Bürgerbahn – 25 Jahre Bahnkritische Kompetenz
zum 25. Jahrestag der Gründung des Bündnisses Bürgerbahn statt Börsenbahn (BsB)
Im Jahre 2000 befand sich die Deutsche Bahn noch im Aufwind. Die Vereinigung von Deutscher Reichsbahn und Deutscher Bundesbahn zur Deutschen Bahn im Jahr 1994 weckte Hoffnungen, mit der langjährigen Kompetenz der Mitarbeiter zweier großer Bahngesellschaften eine moderne Bahn als Rückgrat eines umweltfreundlichen Verkehrs im gerade 10 Jahre lang wiedervereinigten Deutschlands zu schaffen. Wir erinnern uns an die damaligen Erfolge: Im Jahr der Weltausstellung war die dritte Hochgeschwindigkeitsstrecke von Hannover nach Berlin seit zwei Jahren in Betrieb, die vierte Strecke von Frankfurt/Main nach Köln sollte 2002 folgen, erstmals fuhren Züge auf deutschem Boden 300 km/h im Regelbetrieb, und ein dichtes Netz von Interregio-Linien, welches auch kleinere Städte an das Fernverkehrsnetz anschloss, überspannte noch das Land. An den Eisenbahnverkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ wurde fleißig gebaut, die Eisenbahnindustrie präsentierte interessante neue Fahrzeugkonzepte wie der Koppelung von dieselelektrischen ICE-Zügen für hochwertige Reiseangebote auf (noch) nicht elektrifizierten Strecken wie der Sachsenmagistrale, mit rein elektrischen ICE-Zügen für schon elektrifizierte Strecken, oder der Befahrung kurvenreicher Strecken mit Neigetechnik-Fahrzeugen.
Leider währte die Euphorie nicht lange. Denn das Konstrukt Deutsche Bahn hatte einen grundlegenden Geburtsfehler. Die Gründung erfolgte in der Form einer Aktiengesellschaft. Das weckte Phantasien in der damaligen rot/grünen Koalition, dass man (auch um den Bundeshaushalt zu schonen) im Rahmen des damals vorherrschenden Privatisierungshypes die Bahn an die Börse bringen könnte. Sofort träumten einige Politiker und das Bahnmanagement davon, die Deutsche Bahn zu einem Global Player ausbauen zu können. Hartmut Mehdorn, der aus der weltweit agierenden Auto- und Flugzeugindustrie kam, ergriff mit seinem Bahnmanagement gern die Chance, die sich für Ihn als potentieller Chef einer Börsennotierten DB AG ergab. Er brachte das Handwerkszeug mit, wie man einen Konzern auf Börsenkurs trimmt. Das hieß zuerst die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung so zu frisieren, dass sich an der Börse ein möglichst hoher Verkaufspreis erzielen ließ. Bei der zeitgleichen Privatisierung von Deutscher Post, der Telekom, der Lufthansa und vieler städtischer Unternehmen wurde es ja vorgemacht. Dummerweise funktioniert das Aufhübschen der Bilanz bei einem anlageintensiven Unternehmen wie der Bahn mit einer langen Tradition und auch Angebotsverpflichtungen gegenüber den Regionen und der Industrie nicht so einfach. So kam Mehdorn auf den Trick, massiv an der Infrastrukturinstandhaltung zu sparen, denn jeder Eisenbahner weiß: Wenn man am Gleisnetz nichts tut, merkt man die ersten fünf Jahre gar nichts und in den folgenden 10 Jahren fällt einem das Ergebnis des Nichtstuns umso härter auf die Füße. Die Kalkulation von Mehdorn & Co. war, dass dieser Zeitpunkt erst nach dem Börsengang erreicht würde – und dann hätten Mehdorn & Konsorten schon längst ihre Erfolgsprämie kassiert und sich aus dem Staub gemacht.
