Bahngeschichte Teil 1

EINE KOMMENTIERTE FRÜHE GESCHICHTE DER BAHNEN IN DEUTSCHLAND

  1. Warum ein Rückblick?

Verkehrsgeschichte oft beschrieben

Für eine detaillierte Geschichtsschreibung der Busse, Bahnen und Straßenbahnen in Deutschland gibt es bereits ausführliche Literatur. Sie behandelt je nach Schwerpunkt die Technik-, Wirtschafts- und Organisationsgeschichte des Bahnwesens.

Wenig Paradigmen- und Leitbildgeschichte

Selten behandelt wird die Geschichte der Paradigmen oder Leitbilder, nach denen die Bus- und Bahnsysteme gestaltet wurden und die manchmal epochemachende Bedeutsamkeit hatten. Solche (Um)Brüche muss man verstehen, um daraus für die zukünftigen Entwicklungen die richtigen Lehren zu ziehen.

Vor dem Maschinenzeitalter »organische« Mobilität mit Muskelkraft von Mensch und Tier, Wasserkraft oder Windkraft

Vor dem Beginn des Maschinenzeitalters dominierte im Verkehr die Muskelkraft von Mensch und Tier als Fußverkehr oder Verkehr mit Hilfe von Zugtieren und Reittieren sowie Booten auf Wasserflächen. Vorläufer des öffentlichen Verkehrs waren (Post)Kutschen und partiell auch Schiffe. Die Kutschen waren in ihrer Kapazität und Schnelligkeit sehr limitiert. Sie beförderten Personen wie auch Güter, vor allem das Gepäck der Reisenden, die Post und Waren mitfahrender Händler. Auf Flüssen, Seen, Kanälen und längs der Küsten gab es schon früh Ansätze von Linienverkehr. Zu Beginn der Rad-Schiene-Technik verkehrten dann im Nahverkehr Pferdebahnen. Vorher stand die Mobilität mit Kutschen und Reitpferden nur wenigen, begüterten Menschen offen. Das »Fußvolk« musste laufen. Erst die Pferdebahnen ermöglichten dank niedrigerer Preise einem größeren Publikum bequemes kurzdistanziges Reisen nach Fahrplänen und mit festen Tarifen.

Mäßiger verkehrstechnischer Fortschritt

In dieser Zeit beschränkten sich Fortschritte im Transportwesen auf gelegentliche Verbesserungen der Wagentechnik (Achsen, Naben, Federung, Bremsen), der Wege (zum Beispiel mit Makadamoberfläche oder Pflaster) und eine Verdichtung des Netzes, im Überlandverkehr von »Relaisstationen« für das Wechseln der Pferde und Übernachten unterwegs, im Ortsverkehr durch mehr und längere Linien.

  • Die Eisenbahnen von dezentralen Anfängen bis zu nationalen Netzen und Unternehmen

Eisenbahnen als »bahnbrechende Erfindung«

Eine Transportrevolution brachten die ersten Eisenbahnen. Die Verkehrs-, Wirtschafts- und Siedlungsentwicklung wurden »entfesselt«. Die Schienen und Dampftechnik erlaubten eine schnelle Zunahme der Größe, Zahl und Geschwindigkeit der Bahnen. Durch diese Effekte sanken die Transportkosten rapide. Dadurch erweiterten sich die fiskalischen Zugangsmöglichkeiten für Reisende und Wirtschaftsgüter erheblich, was das Interesse der Akteure in Politik, Wirtschaft und Technik steigerte, ein Schienensystem zu entwickeln und auszubauen.

Zunahme des Wertes der Transporte in ausgewählten Ländern in Mio. Mark 1830-1910 mit   Beginn des Ausbaus der Bahnnetze

Zunahme des Transportvolumens auf Binnenschiffen und Schienen 1875-1905 in Deutschland in Mio. tkm

Am Anfang Privatinvestment von Bahnpionieren

Zunächst waren es mutige Wirtschaftspioniere und Ingenieure, die sich um die ersten Bahnprojekte kümmerten. Sie taten dies zunächst auf eigenes Risiko. Für das Aufbringen ausreichender Finanzmittel gründeten sie vermehrt lokale und regionale, später auch überregionale Aktiengesellschaften. So entstanden erste Strecken und Teilnetze. Die Bahnpioniere hatten es anfangs sehr schwer, weil sich das Volk und auch viele Landesherren den Sinn der neuen Technik nicht vorstellen konnten. Doch der Pioniergeist setzte sich durch. Die frühen »Bahnbarone« machten mit ihren Bahnen gute Geschäfte im Personen- und Gütertransport. Der ersten Welle der kohle- und dampfmaschinenbasierten Industrialisierung folgte ausgehend von England über Belgien bald auch die deutsche Bahnentwicklung.

