rail blog 180 / Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

Hamburg – das Tor zur Geldverschwendung

Rede von Joachim Holstein, Prellbock Altona e.V., auf der 676. Montagsdemo am 18.9.2023

Liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter, liebe Gäste der Stadt,

letzte Woche stand hier Gregor Gysi, hat Euch mit diesen Worten begrüßt und hat über den unseligen Zweikampf zwischen Berlin und Stuttgart um die „größte Verschwendung und größte Fehlleistung der öffentlichen Hand“ gesprochen.

Ich muss Euch sagen: Ihr mit dem Herrn Nopper und Berlin mit dem Herrn Wegner, Ihr seid nicht allein. Es gibt da auch noch Hamburg mit dem Ersten Bürgermeister – der heißt jetzt Tschentscher, davor war das ein gewisser Olaf Scholz, der sich alle Mühe gibt, aus dem Zweikampf einen Dreikampf zu machen. Und er hat sogar mehrere Projekte im Köcher, nicht nur die Zerstörung des einzigen barrierefreien Bahnhofs in Hamburg – nämlich Altona – und dessen Verlegung neben die S-Bahn-Station Diebsteich.

Vor fast sechs Jahren, bei der 396. Montagsdemo am 4. Dezember 2017, hat schon mal jemand von „Prellbock Altona“ hier gesprochen, bei den Parkschützern und auf BAA kann man seine Rede noch nachlesen, nämlich – so wurde er angekündigt – „Michael Jung, Sprecher der Bürgerinitiative Prell- bock-Altona“. Michael ist immer noch Sprecher, aber wir Prellböcke sind inzwischen ein gemeinnütziger Verein – und mehr noch: Wir sind jetzt ein vom Umweltbundesamt anerkannter Umweltverband, sind also klageberechtigt.

Als wir uns 2015 gründeten, dachten Politik und Bahn bestimmt: „Ach, die paar Hansel, die da demonstrieren, das legt sich wieder.“ Nein, da hat sich nichts und niemand wieder gelegt, sondern wirhaben den Kopf oben behalten, haben immer widersprochen, wenn man uns und die Öffentlichkeit für dumm verkaufen wollte – oder wenn man uns sagte, der Drops sei gelutscht. Nein, er ist noch nicht gelutscht, genauso wenig, wie hier in Stuttgart der Käs gessa isch.

Vor drei Wochen hat Angelika Linckh zu diesem Thema gesprochen: Dass die Obrigkeit uns sagt, es sei alles entschieden, und damit fertig. Roma locuta – causa finita. Der Papst hat entschieden, die Sache ist erledigt.

Wir leben aber nicht mehr im Absolutismus, auch wenn manches Stadtoberhaupt, manche Regierung und mancher Bahnchef sich so aufführen wie zu „Krähwinkels Schreckenstagen“ bei Heinrich Heine:

Vertrauet Eurem Magistrat,

Der fromm und liebend schützt den Staat

Durch huldreich hochwohlweises Walten;

Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Wir halten aber nicht das Maul! Sondern wir sind laut – und wir denken auch nach, denn was geht da eigentlich ab? Da stellt sich also ein Herr Kretschmann oder ein Herr Hermann hin und sagt: „Der Käs isch gessa“. Das ist deren einziges Argument. Die behaupten also gar nicht mehr, dass sie in der Sache Recht hätten, dass ihr Projekt besser wäre als der alte Zustand oder dass sie den besten aller Vorschläge gemacht hätten. Nein, das machen die nicht. Denn sie wissen genau, dass jede und jeder hier auf dem Platz ihnen innerhalb von fünf Minuten das Gegenteil beweisen könnte. Dass wir sie auffordern würden, Geheimgutachten endlich auf den Tisch zu legen, und dass dann die frisierten Zahlen auffliegen würden.

2 So eine Art Stresstest haben wir in Hamburg-Altona auch gemacht, frei nach dem Motto: Vom Widerstand gegen Stuttgart 21 lernen, heißt siegen lernen! Wir haben Akten gewälzt, haben Weichen gezählt,haben Zugfolgen in der Spitzenstunde errechnet – und zwei Monate, nachdem Michael Jung damals hier gesprochen hatte, wurde Klage gegen den Abriss von Hamburg-Altona eingereicht, garniert mit einem Eilantrag auf sofortigen Baustopp für den unzureichenden „Ersatzbahnhof“ am Diebsteich. Daswar im Februar 2018.

