Keine Ideen für Schiene und Straße

Bundestagswahl und Verkehrspolitik

Von Oliver Stenzel / Kontext-Wochenzeitung vom 29.1.25

Allein der Zustand der Bahn zeigt, wie viel in Deutschland im Argen liegt in der Verkehrspolitik. Dass sich hier schnell und grundlegend etwas ändern könnte, daran lassen die Wahlprogramme der Parteien große Zweifel. Auffällig: die Sehnsucht nach den 1960er-Jahren.

Eher neblig sind die Aussagen der meisten Wahlprogramme zur Bahn: viele schöne Worte, wenig konkrete Ansagen. Fotos: Joachim E. Röttgers
Eher neblig sind die Aussagen der meisten Wahlprogramme zur Bahn: viele schöne Worte, wenig konkrete Ansagen. Fotos: Joachim E. Röttgers

Es war nicht alles schlecht an der Verkehrspolitik der Ampel-Regierung. Das im Sommer 2022 eingeführte Deutschlandticket, anfangs noch als „9-Euro-Ticket“ geführt, wird ziemlich einhellig gelobt, auch von Experten und Verkehrs- oder Fahrgastverbänden.

Matthias Bess vom Verband Pro Bahn etwa nennt es „die spektakulärste Errungenschaft“ der zurückliegenden Legislaturperiode, Stefanie Liepins und Jörg Dengler vom VCD Baden-Württemberg bezeichnen es als „großen Erfolg“, denn „noch nie konnte der Nah- und Regionalverkehr so einfach bundesweit genutzt werden“. Der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim, Sprecher der Initiative Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene, nennt es sogar eine „Revolution“. Geht es mit Verkehr also vielleicht doch langsam in die richtige Richtung?

Nein, denn nach dem Lob folgt gleich das große Aber: Das Deutschlandticket sei „viel zu wenig hinterlegt“ gewesen „mit Verkehrswendeprogrammen für die Fläche und die Mittel- und Kleinstädte“, kritisiert Monheim.
Darüber hinaus gebe es noch keine Zusage von CDU/CSU, „das Deutschlandticket auch über 2025 hinaus weiter zu führen“, bemängelt Gebriel Kapfinger, im Bundesverband des BUND zuständig für Infrastruktur und Verkehr.

„Der helle Wahnsinn“: Generalsanierung

Abgesehen vom Deutschlandticket findet sich wenig Lobenswertes in den gut drei Jahren der Ampel-Regierung und ihres Verkehrsministers Volker Wissing (erst FDP, nun parteilos). Die Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) dahingehend, die Bebauung ungenutzter Schienenflächen zu erschweren und damit die Reaktivierung von Bahnstrecken zu erleichtern, wird allgemein als ein Schritt in die richtige Richtung gesehen. Aber schon die Ampel wollte es zugunsten von Immobilienprojekten wie Stuttgart 21 aufweichen und die Union plant gar eine komplette Rückabwicklung. Die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung erleichtert zwar die Einrichtung von Bus- und Radstreifen, sei aber insgesamt, wie Monheim kritisiert, „viel zu schüchtern“ gewesen.

Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim kritisiert alle Parteien.

Über allem steht der desaströse Zustand der Deutschen Bahn. Die sei noch schlechter geworden, sagt Monheim, und die Versuche, diesen Zustand zu beheben, sind noch einmal ein Desaster für sich. „Einfach nur der helle Wahnsinn“ sei das Konzept der „Generalsanierung“ des Streckennetzes, das immer wieder die monatelange Sperrung ganzer Streckenabschnitte vorsieht, findet der Berliner Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher Andreas Knie in einem Interview mit dem Portal „Klimareporter“. Kein Autobahnplaner käme je auf die Idee, wichtige Autobahnen einfach mal für ein halbes Jahr komplett zu sperren. Laut Knie ist das ein völlig falsches Signal, nämlich: „Die Schiene ist nicht so wichtig, die kann man ja zusperren, wir haben ja Autos.“ Das Konzept der „Generalsanierung“ auch noch als zukunftsweisend zu verherrlichen, wie es Wissing kürzlich nach Abschluss der ersten Sanierungsmaßnahme, der Riedbahn, getan habe, sei „völlig daneben“, kritisiert auch Matthias Bess und weist darauf hin: „In der Vergangenheit ist es regelmäßig gelungen, Bahnstrecken über weit mehr als hundert Jahre ohne jede Vollsperrung zu betreiben.“

In all dem zeigt sich ein grundlegendes Problem: Es fehlt ein zukunftsweisendes Konzept für eine Verkehrswende, einer Wende hin zu einer klimaschonenderen, auf den öffentlichen Personenverkehr (ÖPV) setzenden Mobilitätspolitik. Insofern seien die letzten gut drei Jahre der Ampel-Regierung verlorene Jahre gewesen, findet Monheim.