Anfangs Dominanz der kleinen regionalen Netze

Da die Netze erst schrittweise ausgebaut werden mussten, dominierten in der Schienenentwicklung zunächst die kurzen Distanzen für die lokalen und regionalen Strecken. Die erste deutsche Bahnlinie Nürnberg-Fürth war 1835 nur 6 km lang. Mit dem fortschreitenden Netzausbau trennten sich aber die Entwicklungspfade der Bahnen. Auf der einen Seite übernahmen die Bahnen im Nahverkehr die Netze der früheren Pferdebahnen mit der neuen Dampftraktion und konnten die Strecken wegen der größeren Geschwindigkeit und Kapazität der Fahrzeuge verlängern. Auf der anderen Seite begann der Ausbau überregionaler, langlaufender Strecken, die allmählich zu Netzen wurden. Im Zuge der allmählichen Elektrifizierung des Landes ab circa 1880 wurden die lokalen Bahnen zunehmend auf moderne Elektrotraktion als sogenannte Straßenbahnen und Überlandstraßenbahnen (die »Elektrische« als Synonym für Straßenbahn) umgestellt. Bei den überörtlichen Bahnen dagegen dauerte die Elektrifizierung viel länger und ist in Deutschland bis heute nicht abgeschlossen.

Beginnender Fernbahnausbau für langdistanzige Verkehre

Der strategische Bahnpionier und Ökonom Friedrich List entwickelte früh Fernverkehrsideen für ein deutsches Bahnnetz, das unabhängig von der damals bestehenden Kleinstaaterei das ganze Land verbinden sollte. Die Fernbahnen basierten lange auf der Kohle-Dampftraktion. Erst seit Mitte der 1950er Jahre wurde die »Dampfbahn« im Fernverkehr zunehmend durch Elektrotraktion mit Oberleitungen oder durch die Dieseltraktion abgelöst.

Erste staatliche Regulierungen

Nach dem ersten privaten Investment begannen sich die Regierungen zunehmend um Bahnen zu kümmern. Das Bahnwesen wurde konzessioniert, reguliert, und es wurde zunehmend öffentliches Geld investiert. Explodierende Dampfkessel und entgleisende Züge erforderten staatliche Eingriffe für die Sicherheit. Der Bau neuer Trassen erforderte staatliche Rahmensetzungen wegen der notwendigen Eingriffe in Natur, Landschaft und privaten Grundbesitz. Der Betrieb brauchte Regeln, zum Beispiel mit Hilfe von Signalen.

Der erste Fernbahnnetzentwurf des Ökonomen Friedrich List, nach dem später wegen seiner großen strategischen Weitsicht eine eigene Verkehrshochschule in Dresden benannt wurde, die mit großer Interdisziplinarität überzeugte

Dynamik der Fernbahnen

Der allmähliche Netzausbau gab den Bahnen immer größere Aktionsradien. Bald wurden die Grenzen der jeweiligen Gemeinden und Kreise gesprengt. Die Bahnen übernahmen Regional- und zunehmend auch Fernverkehrsaufgaben im Personen- und Güterverkehr. Deswegen wuchs auch das Interesse an höheren Geschwindigkeiten als im Nahverkehr.

Die Gesamtlänge der Eisenbahnstrecken weltweit wuchs von 332 km 1830 über 8.591 km 1845 auf 38.022 Kilometer 1850. Dann begann ein explosionsartiger Anstieg auf 106.886 km 1860, 221.980 km 1870 und 367.235 km 1880.

Im Ausland mehr nationale Netze und Staatsbahnen

In zentralistischen Ländern wurden sehr früh zusammenhängende nationale Netze entwickelt, beispielsweise in Belgien, Frankreich und England. Es entstanden sogenannte Staatsbahnen. Dies geschah auch mit der Absicht, durch öffentliche Investitionen und Vorgabe technischer Standards ausreichend Einfluss auf die Bahnentwicklung nehmen zu können.

Das wachsende deutsche Netz

Deutschland war bis zur Reichsgründung noch zersplittert in 26 verschiedene Territorien, viele mit eigenen Bahngesellschaften. Das Nebeneinander unterschiedlicher »Länderbahnen« verhinderte zunächst eine konsistente deutsche Gesamtnetzplanung. Trotzdem wuchs auch das deutsche Bahnnetz beachtlich. Ende 1860 umfasste es knapp 12.000 km, Ende 1870 schon knapp 20.000 km. Allein Preußen besaß 1885 21.624 km Bahnnetz.

Die größte Netzausdehnung erreichten die deutschen Bahnen zu Beginn der 1920er Jahre. Damals hatte Deutschland das dichteste und längste Bahnnetz in Europa

Militärische Transportaufgaben

Früh spielten die Fernverkehrsbahnen eine militärische Rolle, so zum Beispiel im deutsch-französischen Krieg 1870-71. Im danach erstarkten deutschen Kaiserreich wurden in den grenznahen Regionen zahlreiche Netzerweiterungen gebaut. Zu Beginn des ersten Weltkrieges ermöglichte das dichte Netz maßgeblich die schnellen Truppenbewegungen und Transporte von militärischem Material.

Späte Konstituierung der Reichsbahn

Eine einheitliche nationale Reichsbahn entstand trotz dieser stürmischen Netzentwicklung und hohen militärischen Bedeutung erst in der Weimarer Republik mit ihrer Reichsverfassung von 1919. 1920 wurde ein Staatsvertrag mit den Ländern geschossen und 1922 eine eigene Reichsbahngeneraldirektion gegründet, die 1924 die finanzielle Selbständigkeit erlangte.