Ein halbes Jahr später kam der große Knall: Das Oberverwaltungsgericht Hamburg gab am 22. August 2018 dem Eilantrag statt und verkündete einen unbefristeten Baustopp.

Warum? Hauptgrund neben mangelhaften Umweltverträglichkeitsprüfungen war: Die DeutscheBahn hatte nicht vorgehabt, einen Ersatz für die Autoreisezuganlage des Bahnhofs Altona zu bauen. Sie selber hatte ihre Autoreisezüge und Nachtzüge abgeschafft, also wozu eine neue Anlage?

Ganz einfach: Die österreichischen Bundesbahnen und mehrere private Bahnunternehmen betrieben nach wie vor Züge mit Autobeförderung und wollten das auch in Zukunft tun. Und wenn für eine Eisenbahn-Infrastruktur Bedarf besteht, dann darf sie nicht stillgelegt werden. Das wäre illegal. Im Februar 2019 begannen dann „Faktencheck“-Gespräche zwischen Stadt und Bahn einerseits und dem Verkehrsclub Deutschland und Prellbock andererseits. VCD deswegen, weil Prellbock damals noch kein klagebefugter Verband war, sondern nur eine Bürgerinitiative. Bei diesen Sitzungen präsentierte die Bahn frisierte Computersimulationen, herbeiphantasierte Reisendenzahlen, unrealistische Betriebsabläufe – da kam man sich vor wie bei Eurer Schlichtung. Allerdings mit dem Unterschied, dass der „Mediator“ in Hamburg kein Externer wie Heiner Geißler war, sondern der Finanzsenator der Freien und Hansestadt Hamburg. An dieser Rolle ist er gescheitert, weshalb Prellbock im Dezember 2019 einen neutralen Mediator forderte.

Und dann ging es ganz schnell, denn im Februar 2020 waren Bürgerschaftswahlen – Parlamentswahlen – in Hamburg. Und der Senat wollte unbedingt die Sache vor den Wahlen vom Tisch haben, während Prellbock darauf bestand, den Bahnhofsabriss in der Hauptverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zu klären, die stand im Sommer 2020 an.

Daraufhin wurde Prellbock von den Gesprächen ausgeschlossen, und der VCD erklärte sich nicht nur zur Rücknahme der Klage bereit, sondern auch zum Verzicht auf Klagen gegen spätere Folgeprojekt der Bahnhofsverlegung. Dafür spendierten Bahn und Stadt 750.000 Euro, verteilt auf fünf Jahre und verteilt an die, die bei einem sogenannten Dialogforum mitmachen und vielleicht eine passende Studie schreiben würden. Aus Sicht von heute muss man sagen: Dieses Dialogforum ist eine Farce, und der Ruf des VCD Nord ist mehr als ramponiert.

Aber ich springe jetzt mal ins Jahr 2023, denn ich habe Euch ja mehrere Projekte versprochen, mit denen Hamburg um die Krone der größten Geldverschwendung wetteifert.

Dieser Bahnhof Diebsteich soll also als Durchgangsbahnhof mit sechs Gleisen den zehngleisigen Bahnhof Altona – acht im Kopfbahnhof und zwei als Bypass Richtung Norden und Betriebswerk – ersetzen, was Unfug ist. Die S-Bahn-Station Diebsteich wurde im Oktober 2022 dichtgemacht, weil sie wegen des neuen Bahnhofs ein Stück weit versetzt werden muss, sie sollte in vier Wochen, Mitte Oktober, wieder eröffnet werden. Aber vor einem halben Jahr rutschte der Bahndamm ein Stück ab, weil unsachgemäß gebaggert wurde. Hektische Baumaßnahmen folgten, um ein zweites Garmisch-Burgrain zu vermeiden, aber auch heute ist da noch eine Langsamfahrstelle.

