Unter finanziellem Druck wächst die Einsicht in die Notwendigkeiten

Pressemitteilung 3-2025 von Bürgerbahn – Denkfabrik zur Meldung, dass DB Fernverkehr die Ausschreibung für 95 Einheiten der nächsten Generation von ICE-Zügen (ICE5) gestoppt hat (Stuttgarter Zeitung 20.01.2025)

Bürgerbahn – Denkfabrik begrüßt die ganz offensichtlich auf Druck des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) zustande gekommene Entscheidung des DB Fernverkehrsvorstandes, die Ausschreibung für 95 auf eine Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h ausgelegte Zugeinheiten der nächsten Zuggeneration (ICE5) zurückzuziehen. Die Begründung der DB dafür, dass innerhalb der Ausschreibungsfrist keine spezifikationsgerechten Angebote eingegangen seien, ist wenig glaubwürdig.

Bürgerbahn – Denkfabrik sieht die wahren Gründe für die Aufhebung der Ausschreibung in folgenden Fakten:

  • Die Kosten für die Beschaffung dieser Züge dürften in der Größenordnung zwischen 4 bis 5 Mrd. Euro liegen, das kann DB Fernverkehr finanziell nicht stemmen.
  • Die DB organisiert den Fernverkehr eigenwirtschaftlich, d.h. für die Beschaffung dieser Züge gäbe es keine öffentlichen Zuschüsse.
  • Der Fernverkehr hat allein im 1. Halbjahr 2024  5,9% Passagiere weniger transportiert, die Verkehrsleistung (in Personenkilometer) ging um 3,6%  gegenüber der Vorjahresperiode zurück. Das ist dramatisch. Gründe für die rückläufige Fahrgastnachfrage sind die zahlreichen Baustellen und die mangelnde Pünktlichkeit, die 2024 um 6 Prozentpunkte auf nur noch 62,7% sank, was auch mit dem verfehlten Konzept der Generalsanierungen zusammenhängt.
  • DB Fernverkehr hat allein im 1. Halbjahr 2024 einen Verlust von über 300 Mio. Euro eingefahren. Der Gesamtjahresverlust für 2024 dürfte die Marke von einer halben Milliarde Euro übersteigen.
  • Die DB hat derzeit nur drei Strecken im gesamten Netz, auf denen überhaupt 300 km/h gefahren werden kann (Erfurt – Ebensfeld, Nürnberg – München und Frankfurt – Köln). Die im Rahmen des von Bürgerbahn – Denkfabrik kritisierten 3. Zielfahrplanentwurfes für den Deutschlandtakt geplanten weiteren 300 km/h Neubaustrecken, die sehr teuer, klimaschädlich und für den gesamten Netzbetrieb kontraproduktiv sind (Hannover-Bielefeld, Hamburg-Hannover, Nürnberg-Würzburg, Ulm-Augsburg), dürften auf absehbare Zeit nicht realisierbar sein.
  • Für die bestehenden 300 km/h Strecken stehen auch mit den jüngst erfolgten Nachbestellungen von  ICE-3-neo-Einheiten ausreichend Züge zur Verfügung.
  • Nach Abschluss der Auslieferungen der insgesamt 137 ICE-4-Züge hat DB-Fernverkehr mit über 400 ICE-Einheiten ausreichend Rollmaterial für den Fernverkehr zur Verfügung. Hinzu kommen die noch in nächster Zeit auszuliefernden 56 Talgo-IC-Züge.
  • Da die neuen Züge zum großen Teil über den Kapitalmarkt finanziert werden, hat sich die Zinslast für DB-Fernverkehr allein im 1. Halbjahr 2024 auf 72 Mio. Euro erhöht.
  • Angesichts des negativen Geschäftsergebnisses könnte DB Fernverkehr auch nicht die für die neuen Züge erforderlichen Abschreibungen erwirtschaften.
  • Teure Neuanschaffungen und Zinskosten für die Fremdfinanzierung treiben die Fahrpreise im Fernverkehr.
  • Um im Fernverkehr wieder die klima- und verkehrspolitisch gebotene Mehrnachfrage zu erreichen, ist ein Strategiewechsel erforderlich, der sich an den früheren Erfolgen des IR-Systems orientiert und das bediente Fernverkehrsnetz entsprechend erweitert mit Taktverkehren, die auf 160 km/h ausgelegt sind. Daran muss sich die künftige Investitions- und Kapazitätsplanung im Netz und die Beschaffungsplanung für Rollmaterial orientieren.

Bürgerbahn – Denkfabrik fordert daher:

  1. Wiederherstellung des alten Interregio-Netzes, für das Höchstgeschwindigkeiten von 160 km/h voll ausreichend waren, zur Ergänzung des jetzigen ICE-Netzes.
  2. Umstellung der Beschaffung neuer Fernverkehrsfahrzeuge – sofern erforderlich – auf Lok-bespannte Wendezuggarnituren. Diese sind in der Anschaffung bis zu einem Drittel günstiger und flexibler im Betrieb.
  3. Wiedereinstieg der DB in das Nachtzuggeschäft mit entsprechenden Investitionen in neue Schlaf- und Liegewagen. Hier besteht eine hohe Nachfrage, die durch die gegenwärtigen Angebote nicht abgedeckt werden kann.
  4. Die DB muss sich endgültig von unrealistischen Höchstgeschwindigkeitsprojekten und der Fixierung auf wenige Korridore verabschieden und den Fernverkehr mehr auf die Fläche und nicht nur die Rennstrecken ausrichten.
  5. Alle Oberzentren und Mittelzentren brauchen zur Absicherung der klimapolitisch dringenden Verkehrswende eine Fernverkehrsanbindung im Taktverkehr.
  6. Diese Angebote müssen durch entsprechend abgestimmte Nahverkehrsangebote der S-Bahnen, Regionalbahnen und Regionalexpresse und durch schnelle Reaktivierung sillgelegter Bahnstrecken auch in der Fläche abgesichert werden. .

Dazu Prof. Heiner Monheim, Sprecher von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene:

Der Fernverkehr der DB braucht eine strategische Neuausrichtung. Für die klimapolitisch notwendige Verkehrswende ist eine deutlich bessere Anbindung alle Ober- und Mittelzentren erforderlich, die durch den Roll-out eines modernen Inter-Regio-Systems erreicht werden kann. Dazu gehört auch eine bessere Fernverkehrsanbindung von Urlaubsgebieten und Kurorten. Auch ein Ausbau der nationalen und internationalen Nachtzugverbindungen ist für die Verkehrswende und Klimapolitik ein wichtiger Baustein. Für alle diese bahnpolitischen Ziele reichen Höchstgeschwindigkeiten von max. 200 km/h aus. Viel wichtiger sind regelmäßige und verlässliche Verbindungen. Deswegen hat das Prinzip „Takt vor Tempo“ höchste Relevanz für die weitere Infrastruktur- und Beschaffungspolitik der Bahn. Neue Hochgeschwindigkeitsstrecken sind überflüssig. Vielmehr ist es erforderlich, das Bestandsnetz zu sanieren, Engpassstellen zu beseitigen und stillgelegte Bahnlinien zu reaktivieren. Der Anschluss sämtlicher Mittelzentren und großen Gewerbegebiete an das Bahnnetz sichert die Verkehrswende.“

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