Typische Situation an einem mittelgroßen Bahnhof in den 1920er Jahren. Dampfloks für Personen- und Güterzüge, teilweise auch in gemischter Traktion und viele Lokschuppen und Nebengebäude bestimmten das Bild

Die Bahn als Motor der Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung

Großen Einfluss hatte die Bahnentwicklung auf die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung. Die großen Fernbahnknoten begründeten ein stürmisches Städtewachstum der damaligen Großstädte, die eine enge Symbiose von Verkehrsentwicklung und Wirtschaftsentwicklung induzierten. Und die Schienen- und Eisenbahnproduktion sowie der Strecken- und Bahnhofsbau wurden wichtige Wirtschaftszweige.

Auch im ländlichen Raum war die Bahnentwicklung wichtig für die Sicherung des Marktzugangs für die typischen land- und forstwirtschaftlichen Produkte sowie dort abgebauten Rohstoffe. Fast alle größeren Orte hatten eigene Speicher, Güterschuppen und -rampen.

Siedlungserweiterungen erfolgten überwiegend längs der Schienenstrecken und rund um die Bahnhöfe. Dabei spielte die Immobilienspekulation eine wichtige Rolle, weil das Land rund um die Bahnhöfe schnelle Gewinne versprach. So entstanden in der Gründerzeit immer neue Wohn- und Gewerbe/Industriequartiere längs der Bahnstrecken und rund um die neuen Bahnhöfe. Industrieareale bekamen einen eigenen Bahnanschluss. In großen Städten wurden meist mehrere Güterbahnhöfe errichtet, jeweils beim »Eintritt« wichtiger Bahnlinien in den Siedlungsraum. Köln hatte seinerzeit sieben große Güterbahnhöfe.

Am Rand der kompakten historischen Kölner Kernstadt werden die Bahngleise geführt, als Basis der gründerzeitlichen Stadterweiterung

Die Bahnhöfe als »Kathedralen des Fortschritts«

Die Großstadtbahnhöfe erhielten großartige Gebäude, die damals »als Kathedralen des Fortschritts« gestaltet wurden, mit großen Hallen in den Empfangsgebäuden und hohen Glasgewölben über den Bahnsteigen, um dem Qualm der Dampfloks genügend Raum zu lassen. In den Metropolen gab es oft mehrere Kopfbahnhöfe als Ende der jeweils aus verschiedenen Richtungen einstrahlenden Strecken (idealtypisch in London und Paris, deren damals schon dichte Bebauung wenig Platz für durchgehende Bahnstrecken ließ). Oder man schuf Hauptbahnhöfe als Knoten- und Durchgangsbahnhof. Die großartigsten noch heute erhaltenen Beispiele sind die Kopfbahnhöfe in Frankfurt und Leipzig oder die Durchgangsbahnhöfe in Bremen, Hannover, Köln und Nürnberg.

Aber auch die kleineren Bahnhöfe wurden mit einer eigenen, repräsentativen Architektur gestaltet, oft je nach Länderbahn und Direktion für die Teilnetze in einheitlichen regionalen Baustilen.

Nach dem Weltkrieg II nur noch Zweckarchitektur

Viele große Bahnhöfe wurden im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört. Danach wurden sie mit mehr funktionalistischer, nüchterner »Zweckarchitektur« wieder aufgebaut, wie z.B. der Münchener Hauptbahnhof, der als Besonderheit direkt mit zwei seitlichen »Flügelbahnhöfen« verbunden war.

Empfangsgebäude, Schalterhallen, Glasdächer und Bahnhofsplätze

Die großen Bahnhöfe hatten in der Regel eine große Schalterhalle. Die Fassaden wurden im Stil der Zeit ähnlich wie Schlösser mit vielen Zinnen und Erkern und großen Portalen und Türmen gestaltet.

Typischer Großstadtbahnhof mit großem Portal und Empfangsgebäude und großem Bahnhofsplatz

Weil die Bahn damals noch sehr personalintensiv betrieben wurde, brauchten die Bahnhofe sehr viel Platz für die Unterbringung des Personals, der Technik, der Gepäckabfertigung und Stückgutannahme. Vielfach gab es im Bahnhof Restaurants und Wartesäle. Und nahe zum Bahnhof wurden Hotels gebaut. Oft wurde die Nutzfläche durch Nebengebäude erweitert. Und man brauchte auch sehr viel Platz für die Kohlepunker und Kräne, die Wasserzufuhr und die Stellwerke sowie für abgestellte Lokomotiven und Wagen. Typisch sind die teilweise noch heute erhaltenen Drehscheiben in Verbindung mit den meist halbrunden Lokschuppen.

Vor den Bahnhöfen wurden oft große Schmuckplätze gestaltet, auf denen die zum Bahnhof führenden Straßenbahnhaltestellen angeordnet waren. In der Mitte stand oft ein Reiterstandbild des jeweiligen Landesherren. Weil die Bahnhöfe aus Platzgründen oft am Rand der damaligen dichten Bebauung lokalisiert wurden, fehlte ihnen oft ein Durchgang zu Rückseite. Solche durchgehenden Passagiertunnel wurden erst sehr viel später angelegt, um die Rückseiten der Bahnhöfe angemessen anzubinden.

