Vor 30 Jahren: Mit Stuttgart21 wird die Zerstörung des Bahnknotens und die „Dritte Zerstörung Stuttgarts*“ angeschoben
Am 18.4. 1994, vor 30 Jahren, wurde das Tunnelbahnhofsprojekt Stuttgart21 von 5 profitlich feixenden Herren der Presse vorgestellt. Kein Superlativ sei übertrieben, strahlte MP Teufel, sekundiert von Herren, die inzwischen meist tot oder nicht mehr zur Verantwortung zu ziehen sind für das, was sie seither dieser Stadt und dem Bahnverkehr angetan haben: Die fatalste Weichenstellung für Stuttgart nach dem (Nachkriegs-) Umbau zur „Autogerechten Stadt“.
In den 30 Jahren des S21-Desasters sind Angela Merkels „Marktkonforme Demokratie“ und Jean-Claude Junkers offenherziges Diktum „Wenn es ernst wird, musst Du lügen!“ innige Verbindung eingegangen: Missachtung der Bedürfnisse der Stadt-Bewohner und der Bahnreisenden zugunsten der Umlenkung von inzwischen mehr als 11 Milliarden öffentlicher Gelder in die Kasse von Baukonzernen. „Unglaublich, was hier für totes Kapital herumliegt!“, so verdeutlichte Heinz Dürr schon 1994 bei dieser PK, dass es nicht um mehr Schienenverkehr geht.
Und auch nicht um Wohnungsbau auf dem Gleisvorfeld, schon gar nicht sozialen: Ein neues Regierungsviertel solle entstehen. „Mitten im Zentrum, so verkehrsgünstig wie überhaupt nur möglich, wären Gewerbeflächen in Hülle und Fülle möglich“, feierte der Kommentator der StZ (19.4.2024), „Die Gleisanlagen blockieren (…)jeden Unternehmer, der vergeblich nach einem Zentrumsnahen Standort sucht.“
Als statt Begeisterung in der Stadtgesellschaft der Widerstand wuchs, wurde die Jean-Claude Juncker-Methode zum täglichen Handwerkszeug der Projektunterstützer: Tarnung, Täuschung der Öffentlichkeit und Lüge. Vom Plan eines „Immobilenprojekts“ wird gar nicht mehr gesprochen, sondern in der Not alles auf die Karte „bezahlbarer Wohnungsbau“ gesetzt. Denn die herbeifantasierte Leistungsfähigkeit des Tunnelbahnhofs-System ist inzwischen in sich zusammengefallen und auch nicht reparierbar. Der sichere Brandschutz: die Bahn kann dafür heute nicht einmal eine Brandfall-Simulation vorlegen. Die Kosten: ein peinlicher Offenbarungseid jagt den nächsten, Ende nicht absehbar.
Das Totaldesaster des Projekts nach 30 Jahren ist heute Symbol und Teil des desaströsen Zustand der Deutschen Bahn insgesamt. In dieser für Bahnreisende unzumutbaren Situation spüren auch die Kräfte, die den Protest für den Erhalt des Kopfbahnhofs und des direkten Gäubahnanschlusses tragen, Rückenwind. Ohne die langjährige Präsenz ihrer qualifizierten Projektkritik in der Öffentlichkeit gäbe es heute nicht einmal die Möglichkeit einer Debatte, wie der Kopfbahnhof erhalten und Bahnpolitik wieder auf ein gutes Gleis gesetzt werden kann.
Und die früheren Projektgegner von den Grünen? Ihr Verkehrsminister, Ritter von der traurigen Gestalt, nutzt nicht das aktuelle Fenster der Möglichkeiten, um einen Baustop und Diskussionen über sinnvolle Alternativen zu forcieren. Er versucht vielmehr dem wesentlich von der DUH formierten Protest der Gäubahn-Anrainergemeinden gegen die Kappung der Linie Zürich-Stuttgart den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sein Versuch wird scheitern. Seine Maxime „Weiterbauen first, Klimaschutz second“ wird vom nächsten Offenbarungseid der Bahn konterkariert werden – und so wird die außerparlamentarische Bewegung für den Erhalt des Kopfbahnhofs auch weiter auf prominente Unterstützer wie die Deutsche Umwelthilfe rechnen können.
*Als „dritte Zerstörung Stuttgarts“ ordnete Roland Ostertag (1931-2018), renommierter Architekt, Stadtplaner und engagierter Tunnelbahnhofsgegner, Stuttgart21 ein – als besonders destruktives Projekt des grassierenden neoliberalen Umbaus der Stadt