rail blog 368 / Joachim Holstein

Kleine Ursache – großes Chaos

Am 25. August fiel in Schleswig-Holstein ein Baum um. Das ist wegen des Größenunterschiedes zwar nicht so häufig wie der Sack Reis in China, aber der meerumschlungene echte Norden ist ja eigentlich stolz darauf, einen ausgewachsenen Sturm nur als »büschen Wind« zu titulieren.

Jedenfalls fiel der Baum auf die Oberleitung einer Bahnstrecke, und da es davon – also Oberleitungen – nicht allzu viele gibt, kann man schon folgern, dass es eine Hauptstrecke erwischt haben musste. Richtig. Und zwar direkt vor den Toren der Landeshauptstadt, zwischen Meimersdorf und Flintbek.

Passiert ist das morgens um vier, und im Grunde lässt das genügend Zeit, um für den Berufs- und Schülerverkehr etwas zu organisieren. Den von der Presse gerne aufgegriffenen verzweifelten bis wütenden Reaktionen der Fahrgäste zufolge hat die DB aber, abgesehen vom Flicken der Leitungen, so gut wie nichts, jedenfalls nichts Ausreichendes, unternommen.

Im Gegenteil – man ließ die Fahrgäste alleine.

Flintbek ist 10 km von Kiel Hbf entfernt und hat zwei Bahnsteige mit 220 Meter Länge. Falls der Baum nicht direkt am Ort stand, müsste es eigentlich möglich gewesen sein, mit Elloks bis dorthin zu fahren, so dass nur 10 km mit Bussen hätten überbrückt werden müssen. Ansonsten hätte man sich Dieselloks besorgen oder die Züge in Bordesholm, 19 km von Kiel Hbf entfernt, beginnen und enden lassen können.

Man hätte auch darauf verweisen können, dass von Kiel aus einerseits Rendsburg und andererseits Lübeck mit dem Zug erreichbar blieben – vor allem für diejenigen, die aus der passenden Richtung kamen oder dorthin wollten, wäre das eine denkbare Alternative gewesen.

Was machte die DB stattdessen? Sie kappte die gesamte Strecke ab Neumünster, 31 km von Kiel entfernt. Wenn schon, denn schon. Sie haben sich in den Daumen geschnitten? Da gipsen wir doch den Arm bis zum Ellbogen ein! Ihr Auto hat einen Platten? Vier neue Reifen, vier neue Felgen!

Dieser Montag war ein schwarzer Tag für Bahnfahrer rund um Kiel: Wegen eines umgestürzten Baumes zwischen Flintbek und Kiel-Meimersdorf stand der Zugverkehr von 4 Uhr morgens bis um kurz nach 18 Uhr still. Pendlerinnen und Pendler, aber auch viele Urlaubsreisende, mussten ihre Fahrt umplanen und viel Geduld aufbringen.

Der Baum war am Montagmorgen auf eine Oberleitung gefallen. Das führte zwischen Neumünster und Kiel zu massiven Problemen, insbesondere am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt. Betroffen von der Streckensperrung waren die Züge der Linien RE7, RE70 sowie alle IC und ICE im Fernverkehr. Die Bahn hat einen Ersatzverkehr mit Bussen eingerichtet, die zwischen Kiel und Neumünster pendelten.

https://www.kn-online.de/lokales/kiel/umgestuerzter-baum-auf-oberleitung-keine-zuege-von-und-nach-kiel-E5MT3XF3D5GFFGMXAHDDX52KSU.html

Während es in Kiel offenbar einigermaßen klappte und tatsächlich manche Reisende den Tipp bekamen, nach Rendsburg zu fahren, wurde aus Neumünster Chaos und Versagen der Bahn gemeldet:

Dicht an dicht drängen sich Reisende am Montagmittag auf dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) in Neumünster. …

„Das Warten hier ist das eine. Die fehlenden Informationen, ob, wann und wie viele Ersatzbusse fahren, das ist viel schlimmer“, … [C. M.] aus Hamburg, der mit seiner Tochter einen dreitägigen Kurzurlaub in Eckernförde verbringen möchte, ist in den Bus um 12.30 Uhr nicht mehr hineingekommen und etwas genervt.

„Das ist echt eine Zumutung“, sagt der Vater. „Ich verstehe nicht, warum die hier nicht größere Gelenkbusse einsetzen.“ Zudem fehlen aus seiner Sicht Informationen. „Warum steht hier niemand von der Bahn und informiert die Reisenden? Man wird hier als Fahrgast ziemlich allein gelassen, weiß nicht, wann der nächste Ersatzbus kommt.“ 

Genauso empfinden es zwei jüngere Frauen, die von Hamburg nach Kiel unterwegs sind. Sie überlegen, ob sie den nächsten Flughafenbus Kielius nehmen. „Das kostet dann 10,50 Euro, aber man hat zumindest einen Sitzplatz.“ Die beiden Frauen erzählen, dass man auch in der Bahn-App kaum Informationen zum Schienenersatzverkehr findet. „Das wäre das Mindeste, was die Bahn machen sollte.“

https://www.kn-online.de/lokales/neumuenster/bahnsperrung-neumuenster-kiel-reisende-kritisieren-ersatzverkehr-EHVJLNNHKBDKRBSDQZSB4AQBUI.html

Wohlgemerkt: dieses Chaos in Neumünster fand mehr als acht Stunden nach dem Schadenseintritt statt! Das Resümee des Zeitungsredakteurs:

Das Krisenmanagement am Bahnhof in Neumünster war ungenügend. Es zeigte sich ein weiteres Mal: Die Bahn befindet sich in einer Dauerkrise. Lust auf Zugfahren macht das nicht.

https://www.kn-online.de/schleswig-holstein/schienenersatzverkehr-zwischen-kiel-und-neumuenster-kommentar-zum-chaos-EJU66VZUQFHULBHIJIMASWSP6A.html

Erinnerungen werden wach an die Fußball-EM 2024, als die DB sich und ganz Deutschland zum Gespött machte – nicht so sehr, weil irgendwo sich eine Betriebsstörung ereignet hatte, sondern weil sie damit nicht umgehen konnte.

Beim Baum vor den Toren Kiels legte die DB sogar noch einen drauf, indem die Fernzüge nicht einmal bis Neumünster fuhren, sondern in Hamburg Hbf gestoppt wurden, 110 km vor Kiel. Warum? Es wäre schon schräg genug gewesen, die Züge ins Betriebswerk Hamburg-Eidelstedt zu schicken und den planmäßigen Halt in Hamburg-Dammtor wahrzunehmen, oder aber die Züge in Hamburg-Altona enden zu lassen … aber am Hauptbahnhof, der eh schon überlastet ist? Was sollte das?

Hat die Deutsche Bahn für so etwas keine Notfallpläne, die mit den Bundesländern abgestimmt sind?

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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