Logistischer Knoten

In Großstädten fanden oft auch noch als »logistischer Knoten« Postämter und Telegraphenämter neben dem Hauptbahnhof ihren Standort. Die Bahn war ja der wichtigste Transporteur für Post und Pakete, da lag diese Standortsymbiose nahe. Erst seit dem 1980er Jahren wurden diese sinnvollen Standortsymbiosen immer öfter zerstört und die Paketämter und Güterbahnhöfe an den Stadtrand verlegt.

Bahnpolitik der Nazis

Eine starke Zäsur in der deutschen Bahnentwicklung ergab sich aus der Naziherrschaft und dem 2. Weltkrieg. Die Nazis zentralisieren die Reichsbahn und beschnitten 1934 durch Aufhebung des Staatsvertrages den Einfluss der Länder. Die Reichsbahn wurde dem direkten Einfluss des Reichsverkehrsministers unterstellt. Das schuf dann auch die Grundlage, erhebliche Reichsbahngelder und Planungskapazitäten in den beginnenden Autobahnbau zu transferieren und daraus die Parallelorganisation der »Reichsautobahn« zu entwickeln. Das Faible der führenden Nazis galt großen, schnellen Autos und den sogenannten »Straßen des Führers«.

Die Bahn im Krieg

Im 2. Weltkrieg wurde die Bahn in starkem Maße für den Transport von Truppen und militärischem Gerät in die Kampfgebiete genutzt. Und daraus wurde natürlich für viele Soldaten ein Zug in den Tod. Später wurde die Bahn auch immer stärker für Deportationen von Juden, Sinti und Roma sowie politischen Gefangenen und Kriegsgefangenen in die Konzentrations-, Vernichtungs- und Arbeitslager genutzt. Diese Praxis folgte Netz für Netz dem Eroberungskrieg in die benachbarten Länder im Westen wie im Osten. An dieses dunkle Kapitel aus der Geschichte der Deutschen Bahn erinnern heute verschiedene Gedenkstätten im In- und Ausland.

Kriegsschäden und Demontage

Der Bombenkrieg und die Politik der verbrannten Erde beim Rückzug der deutschen Truppen führten zu massiven Schäden in der Bahninfrastruktur.

Viele Bahnhöfe und Brücken waren zerbombt. Oder beim Rückzug gesprengt. Viele Lokomotiven und Wagen zerschossen.

Viele Eisenbahnbrücken wurden bei alliierten Luftangriffen, später dann beim Rückzug auch vom deutschen Militär zerstört. Längst nicht alle wurden später wieder aufgebaut.

Die Sowjetunion im Osten und Frankreich im Südwesten plünderten im Rahmen der Demontage Teile des noch bestehenden Bahnnetzes und Fuhrparks als Teil der Reparationsleistungen

Dann folgten nach Kriegsende Zeiten der Demontage von Bahninfrastruktur durch die Siegermächte, vor allem die Sowjetunion im Osten und Frankreich im Südwesten.

3.         DIE NACHKRIEGSENTWICKLUNG DER BEIDEN DEUTSCHEN BAHNSYSTEME

Demontage in den ersten Nachkriegsjahren

Vor allem in der SBZ, dem Vorläufer der späteren DDR, war die Bahnentwicklung anfangs massiv überschattet von den Demontagen durch die Sowjetunion. Das schränkte die Leistungsfähigkeit des Netzes stark ein. Trotzdem wurde später die Bahn das Rückgrat der DDR-Verkehrsentwicklung im Personen- und Güterverkehr. Im Westen beendete die fortschreitende Westintegration der BRD die Demontagen. Stattdessen wuchs das Interesse an der militärischen Nutzbarkeit des Bahnsystems in Zeiten des Kalten Krieges.

Die Bahn als Lebensretter nach Kriegsende

Direkt nach dem Krieg wurden auf den erhaltenen Resten der Infrastruktur mit dem noch einsatzfähigen Rollmaterial notdürftige Bahnverkehre aufgebaut. Die Bahn war für die vielen Flüchtlinge, die im Land verteilt werden mussten, und für die hungernde Bevölkerung oft lebensrettend. Fernzüge verkehrten quer durch die vier Zonen, in die Deutschland zerteilt wurde. Und im Nah- und Regionalbereich ermöglichten die Bahnen die »Hamsterfahrten« der notleidenden Bevölkerung in das agrarische Umland, um dort Lebensmittel zu ergattern und in Wald und Feld Früchte und Brennmaterial zu sammeln. Viele Züge waren heillos überfüllt.

Die Bahn war das einzige bald wieder halbwegs funktionierende Verkehrsmittel im Nah- und Fernverkehr. Die Züge waren regelmäßig überfüllt

Wiederaufbau und normalisierter Bahnbetrieb

Die ersten zehn Nachkriegsjahre waren geprägt von der Wiederherstellung zerstörter Strecken und Stabilisierung des Betriebs. Allerdings erreichte das Netz nie mehr die Dichte der Vorkriegszeit. Denn ein Teil der kriegszerstörten Brücken wurde nicht wieder aufgebaut, weil dafür zunächst das Geld und später die Priorität fehlte. Zudem zertrennte danach der »eiserne Vorhang« die beiden deutschen Bahnnetze, abgesehen von wenigen »Interzonenstrecken«. Die Ertüchtigung der beschädigten Bahnhöfe begann in den 1950er Jahren. Erstmals wurden damals auch neue Bahnhöfe gebaut oder bestehende Bahnhöfe verlegt (zum Beispiel Bochum, Heidelberg).

