rail blog 291 / Joachim Holstein

Gewerkschaften und Sozialverbände: Protest gegen Digitalzwang bei der DB

In den Blogs 285, 287 und 288 habe ich über die Zwangsdigitalisierung geschrieben, die von der DB, von Verkehrsverbünden und von einigen regionalen oder örtlichen Verkehrsunternehmen vorangetrieben wird.

Bisher hat die Deutsche Bahn auf Kundenzuschriften nach dem Vorbild der deutschen Eiche reagiert, die sich nicht gestört fühlt, wenn sich ein Borstenvieh dran scheuert.

Jetzt könnte sich das aber ändern, denn 28 Gewerkschaften, Sozialverbände, Wohlfahrtsorganisationen und andere Interessenvertretungen haben sich am 15. Mai 2024 mit einem »Offenen Brief« an Bahnchef Lutz gewandt und Verkehrsminister Wissing sowie die verkehrspolitischen Sprecher der demokratischen Bundestagsparteien darüber informiert:

https://www.bagso.de/fileadmin/user_upload/bagso/01_News/Pressemitteilungen/2024/Offener_Brief_2024-05-15_Guenstig_Bahnfahren_ohne_Digitalzwang_Web.pdf

Mobilität für alle gewährleisten: Günstig Bahnfahren ohne Digitalzwang

Das fordern die Gewerkschaften EVG, GEW, NGG und GdP, die Seniorinnen und Senioren der Gewerkschaft ver.di, die Bundesseniorenvertretung des Deutschen Beamtenbundes, der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband, die AWO, der VCD sowie zahlreiche Bundesverbände von Menschen, die von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen sind.

Die Organisationen protestieren dagegen, dass die BahnCard als physische Karte abgeschafft und durch eine »App« ersetzt werden soll, die auf genau einem Digitalgerät mitgeführt werden kann, wofür solch ein Digitalgerät, ein Internetzugang und eine E-Mail-Adresse benötigt werden:

Sehr geehrter Herr Dr. Lutz,

Mobilität bedeutet gesellschaftliche Teilhabe. Öffentliche Mobilität muss daher niedrigschwellig angeboten werden und von allen gut nutzbar sein – auch von Menschen, die keinen Internetzugang haben oder aus anderen Gründen digitale Angebote nicht nutzen können oder wollen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind in Deutschland gut fünf Prozent der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren offline. Mit dem Alter steigt die Zahl derjenigen, die weder das Internet nutzen noch ein Smartphone besitzen: Bei den über 80-Jährigen ist nur etwa jeder Dritte online. Günstig Bahnfahren muss jedoch auch für diese Menschen möglich bleiben.

Mit diesem offenen Brief fordern die unterzeichnenden Organisationen Sie deshalb auf:

― Gewährleisten Sie einen analogen Zugang zu BahnCard und Sparpreisen, der ohne Mehrkosten und barrierefrei von allen, auch von sogenannten Offlinern, genutzt werden kann. Ein Papierausdruck, der eine Mobilnummer, einen Online-Account und/oder eine E-Mail-Adresse voraussetzt und damit an einen Internetzugang gebunden ist, erfüllt diese Anforderung nicht.

― Bieten Sie alle Dienstleistungen und Angebote der Deutschen Bahn auch an barrierefreien Service-Schaltern an und dies nicht nur in den Bahnhöfen der Großstädte. Nur so sind sie weiterhin niedrigschwellig von allen zu nutzen, auch von Offlinern.

― Informieren Sie Bahnkundinnen und -kunden frühzeitig, vollständig und verständlich über Änderungen bei Dienstleistungen und Angeboten. Bis heute herrscht unter Verbraucherinnen und Verbrauchern Unsicherheit über die Digitalisierung von BahnCard und Sparpreisen sowie über mögliche analoge Alternativen.

― Beziehen Sie Bahnkundinnen und -kunden über Betroffenen- und Verkehrsverbände im Vorfeld ein und erfragen Sie ihre Wünsche und Bedarfe. Im Fall der Umstellung von BahnCard und Tickets zu Sparpreisen ist dies nicht gelungen.

Die unterzeichnenden Organisationen wenden sich ausdrücklich nicht gegen digitale Angebote der Deutschen Bahn. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Bahn im Sinne eines „Design für alle“ unterschiedliche Zugänge zu ihren Dienstleistungen anbieten muss, um den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer vielfältigen Kundschaft Rechnung zu tragen. Es darf nicht sein, dass Menschen, nur weil sie kein Internet nutzen, benachteiligt und von Mobilitätsangeboten ausgeschlossen werden.

»Es darf nicht sein« trifft den Punkt – es ist nämlich gesetzlich festgelegt, dass öffentliche Verkehrsmittel barrierefrei zugänglich sein müssen. Und das bedeutet mehr als »nur« einen stufenfreien Zugang zum Bus oder Waggon zu ermöglichen:

https://www.staedtetag.de/publikationen/weitere-publikationen/barrierefreiheit-oepnv-2014

https://www.vcd.org/artikel/bus-und-bahn-barrierefrei

https://www.aktion-mensch.de/inklusion/mobilitaet/hintergrundwissen/barrierefreiheit-im-oepnv

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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