marketingvorstand« von Zügen mit Schlafkabinen, in denen sich Menschen wie zuhause fühlen.

Er müsste eigentlich mitbekommen haben, dass seine damalige Chefin Birgit Bohle die Nachtzüge »killte«, als man gerade neue »Schlafkabinen« entwickelt und sie der Presse und ausgewählten Beschäftigten vorgeführt hatte. Die Entwicklerteams wurden vor den Kopf gestoßen. Und als Ronald Pofalla die Neuigkeit (»wir schaffen Schlaf- und Liegewagen ab und ersetzen sie durch nächtliche ICEs, weil die Nachfrage nach Nachtreisen steigt«) auf der Fahrt zum Klimagipfel in Paris versehentlich ausplauderte, war das Desaster für Fahrgäste und Beschäftigte nicht mehr zu verheimlichen.

Und just als Michael Peterson zum Marketingvorstand aufstieg, rollte die Fake-News-Maschinerie von DB Fernverkehr auf vollen Touren: man redete das eigene Produkt schlecht, unterschlug die Hälfte der Fahrgäste, sprach von einem »Nischenprodukt« und frisierte die Wirtschaftlichkeitsberechnungen so lange, bis man rote Zahlen herausbekam. Ein promovierter BWLer kann davon nicht nichts gewusst haben.

Er wird auch mitbekommen haben, dass die ÖBB das 1:1-Mockup der neuen Schlafkabinen von der DB kaufte und es im Foyer ihrer Konzernzentrale gegenüber dem Wiener Hauptbahnhof zur öffentlichen Besichtigung aufbaute (rot-weiß-rot umlackiert natürlich). Aus diesem von der DB entwickelten Konzept sind die hochgelobten »Mini-Cabins« hervorgegangen, die seit dem 10. Dezember 2023 zwischen Hamburg und Wien bzw. Innsbruck im »Nightjet der neuen Generation« im Einsatz sind.

Eigentlich müsste man Herrn Peterson auch davon erzählt haben, dass die erste ICE-Generation wunderbare »Arbeitsecken« hatte, nämlich buchbare Konferenzabteile in der 1. Klasse. Aber die DB schaffte ja nach und nach fast alle Abteile ab, damit man mehr Fahrgäste pro laufenden Meter unterbringen konnte. Angeblich lag es an zu geringer Nutzung – oder vielleicht an schlechtem Marketing?

Die Deutsche Bahn hatte übrigens in den 90er Jahren Konferenzabteile in ihren Zügen eingeführt. Doch wurden diese wegen zu geringer Nutzung wieder abgeschafft.

https://www.zeit.de/karriere/beruf/2011-03/arbeiten-bahn-mobil/seite-2

https://de.wikipedia.org/wiki/ICE_Ideenzug

Und sogar »Spielzimmer« hat es mal bei der DB gegeben – sie nannten sich »Kinderland« und waren in lokbespannten Zügen zu finden, einer Zuggattung, die die DB nach dem Interregio jetzt auch abschafft, weil sie nur noch ICE fahren möchte.

https://www.modellbau-wiki.de/wiki/Kinderland

In welcher Parallelwelt muss man also leben, wenn man als verantwortlicher Manager so tut, als seien während der eigenen Amtszeit abgeschaffte Dinge eine Utopie, ein Traum?

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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