2. Kritische Dimensionen von Großprojekten

Teil 2 des sechsteiligen Beitrags. Hier geht es zu Teil 1

Diese Erfahrungen haben mich veranlast, umfassendere Überlegungen zur Rolle von »Großprojekten« anzustellen. Semantisch hat »Großprojekt« einen negativen Beigeschmack, nah am »größenwahnsinnig«, »protzig«, »verschwenderisch«, »gigantisch«, sei es im biblischen Sinne wie beim Turmbau zu Babel oder im profanen Sinne wie beim Rhein-Main-Donau-Kanal, der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke von Nürnberg nach Erfurt, dem Transrapid in München oder Stuttgart 21. Wir kommen mit diesen Projekten mehreren kritischen Dimensionen von Großprojekten auf die Spur.

1.      Monopolisierungs- und Konzentrationseffekt

Das Investitionsvolumen von Großprojekten muss gigantisch sein. Das ist einer der Hauptgründe für den so genannten Monopolisierungseffekt von Großprojekten. Sie sind allein aus finanziellen Gründen nicht überall verallgemeinerbar. Sie zwingen zur räumlichen Konzentration auf einen oder wenige Standorte. Im Verkehr bedeutet das vor allem, dass sie nicht flächennetzbildungsfähig sind, weil der Preis pro Einheit (Kilometer Strecke, Stück Knoten und Stück Fahrzeug) einfach zu groß ist. Typische Beispiele sind Transrapid, ICE, U-Bahn-Tunnel. Sie verhindern eine breite Netzbildung, sie zwingen zu sogenannten Rumpf- und Korridornetzen: Die finanzielle Monopolisierung hat eine starke räumliche Konzentration zur Folge. Im Stadtverkehr haben so reine Korridorsysteme der U-Bahn die weit verzweigten Straßenbahnnetze abgelöst, mit der Folge massiver Fahrgastrückgänge, weil die Kundennähe verlorenging. Und im Bahnverkehr gab es dank dieser Konzentrationsstrategie trotz eines riesigen Investitionsvolumens in wenige Neubaustrecken am Ende gut 25.000 Kilometer Schienennetz und gut 6.000 Bahnhöfe weniger. Kein Wunder, dass der Marktanteil der Schiene auf marginale Restmengen abstürzte.

Im Falle der Straßentunnel in Düsseldorf und Köln war das Ergebnis, dass die dringend erforderliche Sanierung der jeweils gut 100 km extrem hochbelasteter städtischer Hauptverkehrsstraßen, ihr Umbau zu Alleen und Boulevards, ihre fußgänger- und fahrradfreundliche Umgestaltung, ihre dringend erforderliche Geschwindigkeitsdämpfung unterblieben sind. Bei einem breiten Sanierungsprogramm wären die Netzeffekte viel größer gewesen, man hätte damit das Wohnumfeld von sehr viel mehr Haushalten und Menschen verbessern können, die Verkehrssicherheit sehr viel mehr verbessern können, Fuß- und Fahrradverkehr sehr viel mehr fördern können – doch all das ist unterblieben, um stattdessen jeweils 1,5 bzw. 1,8 km »Paradies« auf Tunneldecke herzustellen, sicher an strategisch sehr wichtigen Standorten. Aber die bestands- und systemorientierte Variante wurde gar nicht diskutiert, es ging um den höchstmöglichen Symboleffekt. Der Rest des Hauptverkehrsstraßennetzes vegetiert weiter vor sich hin, extrem problembelastet und ohne Hoffnung.

Damit vollzog sich bei den U-Bahnen die gleiche Fehlentwicklung wie beim bundesweiten Schienenverkehr. Mit Milliardenaufwand wurden die ehemals dichten Straßenbahnnetze zu »Gunsten« weniger, teurer U-Bahn-Strecken stillgelegt. Im Ergebnis fiel dadurch in vielen Städten der Marktanteil des öffentlichen Verkehrs von früher meist über 45 % auf marginale Werte zwischen 12 und 15 % ab. Städte, die ihre Straßenbahnnetze erhalten und ausgebaut haben wie beispielsweise Freiburg oder Karlsruhe, konnten dagegen weit höhere Marktanteile im öffentlichen Verkehr verteidigen. Exemplarisch zeigt der Netzvergleich für Köln diese für die Verkehrsentwicklung verheerende Tendenz, bei der mit Rieseninvestitionen maximaler Misserfolg erzielt wurde. Früher, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, gab es mutige Netzausbauten. Und dann folgten spätere verheerende Stilllegungen. Vom ehemals dichten Straßenbahnnetz ist dank der Tunnelprojekte wenig übriggeblieben.