Der Blick auf die Region Stuttgart zeigt große Teile der Misere wie unter einem Brennglas: Die Gäubahn droht 2026 wegen Stuttgart 21 vom Hauptbahnhof abgekoppelt zu werden, macht für einen Einzugsbereich von 1,4 Millionen Menschen das Bahnfahren beschwerlicher und das Auto als Alternative attraktiver. Ein Trend, denn schon die dauernd ausfallenden Züge und gesperrten Strecken im S-Bahn-Netz in den zurückliegenden Jahren befeuert haben. Dazu kommt der Bau eines neuen Tiefbahnhofs, der die Kapazitäten auf der Schiene eher verringert, und obendrein die Störungsanfälligkeit der Strecken vergrößert. Und in der Stadt selbst zeigt sich bei Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) sowie im gesamten bürgerlichen Lager die Tendenz, zugunsten des Autos doch bitte nicht noch mehr für Rad- und Fußverkehr zu tun.

Wahlprogramme: wie Kopien aus den 1960ern

Wie wird es nach der Bundestagswahl am 23. Februar weiter gehen? Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien weckt wenig Hoffnung.

Mit am vernichtendsten fällt die Kritik des Mobilitätsforscher Knie aus, der saftige Formulierungen schätzt. Bei CDU, CSUFDPBSW und AfD erkennt er den Wunsch, „es am liebsten wieder so zu haben wie in der Nachkriegszeit“, mit jeder Menge Straßen und Verbrenner-Autos: Ihre Programme „könnten eine Kopie der Inhalte aus den 1960er Jahren sein“. Bei der SPD sieht er Unentschlossenheit, ob sie das nicht auch wolle, und bei den Grünen erkennt er immerhin eine Beibehaltung von Inhalten aus alten Programmen, aber voller Allgemeinplätze. Auch bei ihnen gäbe es programmatisch „nix Neues“.

CDU, FDP, AfD, BSW mögen Straßen mit Verbrennerautos.
CDU, FDP, AfD, BSW mögen Straßen mit Verbrennerautos.

Ähnlich negativ urteilt Monheim: Die Programme seien durchweg nicht sehr konkret, „trotz Klimakrise liest man zwischen den Zeilen viel Angst vor klaren Festlegungen und Priorisierungen“. Anders als bei Wirtschafts- und Sozialpolitik machten die Parteien in der Verkehrspolitik einen Bogen um heikle Grundsatzfragen: Etwa, ob und wie viel man im Fernstraßenbau sparen müsse zugunsten der Sanierung von Brücken. Auch in der Bahnpolitik bleibe alles sehr vage: „Alles soll besser und pünktlicher werden, aber wie man dahin kommt, bleibt offen.“

Genauer betrachtet finden sich indes doch ein paar interessante Positionen – im Positiven wie im Negativen. Etwa beim Umgang mit Bahn und ÖPNV. Bei der Union ist Ausbau in diesen Bereichen eher kein Thema: Die Bahn soll „verschlankt“ werden, im Schienensektor soll mehr Wettbewerb herrschen, dem ÖPNV eine „auskömmliche Förderung“ zugute kommen. Noch mehr Wettbewerb auf der Schiene will – wen wundert’s –, die FDP und lässt durch diesen Satz aufhorchen: „Die ambitionierte Sanierung der Hauptverkehrsadern im Schienennetz werden wir überprüfen und bei nachgewiesenem Erfolg fortsetzen.“ Das kommentiert die Journalistin Ursula Baus im Online-Magazin „Marlowes“ so: „Das heißt im Klartext: Erstmal keinen Cent mehr für die Bahn.“