Die Menschenmassen von Flüchtlingen und zurückkehrenden Kriegsgefangenen wurden oft in offenen Güterwaggons transportiert

Trennung von Bundesbahn und Reichsbahn

Im Zuge der deutschen Teilung trennten sich die deutschen Bahnsysteme nach 1949 in die DB Deutsche Bundesbahn (West) und die DR Deutsche Reichsbahn (Ost). Die DDR machte die Reichsbahn zur Basis ihres Transportsystems. Die Bundesrepublik begann dagegen bald den Schwenk zum Autoland und vernachlässigte zunehmend die Bahn.

Ab 1950 begann die massive Förderung des Straßenbaus durch den Bund, während die Mittel für die Bahn immer weiter zurückgefahren wurden. Aus dem Bahnland Deutschland sollte ein Autoland werden, nach US-amerikanischem Vorbild

Interzonenzüge als Ost-West-Verbindung

Immerhin gab es zwischen beiden deutschen Staaten auf festgelegten Korridoren grenzüberschreitende Interzonenzüge im Personen- und Güterverkehr. Für die Überlebensfähigkeit Westberlins waren die Güterbahntransporte aus dem Westen essenziell. Während der Berlin-Blockade wurden sie vorübergehend unterbrochen, Westberlin musste daher vorübergehend über die sogenannte »Luftbrücke« versorgt werden.

Sonderstatus der Berliner S-Bahn und der Berlinverkehre

Fürdas zweigeteilte Berlin ergab sich die Besonderheit, dass die Reichsbahn auch in Westberlin weiter die S-Bahn betrieb. Das führte in der Zeit des »kalten Krieges« dazu, dass in Westberlin die S-Bahn wegen offiziell geschürter Antipathie weit unter ihrem eigentlichen Potenzial blieb. Stattdessen verschrieb sich Westberlin dem U-Bahnbau und (Stadt)Autobahnbau. Die ursprünglich auch in Westberlin weit verzweigte Straßenbahn wurde schrittweise stillgelegt, während Ostberlin die Straßenbahn weiter ausbaute.

S-Bahn-Krise dank Rationalisierungszwang der Börsenpläne

Seit 2009 fuhr die Berliner S-Bahn in eine langdauernde Krise, ausgelöst durch massiven Rationalisierungsdruck der Börsengangspolitik des damaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn. Bei den notwendigen Wartungsarbeiten wurde massiv gespart, mehrere Ausbesserungswerke wurden geschlossen. Dadurch war ein Großteil der S-Bahnzüge nicht mehr einsatzbereit, der Takt wurde stark ausgedünnt. Das S-Bahnchaos nahm der S-Bahn ihre bis vorherige Angebotsqualität. Es dauerte Jahre, bis sich das Angebot wieder stabilisierte.

S-Bahn-Renaissance

Mittlerweile ist die Berliner S-Bahn wieder das Rückgrat der gesamtstädtischen Verkehrsentwicklung. Die positive Besonderheit im Vergleich zu anderen deutschen S-Bahnsystemen ist der S-Bahnring, der im Netz eine besondere Flexibilität und an den Knoten (»Kreuzen«) starke verkehrliche und städtebauliche Impulse bewirkte.

Allerdings wird aktuell im Senat wieder über eine Zerlegung der S-Bahn in mehrere Teile diskutiert, als neuerlicher Versuch einer Teilprivatisierung. Man muss befürchten, dass damit wieder massive Nachteile für die Angebotsqualität verbunden sein werden.

Straßenbahnausbau endlich auch für Westberlin

Nach einer Phase des unschlüssigen Abwartens begann der Senat des wiedervereinten Berlins dann endlich auch den Ausbau des Straßenbahnnetzes nach Westen, der aber noch viel mehr neue Strecken erfordert, um ein echtes Netz zu schaffen. Verglichen mit der früheren Berliner Netzlänge von 634 km nimmt sich das aktuelle Streckennetz mit seinen 194 km noch recht bescheiden aus.

Berlin hat das Potenzial für ein großes, modernes Straßenbahnnetz mit vielen Tramalleen und Rasengleisen, einer Mischung von modernsten Niederflurbahnen und älteren Baureihen der Vorwendezeit und einem weiteren Netzausbau in den vielen breiten Straßen und einer vitalen Straßenbahnkultur

Mangelhafte Fernbahnanbindung Berlins

Trotz des Neubaus des Berliner Hauptbahnhofs ist die Fernbahnanbindung Berlins im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten eher bescheiden. Die meisten Fernzüge fahren immer noch nur im Stundentakt. Hier rächt sich die Hypothek der westdeutschen Bahnpolitik, die ihre Investitionsschwerpunkte in wenigen Großprojekten und ohne konsistentes Netzkonzept mehr im Westen, Süden und erst spät im Osten hatte. Im Rahmen des Deutschlandtakts wird Berlin dann aber zum wichtigen Bahnknoten im Fernverkehr.