Dann teilte die DB am 31. August mit, die S-Bahn-Haltestelle Diebsteich werde erst Mitte November als Provisorium eröffnet. Wir reagierten sofort mit einer Pressemitteilung und prangerten die Verzögerung an. Wenige Stunden später kam die DB und teilte der fassungslosen Öffentlichkeit mit, dass die Eröffnung frühestens im August 2024 erfolgen werde. Das heißt: fast zwei Jahre wird genau der Stadtteil ohne Bahnanschluss sein, dessen Wichtigkeit eines der Argumente von Bahn und Stadt für die Verlegung des Fernbahnhofs waren. Es ist echt grotesk!

3. Dann kam Ende 2019 der damalige Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Enak Ferlemann, zu einem Routinetermin nach Hamburg. Wie aus heiterem Himmel verkündete er dabei, der Bund werde einen knapp sechs Kilometer langen Tunnel unter Hamburgs Stadtzentrum bauen, wo die S-Bahn dann in 35 Metern Tiefe statt oberirdisch verkehren werde, weil ihre dortigen Gleise für den Fern- und Regionalverkehr gebraucht würden. Wenn ich jetzt anfangen würde, die Nachteile und den Irrsinn dieses Projektes aufzulisten, stünden wir morgen noch hier. Nur das vorläufige Preisschild nenne ich mal:

3 Milliarden Euro. Wenn man Stuttgart 21 oder die Münchner 2. Stammstrecke als Maßstab nimmt, müsste man eher 8 Milliarden sagen.

Schon im Bau ist eine 24 km lange U-Bahn, deren Linienführung auf dem Stadtplan völlig verrückt aussieht, nämlich wirklich wie ein U. Von Nordwest nach Nordost nicht etwa einigermaßen tangential verlaufend, sondern in einem Riesenschwenk nach Süden zum eh schon überlasteten Hauptbahnhof, und dann wieder zurück nach Norden. Die Kosten für die ersten 6 von 24 Kilometern sind gerade von 2 auf 3 Milliarden Euro explodiert, wenn man das auf die Gesamtstrecke hochrechnet, sind wir bei 12 Milliarden Euro.

Zum krönenden Abschluss das vierte Hamburger Megaprojekt: Man will die Köhlbrandbrücke abreißen, eines der Wahrzeichen der Stadt: 2008 habe ein Gutachten ergeben, dass sie so baufällig sei, dass Reparaturen und Sanierung nicht mehr lohnen würden. Als Ersatz ist geplant, na was wohl? – Ein Tunnel.

Die Kosten? 2021 hieß es: 1,8 Milliarden. Im Februar 2023 hieß es: 5 Milliarden, und das sei eine vorläufige Schätzung, weil man noch gar nicht wisse, wie viele Zusatztunnel gebaut werden müssten. Das Gelände ist nämlich schwierig: unter der Elbe, Marschland, Trinkwasserblase – schöne Grüße an Eure Mineralquellen und den Anhydrit.

Immerhin, die reden schon von Zusatztunneln, bevor die erste Probebohrung gemacht ist.

Und dann vermeldete die Wochenzeitung „Die ZEIT“ Mitte 2023 plötzlich: Das Gutachten von 2008, mit dem die Politik bisher den Abriss begründet hatte, besagt das genaue Gegenteil: die Brücke kann für vertretbare Kosten saniert werden. Außerdem ist drei Kilometer südlich sowieso eine neue Autobahnbrücke geplant. Warum also ein neuer Tunnel neben einer neuen Brücke?

Eigentlich wären ein paar Geständnisse, ein paar „Mea Culpa“ und vielleicht auch ein paar Rücktritte fällig gewesen, weil man die Menschen in Hamburg 15 Jahre lang belogen hat – aber was passiert?

Bürgermeister und Senat sagen: „Schietegal, wir wollen den Tunnel trotzdem, auch wenn er das Zwanzigfache einer Brückensanierung kostet“.

Also, ihr seht: je verrückter und teurer, desto Tunnel. Und deshalb sagen wir in Hamburg: Unser Kopfbahnhof Altona bleibt, wo er ist!

Und beim öffentlichen Nahverkehr und bei der Köhlbrandquerung sagen wir: Oben bleiben!

Genau wie hier in Stuttgart:

Oben bleiben!

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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