rail blog 317 / Joachim Holstein

Lockout? Lockdown? Locker mit Wucherpreisen?

Zuerst die gute Nachricht: Es gibt an deutschen Bahnhöfen – zwar nicht an allen, aber immerhin an manchen – noch Schließfächer.

Und jetzt die schlechte Nachricht: die Deutsche Bahn AG ist dabei, sie zu digitalisieren.

Am Münchner Ostbahnhof, der genau wie Hamburg-Altona zu den 21 Bahnhöfen zählt, die von DB InfraGO in die Preisklasse 1 eingestuft werden (einen Fernzug hier halten zu lassen, kostet 61,21 Euro), hat man seit Neuestem beides nebeneinander:

Das alte System, für Nostalgiker und Fortschrittsphobiker, die noch mit Münzen zahlen.

Und das neue System, bei denen man die Schließfächer nur noch bargeldlos nutzen und auf Wunsch sogar online reservieren kann. Sie werden selbstverständlich von einer Fremdfirma betrieben, dazu gleich mehr. Man kann sie sogar online reservieren (ob man die Reservierung auch dann bezahlen muss, wenn man wegen einer Störung im Betriebsablauf später ankommt als geplant und das Fach gar nicht mehr nutzen kann?).

Die analogen Fächer gibt es in zwei Größen: Pro 24 Stunden kosten die kleinen mit 76,6 Litern Stauraum 3,00 Euro, die großen mit 249,6 Litern Stauraum 5,00 Euro.

Die digitalen Fächer gibt es in drei Größen: Pro 24 Stunden werden für die Größe L mit 80,4 Litern 9,00 Euro verlangt, für XL mit 213,4 Litern 11,00 Euro und für XXL mit 329,5 Litern 13,50 Euro.

9 Euro statt 3 Euro Einstiegspreis – das ist mal eine Ansage von einer »am Gemeinwohl orientierten« Infrastrukturgesellschaft. Und jetzt vergleichen wir mal die Preise auf der Basis »Euro pro Kubikmeter«. Beim kleinen analogen Fach zahlt man pro Kubikmeter 39,16 Euro, beim großen analogen Fach 20,03 Euro. Beim kleinen digitalen Fach sind es 111,96 Euro, beim mittleren digitalen Fach sind es 51,54 Euro und beim großen digitalen Fach sind es 40,97 Euro pro Kubikmeter.

Ist sowas schon Wucher?

Hinzu kommt, dass man zwar im Internet die Maße der Fächer erfahren kann, aber der »Laufkundschaft« die Maße nicht angezeigt werden. Man sieht zwar, wie breit und hoch die Türen sind, aber da man die Wandstärke nicht kennt und vor allem nicht weiß, wie tief die Fächer sind, hat man keine Ahnung, was einen erwartet. Böse Falle dabei: die kleinen Fächer sind 20 cm weniger tief als die beiden anderen Formate, was man aber nicht sehen kann, weil sie in der Mitte eingebaut wurden. Wenn man also an der Seite sieht, dass die Konstruktion rund 80 cm tief ist und dann denkt, man könnte für einen schmalen, aber etwa 60 bis 70 cm langen Gegenstand ein kleines Fach nehmen, hat man 9 Euro verloren, denn erst nach dem Bezahlen öffnet sich eine Tür.

Wäre es nicht genial, gemeinwohlorientiert und geradezu revolutionär, wenn alle Kunden ihre Fächer ausprobieren könnten, um zu sehen, welche Größe sie brauchen? Und wenn sie gar die Möglichkeit hätten, ihr schweres Gepäck in ein Fach auf Fußbodenhöhe zu schieben, anstatt vom Zufallsgenerator ein Fach auf Brusthöhe zugewiesen zu bekommen? Weil nämlich zu sehen ist, welche Fächer frei sind? Bis vor wenigen Jahren war das Standard! Warum wir das jetzt abgeschafft?

Natürlich gibt es auch nur noch eine einzige »Kasse« – ein Bildschirmterminal – für 43 Fächer. Da steht man dann Schlange, weil alle warten müssen, bis die Reisenden vor einem mit der Bedienung fertig sind. Jahrzehntelang hatte jedes Schließfach ein eigenes Münzschloss – da hätten vor einer Anlage wie in München Ost so etwa 20 bis 25 Leute gleichzeitig ihr Gepäck verstauen können.

Last, but not least kommen wir jetzt zur Fremdfirma. Die nennt sich »Mobile Locker« und verschafft einem ein spannendes Erlebnis. Man befindet sich also zunächst auf der Website der Deutschen Bahn AG: https://www.bahnhof.de/muenchen-ost/schliessfaecher

Klickt man auf den Link »online reservieren«, dann öffnet sich folgende Website: https://reservations.be.mlunit.eu/iframe/125/de_DE/duration/318/425

Nun kann man Datum, Uhrzeiten und Größe eingeben und anschließend seine persönlichen Daten angeben – alles ohne dass man darüber informiert wird, bei wem man sich gerade befindet, das kleingedruckte »Copyright © Mobile Locker« tut da kaum was zur Sache.

Die Überraschung kommt, wenn man rechts unten auf »Geschäftsbedingungen« klickt. Da öffnet sich diese Seite: https://mobilelocker.eu/terms-conditions

Ein buntes Gemisch aus Flämisch und Englisch. Nun bin ich zwar fluent in English und weiß auch, wo es auf Flämisch naar links oder naar rechts geht – aber wenn ich mich nicht irre, muss laut Telemediengesetz der Anbieter gewährleisten, dass die Bedienung deutschsprachig erfolgen kann. Bei einem breiten Fenster sieht man einen Button mit einer rot-weiß-blauen Fahne und »NEDERLANDS«, sodass man weiß, wo man »Deutsch« finden sollte, aber wenn das Programmfenster schmal ist, geht das nicht, denn der dort einzig sichtbare »Hamburger-Button« führt nicht zur Sprachauswahl.

Wenn der »Partner« der DB ein derart, sagen wir mal, lockeres Verhältnis zum Telemediengesetz pflegt, wird man sich wahrscheinlich sagen: »Denen gebe ich meine Daten nicht«.

Und mein Gepäck auch nicht.

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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