rail blog 69 / Andreas Kleber

Meine heimliche BAHNLIEBEdie Rhätische Bahn

Meine Lehrstelle Anfang/Mitte der 60er war Dezember-März geschlossen; so dass ich in dieser Zeit im Schloßhotel Pontresina tätig war. Selbst von unserem „Stiftezimmer“ hatten wir Blick auf den Bahnhof Pontresina und die Rhätische Bahn. Meine freien Tage nutzte ich aus, sie zu erkunden; egal ob das Stammnetz der RhB oder die Berninabahn.

In der Bahnhofsgaststätte gegenüber dem Bahnhof Pontresina trafen sich abends Hotelangestellte und Eisenbahner, meist die auf der Berninastrecke tätigen, aber auch Lokkiführer aus Samedan, dem Engadiner Bahnknoten der RhB. Sie erzählten u.a. wie der bei manch widrigen Winterverhältnissen der Betrieb aufrechterhalten werden musste: von der Dampfschneeschleuder, die im Lokschuppen von Pontresina stationiert war, von den neuen 2 Hybridloks, die für den Einsatz auf der Berninabahn geplant (und später gebaut) wurden. Anscheinend war ich von den vielen Hotelangestellten der Einzige, der sich für die Details der Rhätischen Bahn interessierte… und so kam es, dass mir Guiseppe Baldini, ein Lokführer aus dem Puschlav, anbot, an einem freien Tag mich auf dem Führerstand nach Tirano mitzunehmen.

Einen Taktverkehr gab es damals noch nicht; alle zwei Stunden fuhr in der Hochsaison ein Schnellzug von Chur ins Engadin; mit Kurswagen nach Pontresina, wie auch nach Schuls/Scuol-Tarasp. Diese wurden ab Samedan an den bereitstehenden Triebwagen umrangiert. An manchen Tagen fuhren sogar Verstärkungsschnellzüge direkt nach Pontresina mit durchgehenden Wagen nach Scuol/Schuls-Tarasp.

Zusätzlich fuhren lange, von der Ge 6/6I – dem Krokodil der RhB – bespannte lange Güterzüge; ob die Ölzüge oder die vielen Kühlwagen für die Lebensmittel und Getränke; die Rhätische Bahn war die Verkehrshauptschlager für Gäste, Hotelangestellte und im Tourismus Beschäftigte, wie auch für die Versorgung der Region. Der Julierpass war des Öfteren gesperrt; auch der Bernina zu dieser Zeit über den Winter nicht befahrbar. Der GLACIER-EXPRESS fuhr nur im Sommer; den BERNINA-EXPRESS gab es noch nicht; ein Zugpaar hatte einen Kurswagen Tirano-Chur; die Reisenden mussten in Pontresina und teils auch Samedan umsteigen. In der Winterhochsaison gab es auch besondere Schnellzüge: der ALPENROSE-EXPRESS St. Moritz – Davos – Landquart; er bestand aus je 2 Wagen 1. und 2. Klasse, einem Gepäck- und einem Speisewagen, bespannt von einer Ge 4/4 I. Es war der Zubringer zum Nachtzug Chur-Basel, welcher ausschließlich Schlafwagen nach Amsterdam, Paris, Brüssel, Hamburg, Wien, etc… hatte

Die meisten Gäste, ob in den mondänen Hotels von St. Moritz und Pontresina oder einfacheren Unterkünften, reisten mit der RhB an: die Portiers aller Hotels trafen sich stets am Bahnsteig der ankommenden sowie abfahrenden Züge mit ihren Kleinbussen oder teils Pferdeschlitten, um die Gäste zu empfangen. Prominente wie Günter Sachs, der Schah von Persien, Banker und Industrielle aus der ganzen Welt; sie alle reisten mit der RhB an; selbst Gäste unseres Hotels wie der Patriarch Flick, Bauunternehmer Lehmann aus Braunschweig, Juwelier Boch aus Genf und der damalige Außen- und spätere Verteidigungsminister Dr. Gerhard Schröder; sie wurden am Bahnhof Pontresina abgeholt. Die meisten Gäste benutzten die Schlafwagen oder den Kurswagen des TEE RHEINGOLD; einige den Schnellzug ab Zürich-Flughafen, um in Chur in den Schnellzug nach St. Moritz umzusteigen.

Und sie nutzten während ihres Aufenthaltes häufig die Berninabahn, ob nach Lagalb, Diavolezza, Alp Grüm; im Winter gab es auch die Sportzüge St. Moritz – Alp Grüm.

An einem freien Tage im nahm ich das Angebot von Herrn Baldini an, auf dem Führerstand der BERNINA-Strecke bis Tirano mitzufahren: Der Bahnhof Pontresina war auch bahntechnisch interessant, da das Stammnetz mit Wechselstrom, die Berninabahn mit Gleichstrom elektrifiziert war. Gleis 1 ein sowie ein Durchfahrtsgleis waren mit Wechselstrom, Gleis 3 und 4 mit Gleichstrom elektrifiziert: Gleis 2 konnte mit Wechsel- sowie Gleichstrom vom Fahrdienstleiter umgeschaltet werden. Herr Baldini erklärte mir die Besonderheit, bevor er auf dem engen Führerstand des neuen Triebwagens der cl. 50 mir diesen Triebwagen vorstellte. Die älteren Triebwagen fuhren teils in Doppeltraktion die schweren Holzzüge nach und die Ölzüge von Tirano. Speziell im März war die Fahrt auf der Berninabahn ein einmaliges Erlebnis: Während im Engadin noch der Schnee liegt, hält im 429 m gelegenen Tirano schon der Frühling Einzug. Es ist die steilste Adhäsionsbahn, die mit über 2.000 m Höhe über die Baumgrenze führt: von Alp Grüm ins Puschlav, dem Tessin Graubündens nach Poschiavo, weiter am Lago Prese entlang über das Kehrviadukt von Brusio über die Schweizer-Italienische Genze bei Campocologno nach Tirano, von wo aus Anschluss an das Normalspurnetz der FS besteht. Oft bin ich diese Strecke gefahren; eine landschaftliche Schönheit, die ihresgleichen sucht. Die Nachtfahrten bei klarem Vollmond entlang des Piz Bernina und dem Lago Bianco und der Blick von Alp Grüm ins Puschlav sind unvergessliche Momente; nicht nur wegen der Bahnfahrt.

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