Bis Ende der 50er Jahre intensive Bahnnutzung mit offensiver Tarifpolitik

BisEnde der 1950er Jahre wurden beide deutschen Bahnen intensiv genutzt. Sie blieben im Personen- wie im Güterverkehr, im Nah- und Fernverkehr das mit Abstand dominierende Verkehrsmittel. Zur starken Nutzung trugen die attraktiven Preise bei, mit einem in der BRD einheitlichen Kilometerpreis von 7 West-Pfennig und in der DDR 8 Ost-Pfennig in der 2. Klasse. Um die Bevölkerung an den Bahnverkehr zu binden, wurden außerdem in der BRD für die damals noch vielen kinderreichen Familien starke Rabatte gewährt (der sogenannte »Würmeling«, benannt nach dem damaligen Familienminister, mit 50% Nachlass). In der DDR gab es um 75 % ermäßigte Tarife für Lehrlinge.

Ergänzende Bussysteme

Zur starken Nutzung auch im ländlichen Raum trugen in der BRD und in der DDR die flächendeckenden Bussysteme der Postbusse und Bahnbusse bei, die auch abseits von Schienenstrecken und in ländlichen Regionen für gute ÖPNV-Erreichbarkeit sorgten.

Der Postbus fuhr bis in die 1960er Jahre bis in den letzten Winkel und beförderte Personen und Güter/Gepäck

Auch der Bahnbus sorgte für gute Erreichbarkeit der Bahnhöfe aus der Fläche

Auseinanderdriftende Preisentwicklung BRD-DDR

Später entwickelten sich die Preisniveaus von Bundesbahn und Reichsbahn immer weiter auseinander. In der DDR wurden die Tarife staatlich niedrig gehalten. Man musste in der regional arbeitsteiligen Wirtschaft die Erwerbsbevölkerung zu den großen Kombinaten befördern, und das vollzog sich überwiegend mit Bussen und Bahnen. In der BRD dagegen wurden Busse und Bahnen zunehmend als defizitär diskreditiert und verloren angesichts fortschreitender Massenmotorisierung den politischen Rückhalt und wurden immer mehr auf »Schrumpfkurs« getrimmt, mit vielen Streckenstilllegungen.

DDR bleibt ÖV-dominiert

Eine massenhafte Autonutzung schied für die DDR aus, weil die dortigen Autofabriken für die beiden Marken Trabant und Wartburg nicht die nötigen Kapazitäten produzieren konnten. Zudem hätte der massenhafte Import von Treibstoff die ohnehin immer angespannte Zahlungsbilanz der DDR extrem belastet. Daher blieben in der DDR die Reichsbahn, Postbus und Bahnbus und die kommunalen ÖPNV-Angebote mit Straßenbahnen, O-Bus und kommunalen und regionalen Busnetzen bis zur Wende gegenüber dem Autoverkehr und Lkw die dominanten Verkehrsträger. Die vielen neuen Großwohnsiedlungen des Plattenbaus und Kombinate der DDR-Wirtschaft wurden meist von Anfang an mit Straßenbahnen und teilweise auch O-Bussen und S-Bahn-Verkehren erschlossen.

Typische Straßenbahnachse in einer Plattenbau-Großwohnsiedlung. Teilweise wurden diese Achsen von Ladenzeilen und Fußgängerzonen begleitet

Zudem gab es in der StVO der DDR einen ÖPNV-Vorrang, der dem ÖPNV staufreies Vorankommen sichern sollte.

In Westdeutschland nur selten Ampelvorrang für den ÖPNV

In Westdeutschland verhinderte dagegen der politische Autovorrang in den meisten Städten, dass der ÖPNV im Straßenraum und an Kreuzungen mit intelligenter Ampeltechnik und eigenen Busspuren den nötigen Vorrang vor dem Kfz-Verkehr erhielt. Stattdessen setzten immer mehr westdeutsche Großstädte auf teure Tunnelprojekte, um auf der Oberfläche dem Autoverkehr freie Fahrt zu bieten, die nicht durch Busse und Bahnen behindert wird. Dafür wurde das Konzept der schienenfreien Innenstadt entwickelt. Es fand seit den 1970er Jahren immer mehr Anklang, und der Bund und die Länder bezuschussten solche milliardenschweren Tunnelprojekte. Sie brachten aber meist nur geringen Netzfortschritt wegen der hohen Kosten, langen Bauzeiten und parallelen Stilllegung oberirdischer Straßenbahnstrecken.

DDR – Fahren auf Verschleiß

Ein ganz anderes Qualitätsproblem bekamen Busse und Bahnen in der DDR. Durch die starke Inanspruchnahme bei insgesamt fehlender Finanzkraft waren die Züge der DDR-Reichsbahn sowie die kommunalen Straßenbahnen, O-Busse, Busse und S-Bahnen nicht immer im besten Zustand. Zudem hing man von den arbeitsteiligen Lieferungen der COMECON-Staaten ab und konnte sich den regelmäßigen Austausch alter gegen neue Fahrzeuge nicht leisten. Daher fuhr man auch aufgrund der starken Streckenbelegung mit Personen- und Güterzügen zunehmend »auf Verschleiß«.

Arroganter Westblick auf den DDR-Verkehr

Deswegen war der westliche Blick auf den öffentlichen Verkehr und die Bahn der DDR meist eher »mitleidig«. Dabei erreichte der öffentliche Verkehr der DDR ein Vielfaches an Kundeakzeptanz, natürlich auch, weil er ziemlich konkurrenzlos war.

