Wenn nur Ball, Bahnen und Busse (und Fahrräder) rollen …
Vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 findet die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland statt – 24 Teams werden 51 Spiele in 10 Städten bestreiten, das liegt etwas unter den Zahlen des »Sommermärchens« von 2006, als es 32 Teams, 64 Spiele und 12 Städte waren. Genau wie 2006 werden jetzt fünf Spiele in Hamburg stattfinden.
Die Veranstalterin – also die UEFA und die nationale EM-GmbH – haben ein radikales Verkehrskonzept beschlossen: Keine privaten Pkw am Stadion. Alle Fans mit Eintrittskarten können das Gesamtnetz des Hamburger Verkehrsverbundes kostenlos von 6:00 Uhr des Spieltages bis 18:00 Uhr des Folgetages nutzen, also zwischen Soltau und kurz vor Neumünster, zwischen Bremervörde und kurz vor Lübeck bzw. zwischen dem Wendland und hinter Glückstadt unterwegs sein.
U- und S-Bahnen werden verstärkt, von der S-Bahn Othmarschen fahren Shuttlebusse zum Stadion, die Fahrradabstellplätze am Stadio werden von 450 auf 750 erhöht, E-Scooter werden wegen Stolpergefahr in Stadionnähe verboten, und die Stadt Hamburg listet 15 Park-and-Ride-Anlagen auf, von denen man (fast) umsteigefrei zum Volkspark kommt, man kann sich per App anzeigen lassen, wo noch Plätze frei sind.
Eine doppelt vernünftige Maßnahme also: sichere und schnelle An- und Abreise der Fans per Öffis oder Rad – dazu Lärm- und Umweltschutz. Alle können glücklich und zufrieden sein.
Alle bis auf die CDU mit ihrem Möchtegern-Bürgermeister Dennis Thering: Dass man 49.000 Zuschauern nicht erlaube, mit womöglich 49.000 Autos bis vors Stadiontor zu fahren, sei »ein weltfremder Ansatz«. Und der ADAC warnt (oder droht?), man wisse ja nicht, ob Autofahrer das Konzept annähmen und nicht etwa doch versuchen würden, mit dem Pkw möglichst dicht ans Stadion heranzukommen – und damit Zugangswege zu blockieren.
»Weltfremd«.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Gut, Herr Thering fällt schon seit Jahren durch seine verkehrspolitischen Äußerungen auf, und dass er die »volle Härte des Rechtsstaates« gegen Straßenblockierer nur dann fordert, wenn es sich um Umweltschützer handelt, nicht jedoch um Bauern oder um diejenigen, die täglich morgens und abends durch StVO-Verstöße für blockierte Kreuzungen sorgen, ist auch auf seiner Website nachlesbar – aber in welcher Parallelwelt muss einer leben, der freie Autofahrt bis zur Pommesbude am Stadiontor fordert?
Hinzu kommt: es geht hier nicht um HSV-Fans, die ihre Großparkplätze in Stadionnähe kennen oder irgendwo im Industriegebiet parken, wo sie immer parken, weil sie alle Schleichwege kennen, sondern es geht um Fans aus dem ganzen Bundesgebiet und aus anderen Ländern, die überwiegend per Bus, Bahn oder Flugzeug nach Deutschland kommen und dann auf den ÖPNV und ihre Füße angewiesen sind, um zum Stadion zu gelangen.
Zwar ist das Volksparkstadion nicht Wembley oder La Bombonera (man schaue sich London und Buenos Aires mal per Satellitenfoto an), wo nur Verrückte auf die Idee kommen würden, an Spieltagen sei da in der Nähe Platz für zigtausende Autos, aber die Forderung, singende, feiernde, trinkende, tanzende Fanmassen müssten an den Straßenrand gezwängt werden, damit hupende und stinkende tonnenschwere Blechkisten (womöglich mit gegnerischen Fans besetzt) mittendurch fahren können, kann nur von jemandem kommen, der keine Ahnung von öffentlichem Nahverkehr hat.
Und von Fußball.
Die Schlusspointe soll aber dem ADAC-Sprecher Christof Tietgen gehören, der dem zweiten A im Vereinsnamen alle Ehre macht: »Wenn der Ball rollt, steht der Verkehr.«
Schon klar: Fortbewegung per S-Bahn, U-Bahn, Bus, Fahrrad oder auch zu Fuß – alles kein Verkehr für den 1903 gegründeten Verband zur »Wahrnehmung und Förderung der Interessen des Kraftfahrwesens, des Motorsports und des Tourismus«.