Pressemitteilung 4-2025 von Bürgerbahn – Denkfabrik zur Meldung, dass Bundesverkehrsminister Wissing kurz vor Abtritt zahlreiche neue Straßenbauprojekte durchgewunken hat, aber kein Bahnprojekt (Spiegel 29.01.2025)

Bürgerbahn – Denkfabrik kritisiert, dass (Noch-)Bundesverkehrsminister Wissing im Windschatten der Asyldebatte den Bericht zur Überprüfung der Bedarfspläne (BPÜ) für Verkehrsprojekte auf der Straße, der Schiene und dem Wasser einfach durchgewunken hat, ohne die Bedarfsplan-Projektliste, die auf veralteten Annahmen aus dem 2016 erstellten »Bundesverkehrswegeplan 2030« zu aktualisieren.
Dabei hat die aktualisierte Verkehrsprognose ergeben, dass die Verkehrsleistung im Motorisierten Individualverkehr (MIV) = Straßenverkehr 2040 um 8,5 % unter der dem Bedarfsplan zugrundeliegende Verkehrsleistung für 2030 liegen wird, dafür aber die Verkehrsleistung im Bahnverkehr 2040 um mehr als 63 % höher liegen wird, als bisher angenommen wurde. Für den Güterverkehr wird für 2040 mit einer um 22,3 % erhöhten Verkehrsleistung auf der Schiene gerechnet als im alten Bedarfsplan. Diese hoch interessanten Zahlen, die einen fundamental veränderten Bedarf signalisieren, haben aber im Rahmen der BPÜ zu keiner Anpassung der Ausbauplanung für Schiene und Straße geführt. Vielmehr stellen die Autoren der Bedarfsplanüberprüfungsstudie lapidar fest: »Der Bedarfsplan für die Bundesschienenwege ist angesichts der prognostizierten Verkehrsentwicklung in seiner Gesamtheit angemessen und weiterhin erforderlich. Somit sind Gesetzesänderungen aus fachlicher Perspektive kurzfristig nicht erforderlich.«
In der gedrechselten Sprache des BPÜ, die mit Sicherheit kaum einer der Verkehrspolitiker im Bundestag versteht, heißt das: »Die Maßnahmen des Bedarfsplans für die Bundesschienenwege sowie die zusätzlich unterstellten kapazitätserhöhenden Maßnahmen ermöglichen eine deutliche Reduktion von wartezeitbedingten Verspätungen und Unpünktlichkeiten sowie im Ergebnis eine Steigerung der Zuverlässigkeit des Eisenbahnverkehrs.« Dazu muss man wissen, dass der Bedarfsplan im Rahmen des unrealistischen 3. Zielfahrplanentwurfes für den Deutschlandtakt erstellt wurde und insgesamt 181 Maßnahmen zur Kapazitätserhöhung des Bahnnetzes beinhaltet. Aber neben zahlreichen kleinteiligen, sinnvollen und von Bürgerbahn begrüßten Projekten sind in dem Bedarfsplan auch alle schon seit langem von Bürgerbahn kritisierten 300-km/h-Hochgeschwindigkeitsprojekte und Tunnelorgien versteckt. Im Klartext bedeutet das Ergebnis des BPÜ ein »weiter so«: Es wird an den unrealistischen und nicht finanzierbaren Plänen für den Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken und langer Tunnelstrecken festgehalten. Dabei sind es genau diese Projekte, die enorme Planungs-, Ingenieurs- und Finanzressourcen verschlingen, die eine extrem lange Realisierungszeit haben und die wenig bis gar nichts zur Kapazitätserhöhung im Eisenbahnnetz beitragen. Der BPÜ ist letztlich nichts anderes eine Strategie des »Augen zu und durch«. Dabei ist es genau diese Strategie, die zu den problematischen Umständen im Eisenbahnverkehr in Deutschland geführt haben. Zugleich wurde kein einziges Straßenverkehrsprojekt gestrichen oder in der Priorität verschoben.