Breit etablierte Verkehrswissenschaft der DDR

In der Verkehrswissenschaft der DDR spielte der öffentliche Verkehr eine große Rolle. Die Hochschule für Verkehrswesen »Friedrich List« in Dresden bildete mit einem sehr interdisziplinären Fächerspektrum exzellente Planer aus, mit einem Schwerpunkt beim Öffentlichen Verkehr und sehr früher Bearbeitung der psychologischen, sozialen, ökonomischen und ökologischen Fragen des Verkehrswesens. Nach der Wende wurde die List-Hochschule leider »abgewickelt«, aber immerhin in eine neue Fakultät der TU Dresden überführt. Dort wird weiter eine einmalige interdisziplinäre Breite geboten.

BRD-Verkehrswissenschaft autoorientiert

In der westdeutschen Verkehrswissenschaft dagegen dominierten Autoverkehr und Straßenplanung. Nur wenige Institute kümmerten sich um den öffentlichen Verkehr. Und auf Fahrradprofessuren musste das Land bis 2021 warten, als der Bund fünf Stiftungsprofessuren für Radverkehr ausgelobt hat.

BRD – Erhöhung und Verkomplizierung der Tarife

In der Bundesrepublik kam es seit den 1960er Jahren bei der Bahn und im öffentlichen Verkehr zu wiederholten Preiserhöhungen, die in Verbindung mit den verbreiteten Streckenstilllegungen im Bahn- und Busnetz zu starken Nachfrageeinbrüchen führten.

Seit den 1950er Jahren erlitten der öffentliche Verkehr mit Bus und Bahn starke Nachfragerückgänge, der Autoverkehr verzeichnete – auch dank staatlicher Förderung- starke Zuwächse

BRD wird Autoland

Die BRD begann mit einer systematischen Autoförderung. Die private und betriebliche Motorisierung wurde durch das Dienstwagenprivileg steuerlich begünstigt. Das Autopendeln wurde mit der Kilometerpauschale gefördert. Der kommunale Straßenbau wurde mit hochdotierten Förderprogrammen angekurbelt. Das Baurecht definierte das Auto als Basis der verkehrlichen Erschließung und zwang Bauherren, für ausreichend Stellplätze zu sorgen. Das Gehwegparken wurde immer häufiger legalisiert. Die Kommunen wurden ermuntert, viele neue Parkhäuser und Tiefgaragen zu bauen. Die StVO priorisierte den öffentlichen Raum für Fahr- und Parkzwecke des wachsenden Kfz-Verkehrs. Also »explodierte« die private Motorisierung und wurde zum Wohlstandsymbol im Wirtschaftswunderland.

Die Staulänge wächst von Jahr zu Jahr, weil immer mehr Pkw und Lkw um knappen Verkehrsraum konkurrieren

Steigende und zersplitterte ÖPNV-Tarife

Die Tarife im öffentlichen Verkehr der BRD wurden komplizierter durch die Differenzierung der Zuggattungen mit Zuschlägen und die Festsetzung von je eigenen Tarifen durch die verschiedenen lokalen und regionalen Verkehrsgesellschaften und später Verkehrsverbünde. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, für seine Reisen oft mehrere verschiedene Tickets zu erwerben. Erst in den 1970er und verstärkt in den 1980er Jahren begann die Konstituierung von regionalen Verkehrsverbünden mit einer allmählichen ersten »Flurbereinigung« der zersplitterten Tariflandschaft. Trotzdem blieben hohe und komplizierte Tarife mit ihren spezifischen Regelungen wie Altersstufen, Sonderangebote, Abo-Regelungen, Fahrradmitnahme und vor allem regionalen Tarifstufungen (Zonen oder Waben) ein gravierendes Hemmnis der Nutzung.

Das Thema Schwarzfahren als Ärgernis

Zusätzlich wurde auch der fortschreitende Ersatz von Personal durch immer kompliziertere Automaten zu einer Barriere für eine häufige Nutzung. Zumal das »Schwarzfahrersyndrom« bei vielen Menschen zur Angst vor dem »falschen Knopfdruck« am Automaten führte. Legionen von »Schwarzfahrerjägern« sind mit ihrem meist sehr schroffen Gebaren unterwegs und halten oft den Betrieb unnötig auf, weil die Personalfeststellung und im Bahnbereich auch die Übergabe identifizierter Schwarzfahrer an die Polizei zu großen Verspätungen führt. Von der Überfüllung der Strafanstalten mit Mehrfachtätern ganz zu schweigen. Umsonst Busse und Bahnen anzubieten, galt als wirtschaftlich unvorstellbar. Dagegen gilt die weithin unentgeltliche Bereitstellung des öffentlichen Parkraums und fast aller Straßen für das Autovolk als normal. Insofern sind eigentlich alle Autofahrerinnen und Fahrer »Schwarzfahrer«, solange sie nicht mit einer angemessenen Maut und generellen Parkgebührenerhebung für das Autoabstellen im öffentlichen Raum zur Kasse gebeten werden. Solche Überlegungen sind aber aus Angst vorm Autovolk weiter tabu.

