rail blog 55 / Michael Jung

Autoreisezüge noch zeitgemäß?

Autoreisezüge (ARZ) sind Nachtzüge mit Schlaf- und Liegewagen, die zusätzlich Fahrzeugtransportwagen mitführen, auf denen man auf langen Strecken in die Urlaubsgebiete sein eigenes Auto oder Motorrad mitnehmen kann. Solche Transportwagen finden sich auch in einigen Nachtzügen der ÖBB und der slowakischen ZSSK. Daher sind solche Züge besonders bei Bikern und Besitzern von Oldtimern sehr beliebt, die entweder ihren historischen Fahrzeugen keinen langen Ritt mehr über deutsche Autobahnen zumuten wollen, oder es für schlicht zu anstrengend halten, zehn Stunden bei womöglich schlechtem Wetter auf dem Bike durch Deutschland zu fahren, um in die Alpen zu kommen. Gleichermaßen beliebt sind die Autoreisezüge bei Urlaubern aus Skandinavien, die nach Italien, Kroatien, in die Alpen oder nach Frankreich wollen, und Schweizern, die nach Skandinavien wollen, sparen sie so doch einen Tag Autofahrt und eine Hotelübernachtung. Man könnte fast meinen, gerade in Zeiten des Klimawandels ein zukunftsweisendes Geschäftsmodell.

Aber genau ein Jahr nach Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens hatte die DB nichts Besseres zu tun, als sich aus diesem Geschäft, wie auch aus dem reinen Schlaf- und Liegenwagen-Nachtzugverkehr zurückzuziehen. Von den einst über 20 und zuletzt sieben Verladestationen für diese Autoreisezüge in Deutschland (Hamburg-Altona, Berlin-Wannsee, Neu-Isenburg bei Frankfurt, Düsseldorf, Hildesheim, Lörrach, München-Ost) legte die DB bis auf drei Stationen alle still. Auch die drei noch bestehenden Verladeeinrichtungen (Hamburg-Altona, Lörrach und München-Ost) sind hochgradig gefährdet. In München-Ost hat die DB ein Auge auf die Anlagen geworfen, um sie zu entwidmen und als Baustelleneinrichtungsfläche für den hochumstrittenen 2. S-Bahntunnel zu nutzen, in Lörrach gibt es Immobilienbegehrlichkeiten für die Stadtentwicklung, und in Hamburg-Altona wollte die DB das Verladeterminal ersatzlos aufgeben, wenn der Fern- und Regionalbahnhof Altona nach Diebsteich verlegt ist.

Das sollte nach den ursprünglichen Plänen der DB schon 2023 passieren. Dank der Klage von Prellbock zusammen mit dem VCD-Nord konnte das verhindert werden. So sah das Hamburger Oberverwaltungsgericht die ersatzlose Streichung des Verladeterminals als grundlegenden Mangel des Planfeststellungsbeschlusses für den Bahnhof Diebsteich an und verhängte im August 2018 einen unbefristeten Baustopp. Dieser wurde erst aufgehoben, als der VCD-Nord als klagende Partei sich auf einen faulen Vergleich mit Bahn und Hamburger Politik einließ. Durch die Klage wurde die DB gezwungen, nun ein komplett neues ARZ-Terminal zu planen. Die Anlage passt aufgrund der räumlichen Enge nicht an den Standort des Bahnhofs Diebsteich, sondern soll jetzt auf dem DB-Gelände des ICE-Wartungswerkes Hamburg-Eidelstedt entstehen. Damit verbaut sich die DB aber die Optionen für andere wünschenswerte Netzerweiterungen im Hamburger Norden. Ein Planfeststellungsbeschluss für das neue ARZ-Terminal ist ergangen. Er wird allerdings von der Bürgerinitiative Prellbock beklagt, weil a) das Terminal nicht zukunftsfähig geplant ist, b) keine CO2-Bilanzierung für den Bau und die Entwidmung des alten Terminals vorgelegt wurde und zudem c) der Bau in einem Trinkwasserschutzgebiet erfolgt. Nach Ansicht von Prellbock soll das Terminal am gegenwärtigen Standort verbleiben, zusammen mit einem modernisierten Bahnhof Altona. Denn die Verlagerung nach Diebsteich nimmt Altona, einer Großstadt mit über 275.000 Einwohnern, ihren Bahnhof und ist zudem mit den Hamburger Klimaschutzzielen nicht vereinbar.

Stellt sich zum Schluss die Frage: Sind ARZ noch zeitgemäß? Die Antwort kann nur heißen: JA. Die Autotransportwagen der ÖBB-Nightjets und die von den beiden privaten Firmen UEx und BTE angebotenen Autoreisezüge sind binnen Stunden nach Freischaltung im Internet ausgebucht. Die Nachfrage ist ungebrochen angesichts zunehmender Staus auf den Autobahnen und der steigenden Zahl von Elektroautos mit begrenzter Reichweite. E-Auto-Besitzer, aber auch gerade ältere Reisende und Reisende mit Kindern und Hunden sind treue Kunden der ARZ. Und es würden schnell mehr, wenn wieder wie vor 2016 mehr Ziele im Ausland angefahren würden. Da ist noch mächtig Luft nach oben. Die DB hingegen versucht, durch hohe Abfertigungskosten für die ARZ das Geschäft der privaten Anbieter zu ruinieren: Während in Österreich der Infrastrukturbetreiber für die Abfertigung eines Zuges mit Be- und Entladung an den alten Terminals Innsbruck und Villach nur 17,86 Euro und am neuen Terminal in Wien 84,97 Euro berechnete, erhöhte die DB 2019 die Preise für die Nutzung der Terminals in Altona von 535,35 Euro und in Düsseldorf von 396,02 Euro auf 626,56 Euro pro Zug, also auf das 7,4-fache von Wien bzw. das 35-fache von Villach!

Über Michael Jung

Jahrgang 1950, Dipl.-Volksw., arbeitete zuerst in einem Großkonzern der Mineralölwirtschaft und dann 28 Jahre bei einer deutschen Großbank, davon 10 Jahre lang im Bereich Finanzierung von Eisenbahn- und Nahverkehrsprojekten weltweit. Seit 8 Jahren ist er Sprecher der Bürgerinitiative Prellbock-Altona e.V., die sich für den Erhalt und Modernisierung des Fern- und Regionalbahnhofs Altona am jetzigen Standort einsetzt.

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