Mit dem Fahrrad im ICE4 – Stress pur bis kurz vor einem Herzinfarkt
Gebucht war schon zwei Monate im Voraus wegen der Fahrradstellplätze eine Reise im ICE 699 von Hamburg-Altona nach Erfurt, Streckenführung über Uelzen – Stendal – Berlin – Leipzig. Drei Wochen vor Abfahrt werden eine neue Abfahrts- und eine um 30 Minuten spätere Ankunftszeit mitgeteilt.
Wegen Räder mit großem Gepäck ist man zeitig am Bahnhof Altona. Der Zug wird mit pünktlicher Abfahrt 17:37 Uhr angezeigt, aber in einer gegenüber dem Regelverlauf geänderten Wagenreihung. Also ist das Radabteil an der Spitze des Zuges, man muss das Fahrrad 400 Meter auf dem Bahnsteig dorthin schieben. 20 Minuten vor Abfahrt fährt auf dem planmäßig angegeben Bahnsteig ein ICE-T ein. Der Bahnkenner merkt sofort, dass das nicht der Zug für die Fahrt nach Erfurt und dann weiter auf einer alten Nachtzug-Fahrplanlage über Frankfurt, Heidelberg und Stuttgart nach München sein kann. Offensichtlich hatte das Ausbesserungswerk in Eidelstedt oder Langenfelde Engpässe und musste eine Arbeitsbühne frei bekommen. So wurde der Zug mit Abfahrt 18:12 Uhr nach Hannover schon eine Stunde vor Abfahrt einmal auf das Abfahrtgleis des ICE 699 im Bahnhof Altona geschoben. So etwas geht nur in einem Kopfbahnhof. Der ICE nach Erfurt sollte nun auf dem Gleis gegenüber einfahren. Dies ist aber noch durch den 17:29 Uhr abfahrenden ICE nach Köln und Frankfurt blockiert. Dieser Zug fährt aber pünktlich ab, sodass der nachfolgende ICE pünktlich um 17:32 Uhr zum Einsteigen bereit ist und eigentlich hätte pünktlich starten können. Ein sehr netter Lokführer, der den ICE 699 nach Berlin Hbf. bringen soll, bestätigt, dass ein solches Manöver an einem Bahnhof Diebsteich nicht funktionieren würde, und meint lakonisch, als wir uns Prellbock-Mitglieder zu erkennen gaben: „Macht weiter so!“
Der ICE 4 kommt zwar frisch aus dem Bahnbetriebswerk, aber mit verschlossenem Wagen 1 (der mit dem Radabteil) wegen nicht funktionierender Klimaanlage! Der Zug ist keine vier Jahre alt! Was tun mit den Rädern? Anweisung der resoluten Zugchefin: Einstieg in Wagen 2 und die Räder durch den ganzen Wagen 1 bis zum Radabteil schieben. Das erweist sich aber schwieriger als gesagt, weil E-Bikes mit den etwas breiteren Lenkern nicht so ohne Weiteres durch den sehr schmalen Mittelgang im ICE4 passen. Zum Glück sind wir die einzigen Radler, sonst hätte diese Prozedur zu erheblichen Abfahrt-Verspätungen führen können. Ferner besteht die Zugchefin auch darauf, die Räder in die Hochständer einzuhängen, was bei den heutigen E-Bikes wegen der dicken Reifen und dem hohen Gewicht ein Akt der Unmöglichkeit ist. Etwas barsch wird man beschieden, man habe die Plätze einzunehmen, die man gebucht habe. Diesen Kraftakt erspare ich mir. Zum Glück können wir die Plätze tauschen, und die Zugchefin lässt sich bis zu ihrem Dienstende in Berlin nicht mehr blicken, um zu kontrollieren, ob man ihren Anweisungen Folge geleistet habe.
Das grundlegende Problem ist, dass das Fahrradabteil im ICE 4 viel zu eng und mit nur 8 Stellplätzen viel zu klein ist und das Hantieren mit den Rädern immer eine elende Würgerei ist. Beim Aussteigen die ganze Prozedur noch einmal! An E-Bikes der heutigen Dimensionen haben die Konstrukteure der Bahn und bei Siemens vor 15 Jahren, als der ICE konzipiert wurde, nicht gedacht.
Obwohl er hätte pünktlich abfahren können, verlässt der ICE 699 den Bahnhof-Altona mit einer Verspätung – neudeutsch Abfahrtsverzögerung – von 10 Minuten, die sich trotz Auslassung des Haltes Dammtor bei Abfahrt aus dem Hbf auf 16 Minuten ausgeweitet hat. Daraufhin entfallen die auf der elektronischen Anzeigetafel im Zug noch genannten Halte in Harburg und Lüneburg. Auf der Schnellfahrtstrecke ab Stendal dreht der Zug plötzlich auf und erreicht Berlin Hbf. pünktlich, um dann dort 20 Minuten herumzustehen! Gleiches wiederholt sich auch beim nächsten Halt in Lutherstadt Wittenberg, um dann von dort wieder mit 250 km/h nach Leipzig zu brettern. Energetisch und klimamäßig ein völliger Unsinn, aber so scheint die DB neuerdings ihre Pünktlichkeitsquote aufhübschen zu wollen. Aber trotz der Raserei und dank der Kunstpausen erreichte der Zug den Bahnhof Erfurt 15 Minuten nach der schon um 30 Minuten nach hinten verschobenen revidierten Ankunftszeit.
Fazit: Der Fahrplan ist zum Lotteriespiel geworden. Verlässlichkeit war gestern. Zum Glück war der Zug nicht voll, so dass trotz der unmöglichen Be- und Entladesituation für die Räder die Bahnreise noch akzeptabel war. Aber die Fahrtzeit könnte locker um 30 Minuten kürzer sein, wären da nicht die Kunstpausen zur Abdeckung von Verspätungen, oder anders herum: Übertriebene Höchstgeschwindigkeit macht keinen Sinn, und mit stärker harmonisierten Geschwindigkeiten auf den angeblich überlasteten Hauptstrecken würde deren Kapazität steigen.