Typisch für die Subventionierung des Autoverkehrs ist die vor allem in vielen Klein und Mittelstädten angebotene sog. »Brötchentaste«, die eine Befreiung von der Gebührenpflicht für eine erste Zeitspanne (meist 15 Minuten, teilweise aber auch 20 oder 30 Minuten) vorsieht.

Die Brötchentaste ist ein typisches Beispiel für eine indirekte, diffuse Subventionierung des Autoverkehrs beim Parken.

Hat man je davon gehört, dass im ÖPNV die Kurzstrecke oder die ersten 15, 20 oder 30 Minuten umsonst gefahren werden können?

Teuerung des ÖPNV als Problem

Mit regelmäßigen Tariferhöhungen sind die ÖV-Tarife regelmäßig den Kraftstoffpreisen und der allgemeinen Teuerung enteilt. Auf Preiserhöhungen folgen meist Fahrgastrückgänge.

Der Öffentliche Verkehr wird viel schneller teurer als Autokauf und Autofahren

Auch bei der Güterbahn führen die Preissteigerungen zu Rückgängen im Transportvolumen.

Schienenmaut als Angebotsbremse

Seit 1949 wird das gesamte Bahnnetz mit einer Maut, den Schienenbenutzungsgebühren, belegt. Und jeder Halt einer Bahn kostet Stationsgebühren. Dadurch ist die Bahn massiv benachteiligt, und der Angebotsehrgeiz der Anbieter im Schienenverkehr wird so massiv gebremst. Beim Autoverkehr dagegen wurde die Option einer flächendeckenden Pkw-Maut politisch abgeblockt und die spät genug auf Druck der EU eingeführte Lkw-Maut wurde sehr selektiv auf Autobahnen und große Lkw begrenzt.

Stilllegungen bei der DB

Auf die Rückgänge im Fahrgastvolumen und Transportvolumen reagierte die Politik seit den 1950er Jahren mit systematischen Streckenstilllegungen. Zunächst wurden die sog. »Nebenstrecken« in ländlichen Regionen stillgelegt. Das Ausmaß der Stilllegungen nahm stetig zu. Dabei begann das »Absterben« zunächst mit der Einstellung des regelmäßigen Personenverkehrs, während manche Strecken im Güterverkehr noch weiter bedient wurden. Die Stilllegungen betrafen immer mehr auch die Netze der Kreisbahnen und Kleinbahnen sowie kommunalen Straßenbahnen. Das Gesamtsystem Schiene wurde massiv geschrumpft.

Das Schienennetz in Rheinland-Pfalz 1920 und 1993. Viele Strecken wurden stillgelegt. Erst seit den 1990er Jahren kam es wieder zur Reaktivierung von einigen Strecken

Deutschlandweit wurde das Schienennetz durch Stilllegungen halbiert, 6.000 Bahnhöfe wurden geschlossen. Mit einem solchen Kahlschlag landete man zwangsläufig im Stau, für den mit immer mehr Straßenbau engagiert gesorgt wurde. Verkehrswende erfordert daher systematische Reaktivierungsprogramme.

Zur Stilllegung trug auch bei, dass in die sogenannten Nebenstrecken lange nicht investiert wurde. Daher war ihr Betrieb besonders personalintensiv mit immer noch handbedienten Schranken an Bahnübergängen, veralteten Stellwerken, Kurbeltelefonen und einer vorsintflutlichen Signaltechnik. Kurbelbediente Streckentelefone und drahtgesteuerte Signale gehören ins Museum und nicht ins Bahnnetz. Daher kam es auch immer wieder auf den vielen eingleisigen Strecken und vielen schlecht gesicherten Bahnübergängen zu bedauerlichen tödlichen Unfällen. Für den Betrieb der Nebenstrecken war wegen der veralteten Technik besonders viel Personal je km Strecke nötig. Auf den viel stärker frequentierten Hauptstrecken erfolgten dagegen frühzeitig logistische Modernisierungen. Mit Hilfe von Stilllegungen erhoffte man Personaleinsparungen. Die in anderen Teilen der Wirtschaft weit verbreitete Option, durch Modernisierung mit Hilfe von Elektronisierung, Automatisierung und spätere Digitalisierung und durch flexible, differenzierte Betriebskonzepte wirtschaftlicher zu fahren, wurde im Bahnbereich versäumt.

Rückzug auch bei den Straßenbahnen

Nicht nur die DB verfolgte einen Spar- und Rückzugskurs. Auch die kommunalen und regionalen Straßenbahnsysteme verfolgten einen räumlichen und zeitlichen Konzentrationskurs. Das kann exemplarisch am Beispiel des Ruhrgebietes verdeutlicht werden, dessen Straßenbahnnetz stark schrumpfte und dessen Fahrpläne immer weiter ausgedünnt wurden.

Gleichzeitig wurde das Straßennetz massiv ausgebaut, weswegen die Metropole Ruhr Hot Spot der Stauentwicklung ist

Zwar wurde immerhin die Ruhr-S-Bahn schrittweise ausgebaut, auf zwei Ost-Westachsen. Aber verglichen mit den anderen deutschen S-Bahnsystemen ist die Netz- und Haltepunktsdichte im Ruhrgebiet deutlich geringer und es fehlen vor allem Nord-Süd-Verbindungen in die angrenzenden Regionen des Münsterlandes und Sauerlandes.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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