Nun kam es zum Glück anders. Aufmerksame Eisenbahner und Beobachter der Eisenbahnszene von außen witterten die Gefahr eines Börsengangs für das System Bahn und fingen an, kritische Fragen zu stellen und den Widerstand zu mobilisieren. So gründete sich Ende 2000 durch die Initiative des damaligen (2023 leider verstorbenen) Bundestagsabgeordneten Winfried Wolf das Bündnis „Bürgerbahn statt Börsenbahn“, welches in kritischen Artikeln, in Veranstaltungen und offenen Protesten auf die Gefahren hinwies. Diese Protestbewegung wuchs an, und langsam begann die Privatisierungseuphorie in Deutschland abzuebben – auch angesichts augenfälliger Misserfolge von Bahnprivatisierungsprojekten im Ausland, besonders in Großbritannien. Der Crash auf den Finanzmärkten 2008 gab den Börsenplänen der Bundesregierung und von Mehdorn & Co schließlich den Rest. Aber an den Folgen der damaligen Fehlentscheidung, die Bahn an die Börse zu bringen, leidet das System Bahn heute noch immer: einerseits, weil damals im großen Stil wertvoller Immobilienbesitz der Bahn an Spekulanten verhökert wurde, und andererseits, weil megalomane Großprojekte aufgesetzt wurden, die sich bis heute als große Kostenfallen und Engpassstellen im Bahnnetz erweisen (siehe Stuttgart 21).
Bürgerbahn, heute firmierend als „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“ hat über 25 Jahre hinweg kontinuierlich den drohenden und eingetretenen Zerfallsprozess des Systems Bahn kritisiert, kommentiert und Vorschläge für eine bürgerfreundliche Bahn unterbreitet.
Erfolge der Arbeit von Bürgerbahn und anderen bahnkritischen Initiativen:
- In der Öffentlichkeit und den Medien ist die Aufmerksamkeit für alle Fragen des Bahnbetriebes wie Pünktlichkeit, Streckensperrungen, Schienenersatzverkehre usw. enorm gestiegen
- Alternativen zur gegenwärtigen Bahnpolitik werden offen diskutiert
- Weitere Verschlechterungen wie zum Beispiel die Zerschlagung der Berliner S-Bahn konnten (vorerst) verhindert werden,
- Der Nachtzugverkehr – besonders propagiert durch die europaweite Initiative „Back on Track“ – erlebt eine deutliche Renaissance
- Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen, die für eine bessere Bahn eintreten, und gerade daher kritisch die häufig ohne jegliche Bürgerbeteiligung geplanten Großprojekte der DB begleiten
- Überflüssige Hochgeschwindigkeits- und teure Neubau-Projekte werden kritisch hinterfragt
- Die Rolle der Bahn bei der Gestaltung der Verkehrswende und die Treibhausgasemissionen bei großen Bauprojekten werden intensiver thematisiert
- Last but not least: Der Prozess der Herauslösung der DB-InfraGO aus dem DB-Konzernverbund ist gestartet … aber der Erfolg ist leider noch nicht sicher
Die Forderungen von Bürgerbahn-Denkfabrik im Jahr 2025 gehen weiter:
- Überführung der DB InfraGO in die Rechtsform einer Körperschaft öffentlichen Rechts
- Beendigung sämtlicher Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge zwischen dem Konzern DB AG und der DB-InfraGO
- Beendigung sämtlicher Hochgeschwindigkeits-Neubauvorhaben, stattdessen Fokus auf Sanierung des gesamten Netzes (und nicht nur der Hochleistungskorridore) sowie der Beseitigung der bekannten Engpassstellen
- Reaktivierung von Bahnstrecken, besonders im ländlichen Raum gemäß der Liste des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)
- Wiedereinführung des Interregios zur Anbindung von Klein- und Mittelzentren an den Fernverkehr.
Bürgerbahn wird auch weiterhin eine kritische Stimme in der deutschen Bahnpolitik bleiben. Die Forderungen von Bürgerbahn sind angesichts des fortschreitenden Klimawandels aktueller und dringlicher denn je. Nur durch konsequente Investitionen in die Sanierung, Engpassbeseitigung und Reaktivierung von Bahnstrecken kann die Bahn die ihr bei der Gestaltung der Verkehrswende zukommende Aufgabe bewältigen.
Darauf ein Prost zum 25-jährigen Jubiläum.

