Wenn der Arbeitgeber sich bestreikt
Die aktuelle Tarifrunde, in der sich die EVG mit der Deutsche Bahn AG befindet, mündet periodisch in Streiks. Ganz unbestreitbar ist: Die Forderungen der EVG sind zu unterstützen. Der Abschluss im öffentlichen Dienst deckt die Reallohnverluste die es 2022 gab und 2023 geben dürfte, nicht. Es ist insoweit zu hoffen, dass es einen guten Abschluss gibt. Die zweite wichtige Gewerkschaft, die GDL, die erst im Oktober in die Tarifverhandlungen kommt, wird daran anknüpfen können.
Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang, auf das irritierend-unterschiedliche Verhalten des Bahnkonzerns hinzuweisen, das hier im Vergleich zwischen den EVG-Streikankündigungen und den vorausgegangenen GDL-Streiks besteht.
Bei den letzten drei Tarifrunden und den Streiks der GDL unternahm der Konzern Deutsche Bahn AG immer alles, um die Streiks zu verhindern. Die DB zog vor die Arbeitsgerichte. Und sie unternahm sehr viel, um die Streiks zu schwächen, deren Auswirkungen zu minimieren. Letzteres erfolgte durch die Arbeitsverpflichtung der im Konzern noch verbliebenen Beamtinnen und Beamten (die nicht streiken dürfen). Und vor allem durch die Einrichtung eines Notdienstes, der auch an Streiktagen funktionierte und der von der GDL respektiert wurde.
Vor den Gerichten unterlag die DB bislang fast immer. Dabei waren es schwere Geschütze, die da aufgefahren wurden. Die Streiks seien „unverhältnismäßig“; es handle sich gar um „politische Streiks“, was hierzulande nicht legal ist.
Die GDL konnte in diesen vorausgegangenen Arbeitskämpfen wohl vor allem durch zwei Faktoren gewinnen: Erstens durch die enorm hohe Zustimmung zu den Streiks und die Mobilisierung der GDL-Mitglieder. Und zweitens durch die sehr guten Anwälte, die vor Gericht die Interessen der GDL vertraten..
Das ist in der aktuellen Tarifauseinandersetzung völlig anders. Wobei ich den gemeinsamen Streiktag von Verdi und EVG, unterstützt von den Fridays for Future, dabei ausnehme – das schien mir im Grundsatz eine gute Sache zu sein. Bei den reinen EVG-Streiks genügt die bloße Ankündigung der EVG, man werde an diesem und jenem Tag streiken, um zu erreichen, dass der mächtige Konzern Deutsche Bahn AG in die Seile geht. Der Arbeitgeber erklärt umgehend von sich aus, dass an diesem Tag der Fernverkehr in Gänze eingestellt werden würde; im Schienenpersonennahverkehr gäbe es starke Einschränkungen. Kein Versuch, die EVG vor Gerichte zu zerren. Kein Rückgriff auf verbeamtete Bahnbeschäftigte. Kein Einrichten eines Notfahrplans.
Wobei die Medien sich ebenfalls krass unterschiedlich verhalten. In allen GDL-Streiks gab es eine wahre Hetze gegen die GDL, oft zugespitzt auf deren Vorsitzenden. Aktuell, bei den EVG-Streiks, werden diese Streiks latent positiv gewürdigt – die Rede ist immer im Voraus vom „Mega-Streik“ etc.
Aus all dem kann man sich dann einen Reim machen, wenn man drei Dinge zur Kenntnis nimmt. Und damit nicht ich allein derjenige bin, der die EVG-Streiks AUCH kritisch sieht, ich als jemand, der ebenso oft wie fälschlich eines „Bahn-Bashing“ (gemeint: DB-Bashing) beschuldigt wird, gebe ich bei allen drei Punkten auch dem anerkannten Bahnfachmann Prof. Christian Böttger das Wort.
Erstens. Die EVG ist eng mit dem Management des Konzerns Deutsche Bahn AG verbunden. Sie stellt knapp die Hälfte des Aufsichtsrats. Der EVG-Chef ist jeweils der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende. Prof. Böttger: „In der Tat pflegt die EVG ein sehr gutes Verhältnis zum DB–Management. Viele EVG-Funktionäre wechseln in lukrative Managementpositionen. Die EVG unterstützt in politischen Debatten weitgehend die Positionen des DB Managements und hat gute Drähte in die Politik.“
Zweitens. Im Koalitionsvertrag der Ampel ist von SPD, Grünen und FDP vereinbart, dass die Infrastruktur (Netz und Bahnhöfe; beides eigenständige Aktiengesellschaften) in eine „gemeinwohlorientierte Gesellschaft“ zusammengeführt werden soll. Wobei es dann nicht mehr, wie bislang, einen Gewinnabführungsvertrag zwischen dieser Infrastrukturgesellschaft und der Holding geben würde. (2022 flossen rund 700 Millionen Euro Gewinne aus den drei Infrastrukturgesellschaften, außer Netz und Bahnhöfe noch DB Energie GmbH, an die Holding.) Gegen diese Reform wehren sich der Konzern – und die EVG. Christiaan Böttger sagte dazu 2021: „Nach der Bundestagswahl stehen Reformen bei der Bahn an. Das DB Management möchte solche Reformen verhindern, die EVG ist in dem Kampf gegen Reformen ein wichtiger Verbündeter und wird entsprechend gehätschelt.“
Drittens. Das 2015 von der damaligen Großen Koalition – unter SPD-Federführung – beschlossene Tarifeinheitsgesetz spielt eine wichtige Rolle. Der DB-Konzern will es anwenden – die EVG hat das Gesetz offen unterstützt (im Gegensatz zu verdi). Es sieht unter anderem vor, dass in einem „Betrieb“ nur diejenige Gewerkschaft tariffähig und streikberechtigt ist, die die relativ stärkste ist. Das soll nach den anstehenden Tarifrunden – der EVG und der GDL – zur Anwendung kommen. Böttger sagte dazu bereits 2021: „Vor dem Hintergrund des Tarifeinheitsgesetzes hat dieser Arbeitskampf eine besondere Bedeutung: Mit dem Tarifeinheitsgesetz wollten Politik und DGB-Gewerkschaften den Einfluss kleiner Gewerkschaften beschneiden, das hat im Fall der DB AG nicht funktioniert.“
Es hat bisher nicht funktioniert. Mit den aktuellen Streiks im Bereich DB AG, bei denen es der Arbeitgeber den EVG-Streikenden mehr als leicht macht, ja, wo der Arbeitgeber sich selbst bestreikt, soll das „funktionieren“ und die GDL so weit wie möglich aus dem Bereich Deutsche Bahn herausgekantet werden.
Zitate von Prof. Christian Böttger nach: Overton Magazin 16. August 2021