Nach Ansicht von Bürgerbahn – Denkfabrik ist eine radikale Abkehr von der bisherigen untauglichen Ausbaustrategie im Schienennetz erforderlich unter den nachstehenden Aspekten:
· Um die prognostizierte substantielle Mehrnachfrage mit dem gegenwärtigen Bahnnetz und in dem durch den Ukrainekrieg massiv eingeschränkten Finanzrahmen zu erreichen, ist beim Ausbau der Bahn ein grundlegender Strategiewechsel erforderlich, der sich an den früheren Erfolgen des IR-Systems orientiert und das bediente Fernverkehrsnetz entsprechend erweitert mit Taktverkehren, die auf 160 km/h ausgelegt sind. Daran muss sich die künftige Investitions- und Kapazitätsplanung im Netz und die Beschaffungsplanung für Rollmaterial orientieren.
· Das bedeutet die endgültige Aufgabe der nachstehenden klimaschädlichen, für 300 km/h geplanten Hochgeschwindigkeitsprojekte:
– Neubaustrecke Hamburg – Hannover; stattdessen 4-gleisiger Ausbau der Bestandsstrecke
– Neubaustrecke Hannover – Bielefeld, stattdessen Ausbau und Erweiterung im Bestand ohne
Anhebung der Höchstgeschwindigkeit
– Kein Ausbau Bielefeld – Hamm auf 300 km/h
– Kein Ausbau Hannover – Berlin auf 300 km/h
– Neubaustrecke Würzburg-Nürnberg
– Neubaustrecke Ulm – Augsburg; stattdessen lediglich Begradigung von Kurven für durchgängige Befahrbarkeit mit 200 km/h
· Beerdigung unrealistischer und kostenträchtiger Tunnelprojekte wie
– Fernbahntunnel Frankfurt
– 30 Kilometer Erzgebirgsquerungstunnel auf der Strecke Dresden – Prag
– Verbindungsbahnentlastungstunnel für die S-Bahn in Hamburg
– Tunnel für 2. S-Bahnstammstrecke München
Bürgerbahn – Denkfabrik fordert daher:
1. Auflösung der Planungsteams für die vorgenannten Projekte.
2. Fokussierung der Ingenieurkapazitäten auf die Beseitigung aller eingleisigen Abschnitte auf zweigleisigen Strecken.
3. Vollständige Elektrifizierung des gesamten Netzes (mit Akku-Triebwageninseln im ländlichen Raum) bis 2035
4. Beseitigung aller höhengleichen Bahnübergänge auf den Strecken des Kernnetzes
5. Wiederherstellung des alten Interregio-Netzes, für das Höchstgeschwindigkeiten von 160 km/h voll ausreichend waren, zur Ergänzung des jetzigen ICE-Netzes.
6. Umstellung der Beschaffung neuer Fernverkehrsfahrzeuge – sofern erforderlich – auf lokbespannte Wendezuggarnituren. Diese sind in der Anschaffung bis zu einem Drittel günstiger und flexibler im Betrieb.
7. Wiedereinstieg der DB in das Nachtzuggeschäft mit entsprechenden Investitionen in neue Schlaf- und Liegewagen. Hier besteht eine hohe Nachfrage, die durch die gegenwärtigen Angebote nicht abgedeckt werden kann.
8. Alle Oberzentren und Mittelzentren brauchen zur Absicherung der klimapolitisch dringenden Verkehrswende eine Fernverkehrsanbindung im Taktverkehr.
9. Umgehende Inangriffnahme von Streckenreaktivierungen gemäß der VDV-Liste.
Dazu Prof. Heiner Monheim, Sprecher von Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene:
„Der Beendigung der Ausschreibung für neue 300-km/h-Hochgeschwindigkeitszüge muss jetzt der Abschied von den dysfunktionalen und nicht finanzierbaren Hochgeschwindigkeitsneubauprojekten folgen. Der Fernverkehr der DB braucht eine strategische Neuausrichtung. Für die klimapolitisch notwendige Verkehrswende ist eine deutlich bessere Anbindung alle Ober- und Mittelzentren erforderlich, die durch ein modernes Interregio-System erreicht werden kann. Dazu gehört auch eine bessere Fernverkehrsanbindung von Urlaubsgebieten und Kurorten. Auch ein Ausbau der nationalen und internationalen Nachtzugverbindungen ist für die Verkehrswende und Klimapolitik ein wichtiger Baustein. Zudem ist es erforderlich, vorrangig das Bestandsnetz zu sanieren, Engpässe zu beseitigen und stillgelegte Bahnlinien zu reaktivieren. Nur der Anschluss sämtlicher Mittelzentren und großen Gewerbegebiete an das Bahnnetz sichert die Verkehrswende.“
Hamburg 04.02.2025