rail blog 266 / Joachim Holstein

Zu wenige Züge  – zu viele Baustellen

Im Züricher Tages-Anzeiger erschien am 14. Februar 2024 ein längerer Artikel über die aktuellen Probleme mit ÖBB-Zügen, die die Schweiz ansteuern (sollen), dies aber manchmal verspätet, manchmal nur bis zum Grenzbahnhof und manchmal gar nicht tun:

https://www.tagesanzeiger.ch/sbb-und-nachtzuege-oebb-fordern-mehr-engagement-von-sbb-821224217946

ÖBB-Fernverkehrschef Kurt Bauer nannte den Fahrzeugmangel als Problem Nummer eins:

Derzeit haben die ÖBB insgesamt nicht genügend Züge, um den Fahrplan stabil zu halten. … Kurt Bauer kündigt eine erste leichte Entspannung im Fernverkehr für Ende April an. Dann werden die ÖBB 30 im Ausland gemietete Waggons und zusätzlich im Italien-Verkehr neue Railjet-Garnituren einsetzen, die derzeit vom Hersteller Siemens mit grosser Verspätung ausgeliefert werden: «Ab dann können wir für den Verkehr in die Schweiz immer Schweiz-taugliche Garnituren einsetzen», sagt Bauer. Weitere Fernverkehrszüge haben die ÖBB bei Stadler Rail bestellt, die kommen aber erst 2026.

Kann denn die Schweiz nicht selber Wagen bauen lassen? Leider wurde dort in einer Volksabstimmung abgelehnt, die Flugverkehrsabgabe für eine Verbesserung des Schienenverkehrs einzusetzen. Ergebnis:

Die SBB bestätigen dieser Redaktion, dass weiterhin geplant sei, Nachtzüge nach Rom und Barcelona zu führen. Für diesen grenzüberschreitenden Personenverkehr habe der Bundesrat in seiner Botschaft zu einem neuen CO2-Gesetz bis zu 30 Millionen Franken pro Jahr vorgesehen. Freilich: Ein neu aufgelegtes CO2-Gesetz muss erst vom Volk an der Urne angenommen werden. Dafür gibt es noch nicht einmal einen Termin. Zum Zeitpunkt, ab dem zwischen Zürich und Rom wieder Nachtzüge fahren könnten, wollen die SBB deshalb keine Angaben mehr machen.

Eine verpasste Chance, sagt Kurt Bauer:

«Zürich–Rom würde super funktionieren», ist der österreichische Fernverkehrschef überzeugt: «Da wären wir jede Nacht ausgebucht. Aber wir haben im Moment einfach nicht die Züge dafür.»

Der Wagenmangel ist auch deswegen so akut, weil es bei der Bahn nationale Zulassungen gibt:

Deshalb werden auf der Verbindung Wien–Zürich in Ausnahmefällen auch Railjet-Garnituren eingesetzt, die keine Zulassung für die Schweiz haben. Und die können bis zum Grenzbahnhof Buchs, aber nicht weiter nach Zürich fahren.

Nationaler Egoismus ist somit das zweite Problem, entstanden in der Zeit der »Liberalisierung«, als man entdeckte, dass man mit landesspezifischen Anforderungen die lästige Konkurrenz ausbremsen konnte. Was waren das früher nur für schöne Zeiten, als sich auf der Wagenseite die Beschriftung mit den zugelassenen Ländern über mehrere Meter erstreckte und von Narvik bis Istanbul und von Irún oder Palermo bis Brest so ziemlich jede Strecke befahren werden durfte! Mit dem Auto geht das, da muss man nicht an der Grenze neue Reifen aufziehen, den Abstand zwischen den Blinkern oder die Klangfarbe der Hupe verändern …

Und dann folgt im Artikel das Problem, das derzeit alle andere noch in den Schatten stellt – der Umgang der Deutschen Bahn AG mit »ihrer« Infrastruktur:

Pünktlichkeitsproblem Nummer eins wird jedoch der Nachtverkehr bleiben. Vor allem von und nach Deutschland. Da behinderten manchmal bis zu neun Baustellen den Nachtzug Zürich–Berlin, sagt Bauer: «Da kann ich nicht einmal mehr einen Sonderfahrplan erstellen.»

Diese Baustellen verhindern derzeit ein Drittel aller Fahrten zwischen Berlin und Paris:

Nachtzug Berlin-Paris kann an Wochenenden vorerst nicht fahren

Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) müssen aktuell freitags und samstags ihre Nightjet-Verbindungen zwischen Berlin und Paris aussetzen. Das bestätigte der Konzern am Montag auf Nachfrage von rbb|24. Seit dem 11. Dezember bietet die ÖBB zusammen mit der Deutschen Bahn und der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF dreimal in der Woche eine Nachtzug-Verbindung zwischen Berlin und Paris an.

Aktuell stehen jedoch für Fahrten von Berlin nach Paris bis Mitte März lediglich noch die Verbindungen für Montag und Mittwoch im Plan. Die Freitagsverbindung ist demnach erst wieder ab dem 15. März verfügbar. Für die Rückfahrten von Paris nach Berlin werden lediglich die Verbindungen für Dienstag und Donnerstag aufgeführt. Die nächste Samstagsverbindung steht erst wieder für den 16. März im Plan.

Die ÖBB erklärte auf Nachfrage: Das Unternehmen könne derzeit einige Verbindungen aufgrund von Infrastruktur-Baustellen in Deutschland nicht wie geplant anbieten. „Wir bedauern, dass wir die Züge aufgrund dieser Baustellen nicht durchführen können“, heißt es schriftlich.

Da wurde also dieser Zug mit großem Pomp eingeweiht, die deutsche Bahnpolitik in Gestalt der Herren Wissing und Lutz schmückte sich mit österreichischen Federn, denen man auch ein DB-Logo aufgepappt hatte – und in der Realität herrscht alle Tage Sabotage. Nach jahrelangem Sanierungsstau dank Börsengang-Ambitionen und wohl auch dank der hohen Qualifikation, die Herr Pofalla für sein Vorstandsressort mitbrachte, muss nun viel gebaut werden, aber das geschieht nicht koordiniert, sondern kurzfristig und geradezu chaotisch. Nach all dem, was man bis jetzt schon erlebt hat, wird man mit Blick auf die von der DB angekündigte, noch nie erprobte Methode »Generalsanierung« mit monatelangen Vollsperrungen wohl dem früheren SBB-Chef Benedikt Weibel zustimmen müssen, der gesagt hat: die Generalsanierung sei »Selbstmord auf Raten«. Sie treibt Pendler erst in den Schienenersatzverkehr und dann zurück ins eigene Auto – und die internationalen Nachtzugreisenden zurück in den Flieger.

https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2024/02/nachtzug-berlin-paris-nighjet-db-oebb-bahn.html

Das Schlusswort gehört den ÖBB, die offenbar die Nase voll davon haben, dass andere Bahnen sich einen schlanken Fuß machen und die »Kooperationszüge« von den Österreichern bezahlen lassen:

33 neue Nightjets haben die ÖBB bestellt. Wenn sie alle ausgeliefert seien, «können wir damit ein sinnvolles Nachtzugnetz für Mitteleuropa anbieten», sagt Bauer. Mehr sei für die österreichische Bahn nicht zu stemmen. Um Verbindungen nach Barcelona oder Stockholm sollten sich andere Bahnverwaltungen kümmern: «Jetzt müssen auch andere in das Nachtzugnetz investieren. Die ÖBB können doch nicht mit ihren Nachtzügen die Welt retten. Aber wir können mit unserem Know-How die Partner unterstützen.»

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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