Bahnfahren in China – ein Kulturschock für den leidgeplagten DB-Bahnreisenden
Alle großen chinesischen Städte haben gleich mehrere Fernverkehrsbahnhöfe, manche bis zu vier, je Himmelsrichtung einen. Interessant sind vor allem die Fernverkehrsbahnhöfe, die die meisten Hochgeschwindigkeitszugverbindungen anbieten. Diese sind in der Regel in den Jahren ab 2005 entstanden und lagen damals außerhalb der Stadtkerne, häufig auf noch agrarisch genutzter Fläche. Heute hat die Stadtentwicklung sie eingeholt und riesige Hochhausviertel umgeben diese Bahnhöfe. Das sind aber keine Bahnhöfe, wie wir sie kennen. Sie ähneln in ihren Dimensionen und von der Gestaltung und Ausstattung eher Großflughäfen: riesige Bahnhofshallen mit getrennten Ankunfts- und Abfahrtsebenen mit entsprechenden Rampen für den Zubringer- und Abholerverkehr.
In diesen Bahnhöfen ist eine Gepäck- und Personenkontrolle wie auf Flughäfen obligatorisch (wie übrigens auch in Spanien). Für jeden Bahnsteig gibt es eigene riesige Wartesäle, in denen man ausharren muss, bis der Zug eingefahren ist. Dort findet auch die Ticketkontrolle statt. Bahntickets im klassischen Sinne gibt es in China nicht mehr. Es dient der Personalausweis (bei Ausländern der Reisepass) zusammen mit einem QR-Code, den man bei Buchung erhält, als Fahrausweis und mit entsprechender Sitzplatzzuordnung, die auf dem Smartphone angezeigt wird.
Der Personalausweis wird auf einen Scanner gelegt, und das Drehkreuz, das Zugang zum Wartesaal gibt, schaltet sich auf grün. Etwa 10 Minuten vor Abfahrt des Zuges und wenn der Zug bereitgestellt ist, wird der Zugang zum Bahnsteig freigegeben. Vom Wartesaal aus führen Rolltreppen und Lifte auf den Bahnsteig, der in voller Länge überdacht ist! Die Bahnsteige sind Hochbahnsteige mit 96cm Bahnsteighöhe, so ist ein ebenerdiges Einsteigen in den Zug mit einer maximalen Spaltbreite zwischen Zug und Bahnsteigkante von 10 cm gewährleistet. Das beschleunigt das Einsteigen enorm, ebenso wie die große Zugbreite (ca. 30 cm mehr als die schon breiten ICE 1 Zuge, so dass in der 2. Klasse 5 und in der 1. Klasse 4 Sitze nebeneinander angeordnet sind. Die älteren chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge ähneln sehr dem ICE 3, das sind die für den chinesischen Markt angepassten Siemens Velaro-Züge. Eine neue Qualitätsstufe sind die Fuxing-Züge aus chinesischer Eigenproduktion, die mehr als 350 km/h schnell sind: vom Komfortstandard allem, was auf deutschen Schienen herumfährt, haushoch überlegen mit edler Innenausstattung – dagegen sieht der ICE 4 altbacken aus. Auf der Fahrt des Autors von Peking-Westbahnhof nach Xian über 1.500 km beschleunigte der Zug innerhalb von 10 Minuten auf Höchstgeschwindigkeit und hielt diese die ganze Strecke durch, abgesehen von zwei Zwischenhalten, so dass nach einer mehr als vierstündigen Bahnreise der Zug etwa 10 Minuten vor der Fahrplanzeit ankam.
Die Bahnanlagen haben eine in Deutschland unbekannte Dimension und Qualität. Der HGV-Bahnhof in Xian hat 34 Bahnsteigkanten!, Peking West hat 22 und Chongqin 28! Die HGV-Strecken sind in der Regel aufgeständert (geringerer Landschaftsverbrauch, da es keinen breiten Bahndamm gibt) in fester Fahrbahn ausgeführt und werden über gewagte Brückenbauwerke geführt. Die Bestands- und Güterverkehrsstrecken sind alle in klassischer Schotterversion aufgeführt, aber super gepflegt. Wie auch in den Bahnhöfen findet man auf den Strecken kein Unkraut und keinen Müll, nicht einmal eine Zigarettenkippe. Die neuen Bahnhöfe sind alle super hochwertig gebaut, mit gigantischen Hallen. Bahnsteige, Fußböden und Wände sind mit Granitplatten ausgekleidet. Moderne, gut lesbare Anzeige- und Reklametafeln stechen ins Auge. Den Abfahrtstafeln mag ein deutscher Bahnkunde kaum trauen. Da fahren HGV-Züge im Minutentakt ab oder kommen nach mehreren Tausend Kilometern punktgenau an. Ich habe keine Abfahrtsverzögerung oder Verspätungsanzeige erlebt. Und die Abfahrtsminute ist auch die Abfahrtsminute. Alle Zugbegleiter sind mit einem Knopf im Ohr miteinander, dem Lokführer sowie dem Fahrdienstleiter verbunden. Dies ist bei Zügen mit 18 Wagen auch unumgänglich! Diese fassen dann fast 2.000 Passagiere. Dafür sind natürlich ein entsprechendes Passagierhandling sowie ausreichend dimensionierte Verkehrsflächen in den Bahnhöfen erforderlich.
Während der Fahrt werden die Waggons und Toiletten regelmäßig gereinigt, und bei Ankunft des Zuges steht das Reinigungspersonal schon bereit, um den Zug für die Rückfahrt vorzubereiten. So schafft es CR, einen Zug selbst nach einer 1.500 km langen Reise binnen 20 Minuten wieder auf die ebenso lange Rückreise zu schicken. Bei der DB ist das undenkbar und würde allen Verantwortlichen nur Schweißperlen auf die Stirn treiben.
Fazit: Die Super-Bahnexperten der DB sollten einmal für zwei Jahre bei CR in die Lehre gehen, und die Politiker, die für die strukturelle Unterfinanzierung der Bahninfrastruktur in Deutschland verantwortlich sind, gleich mit. Denn ohne ausreichende staatliche Infrastrukturfinanzierung wäre das Bahnwunder in China mit 29.000 km Hochgeschwindigkeitsstrecke niemals Realität geworden.
Michael Jung
Der Artikel entstand nach vier Bahnfahrten in China von Peking nach Xian, dann über Chengdu, nach Chongqin und von Yifang nach Shanghai im Oktober 2025