Zur Bahn im SPD-Wahlprogramm beurteilt Gabriel Kapfinger vom BUND positiv, dass sie „die hochgefahrenen Investitionen in die Schieneninfrastruktur durch einen Deutschlandfonds weiter stärken“ will, und dass sie die Absicht habe, „das Deutschlandticket nicht nur zu verstetigen, sondern auch eine Weiterentwicklung für weitere soziale Gruppen“ auf den Weg zu bringen. Klar zum Deutschlandticket bekennen sich auch die Grünen. Bei ihnen sieht Kapfinger auch „viele Positionen, die klar in Richtung Verkehrswende und somit mehr Klimaschutz steuern“. So solle das Straßennetz nicht weiter ausgebaut werden, stattdessen fordern sie „weiter hohe Investitionen, im Rahmen eines Deutschlandfonds, in das Schienennetz“. Der BUND-Experte sieht bei den Grünen „viele gute Vorschläge, die den Verkehrsbereich bereichern würden.“ Verkehrswissenschaftler Monheim äußert sich da skeptischer: Auch wenn sich die Grünen zu Bahn und ÖPNV „etwas pointierter“ äußerten, bliebe es auch bei ihnen vage. „Man will es sich mit Niemandem verderben“, so sein Eindruck.

Den sozialen Aspekt mit einer Verkehrswende verbindet am klarsten Die Linke, und in ihrem Wahlprogramm sieht Kapfinger auch „die umfassendsten Veränderungen für mehr sozial-gerechten Klimaschutz im Verkehrsbereich“. Die Partei setze einen ihrer Schwerpunkte „auf einen funktionierenden und bezahlbaren öffentlichen Verkehr“ und nenne auch eine Reihe von konkreten Maßnahmen, „um den Umstieg auf den ÖV in der Fläche, aber auch insgesamt attraktiver zu machen“. Den Öffentlichen Verkehr (ÖV) gegenüber dem Individualverkehr zu priorisieren, das geschieht im Linken-Wahlprogramm am pointiertesten. Dies innerhalb einer Koalition umsetzen zu können, erscheint momentan allerdings noch unwahrscheinlicher als der Einzug in den Bundestag.

Was in den Wahlprogrammen fehlt

Doch was dringend nötig wäre im Verkehrssektor, steht aber in keinem Wahlprogramm? Sehr viel. Liepins und Dengler vom VCD wünschen sich eine Strategie, „wie die Klimaschutzziele des Klimaschutzgesetzes nicht durch den Verkehr gerissen werden und uns mit Folgekosten belasten“. Kapfinger vom BUND fordert in der Infrastrukturpolitik „eine Priorisierung hin zu mehr Natur- und Klimaschutz“. Heißt: Statt Straßenneubau den Fokus auf Sanierungen legen und dafür die Kapazitäten im Schienennetz erhöhen. Das sei zwar in manchen Wahlprogrammen zu finden. „Aber für die notwendige Mobilitätswende und um die Emissionen im Verkehrsbereich erfolgreich reduzieren zu können, bräuchte es in zentralen Punkten der Verkehrsinfrastruktur einen parteiübergreifenden Konsens“. Den sucht man momentan vergebens. Aber ein „Weiter-so“ wie in den vergangenen Legislaturen, so Karpfinger, wäre nicht nur aus der Perspektive des Klimaschutzes fatal. Sondern auch aus der sozialen: „Denn neben den zu hohen Emissionen lässt man die Bürger:innen auch mit den Kosten durch den steigenden C02 Preis alleine.“

So jedenfalls werden die Züge nicht pünktlicher.
So jedenfalls werden die Züge nicht pünktlicher.

Heiner Monheim nennt als ersten Kritikpunkt, dass die Not der Kommunen bei ihrem Versuch, eine Verkehrswende umzusetzen, in den Programmen viel zu wenig thematisiert werde. Dabei gehe es „nicht nur um fehlendes Geld, sondern auch um den Abbau der vielen rechtlichen Restriktionen im Straßenverkehrsrecht, Baurecht, Umweltrecht, Steuerrecht.“ Überhaupt das Geld: Es brauche „eine grundlegend neue Finanzierung des öffentlichen Verkehrs auf allen Netzebenen“, findet Monheim, „damit auch in Mittel- und Kleinstädten und in Dörfern attraktive ÖV-Systeme möglich werden.“

Bei der Bahn, der wohl größten Baustelle, müsse „die Fixierung auf die extrem teuren Großprojekte mit Unmengen von Tunneln und Brücken und die Zerstörung funktionierender Bahnhöfe gestoppt werden“. Die Bahninvestitionen müssten stattdessen einer „Flächenbahn“ zugute kommen, „mit dezentralem Ausbau der Personen- und Güterbahnnetzen.“ Um so etwas erreichen zu können, müssten Großprojekte wie Stuttgart 21 beendet werden, findet Monheim: „Man muss aus diesen Fehlern endlich lernen.“

Schön wär’s.

Gespiegelt aus Kontext-Wochenzeitung vom 29.1.25

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert