Bahnfahren als Abenteuer – aber nicht jeder will das
Ein paar Szenen aus dem Leben eines älteren Bundesbürgers
Für einen dreitägigen Besuch in Köln wollten wir, weil Autofahren zu stressig und auch umweltschädlich ist, die Bahn nehmen. Auf der Hinfahrt mit der Bahn hatten wir Glück gehabt: Wir kamen nur eine halbe Stunde später an.
Dafür mussten wir auf der Rückfahrt eine Erfahrung machen, die selbst die indischen Eisenbahnen nur schwer übertrumpfen könnten (wahrscheinlich tue ich ihnen aber Unrecht). Unsere Rückfahrt ab Köln Hbf. sollte um 12.11 Uhr stattfinden. Wir kamen um etwa 11.40 Uhr an. Die Anzeigentafel war voller Zugausfälle und Verspätungen. Unser Zug sollte 190 Minuten (!!!) später ankommen. Damit wäre die Zugbindung verfallen und wir aus dem Schneider gewesen, hätte es einen anderen früheren Zug nach Hamburg gegeben. Den gab es auch etwa fünf Minuten lang auf der Tafel (Abfahrt 14.20 Uhr), dann wurde er ebenfalls storniert.
Die Begründungen überschlugen sich: Notarzteinsatz auf der Strecke, nicht zu reparierende technische Probleme, Personal, das nicht rechtzeitig zum Einsatzort kam, krankheitsbedingter Personalausfall, Anlagenprobleme, Verspätung wegen Personenschaden usw. Es gab noch mehr Begründungen, die ich vergessen habe.
190 Minuten wollten wir aber nicht auf den Zug warten müssen. Also reihte ich mich vor dem DB-Auskunftshäuschen inmitten der Bahnhofshalle in die Schlange der Wartenden ein. Die ersten Auskünfte waren unbefriedigend. Der Beamte war etwa 30 Jahre jung, türkischer Herkunft, sehr freundlich trotz aller böser Zurufe und ich bat ihn, sein Bestes zu tun. Daraufhin riet er mir, mich sofort zum Bahnsteig 5 zu begeben, dort müsste irgendwann der Zug einfahren, der eigentlich um 11.11 Uhr nach Hamburg fahren sollte. Eine Garantie könne er mir aber nicht geben, ob dieser Zug dort wirklich ankommt.
Auf Bahnsteig 5 tat sich länger nichts in Richtung Hamburg, stattdessen wurden ständig die Züge auf der Anzeigentafel ausgewechselt, einmal nach Frankfurt, dann nach Amsterdam, nach Kall und anderen Städten in NRW, bis nach einer Stunde plötzlich der Zug nach Hamburg-Altona auftauchte, der eigentlich schon um 10.11 Uhr (nicht 11.11) losfahren sollte.
Jetzt kommt der Clou! Nachdem in Köln viele Passagiere ausgestiegen waren, wurden die wartenden Passagiere aufgefordert, schnell zuzusteigen. Das taten natürlich auch wir. Und siehe da: Die Waggons (fast alle der besonders langen Variante) waren fast leer, wir konnten uns hinsetzen, wo wir wollten. Da hätte man problemlos Hunderte von Leuten unterbringen können, deren Züge nach Hamburg laut Anzeigentafel ausgefallen waren. Die Zugfahrt ging dann zügig von Köln bis Hamburg-Dammtor, allerdings kam kein Schaffner und auch keine Schaffnerin vorbei. Schließlich kamen wir nur mit etwa eineinhalb Stunden Verspätung gegenüber unserem ursprünglichen Ticket in Hamburg an. Gleichzeitig musste ich daran denken, wie viele andere Passagiere diese Chance hätten nutzen können …
Ich frage jetzt gar nicht nach den Gründen für so viel Unfähigkeit, „kriegstüchtig“ ist Deutschland aber so noch lange nicht!
Den Text verfasste ein Mitglied von Prellbock Altona.