2.      Konzentration auf Transeuropäische Netze und Gigantismus

Angesichts dieser Dimensionen fällt es schwer zu glauben, dass Deutschland unter allen europäischen Ländern besonders viel Geld in den Bahnausbau steckt, nämlich fast 55 Mrd. Euro. Mit diesen Summen erweist sich Deutschland im Bahnverkehr (und übrigens auch im Luftverkehr und bei den Wasserwegen) als das Land der Großprojekte. Frankreich und Italien kommen nur auf die Hälfte der entsprechenden Volumina, die übrigen Länder erreichen nur Bruchteile der deutschen Werte. Man könnte durchaus stolz auf diese Unterschiede sein, wenn damit überwiegend sinnvolle Investitionen verbunden wären. Aber es handelt sich eben vorwiegend um »dusselige« Großprojekte, wie der BUND 2013 die 12 unsinnigsten Großinvestitionen des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2003 nannte. Der Blick in den BVWP zeigt außerdem, dass auch dort immer mehr Gigantismus herrscht. Allein das stark gestiegene Finanzvolumen muss skeptisch machen, denn allenthalben wird von Sparzwängen, vom Gürtel-enger-Schnallen, geredet. Nur im Verkehr gilt das nicht, wie die Vervielfachung des Finanzvolumens für den BVWP zeigt.

Nun könnte man auf den ersten Blick ja noch jubilieren, dass doch auch das Finanzvolumen der Bahninvestitionen stark gestiegen sei; darüber müssten Bahnfreunde sich doch freuen. Aber dieser Einwand ignoriert die zerstörerische Wirkung der Netzinvestitionen bei der Bahn, die nicht dem Netzausbau, sondern dem Netzabbau dienen, wie der fortschreitende jährliche Netzlängenverlust beweist.

3.      Misserfolgsgefahr – Milliardengrab

Bei vielen Großprojekten muss der erwartete und behauptete Effekt, vor allem der verkehrliche, möglicherweise aber auch der wirtschaftliche, bezweifelt werden. Daher die gern benutzte Metapher vom Milliardengrab. Die ökonomische Rechnung der Befürworter unterstellt meist eine viel zu große Nachfrage oder Auslastung oder einen viel zu großen Umsatz. Beim Rhein-Main-Donau-Kanal wurde die prognostizierte Zahl der Schiffe und Größe der Tonnagen nie erreicht. Bei Stuttgart 21 wurden die erhofften Grundstückserlöse nie erreicht. Beim Transrapid und Metrorapid wurden illusorische Fahrgastzahlen prognostiziert, um sich die Projekte »gesundzurechnen«. Während sonst im ganzen Land der Schienen-Fernverkehr maximal im Stundentakt, oft nur im Zweistundentakt verkehrt, erfand man zum Wohle des Großprojekts Transrapid plötzlich zwischen Hamburg und Berlin oder Düsseldorf und Dortmund den Zehnminutentakt, damit man auf respektable Fahrgastprognosen kam. Ähnlich daneben liegen bei Großprojekten oft die angegebenen generellen und regionalen Arbeitsplatzeffekte. Meist »sahnen« wegen der sehr speziellen Bau- und Ausrüstungsaufgaben überregional tätige Großkonzerne bevorzugt ab, für die regionale Wirtschaft und deren Klein- und Mittelbetriebe bleiben nur kümmerliche Reste.

4.      Kostenexplosion

Großprojekte sind immer sehr komplex angelegt und in der Planung und Realisierung zeitaufwendig. Wegen ihrer kritischen Teilaspekte mobilisieren sie natürlich auch gern Widerstand. Daher hauen die Planungs- und Realisierungszeiten selten hin. Und so laufen Großprojekte im Laufe der Zeit meist kostenmäßig aus dem Ruder. Zum Beispiel, weil gegenüber den früheren Kostenschätzungen die Teuerung massiv zuschlägt. Oder weil unvorhergesehene neue Kosten entstehen, etwa beim Grunderwerb, bei der planerischen oder baulichen Realisierung oder durch verschärfte Umweltauflagen und Ausgleichsmaßnahmen. Der wichtigste Kostensteigerungsfaktor ist allerdings die »Wahrheit«, weil die meisten Großprojekte zunächst trickreich »schöngerechnet« wurden, um die Politik zu ködern. Nachher, wenn alle Beschlüsse gefasst sind und der Bau nicht mehr gestoppt werden kann, kommt dann die teure Wahrheit ans Licht, dann mag der Rechnungshof noch jammern, aber juristisch und politisch kann niemand mehr so recht belangt werden.

5.      Gigantische Folgeprobleme

Ein anderer wichtig Aspekt von Großprojekten sind die meist in der Diskussionsphase klein geredeten Folgeprobleme. Proportional zur Investitionsgröße sind auch die Eingriffe riesig: »wo gehobelt wird, da fallen Späne«. Es werden also wegen des gigantischen Flächenverbrauchs für Großprojekte ganze Landschaften oder Stadtteile planiert (so bei Großflughäfen, Großwasserstraßen, Autobahnkreuzen oder Hochgeschwindigkeitsstrecken der Bahn). Oder es werden wegen des gigantischen Energieumsatzes und Schadstoffausstoßes von Großprojekten riesige Emissionen freigesetzt (so zum Beispiel bei Müllheizkraftwerken, Flughäfen, Chemiegiganten). Oder es entstehen wegen der technischen Interna riesige Sicherheitsrisiken (zum Beispiel Kernkraftwerke, Großflugzeuge, Großstaudämme).

6.      Investitionen ins Schienennetz mit maximalem Netzeffekt

Man könnte diesen Sündenkatalog von Großprojekten als Basis für ein
generelles »Credo« in Richtung auf »small is beautiful« nutzen. Aber gerade beim Schienenverkehr würde das dann möglicherweise leicht missverstanden in Richtung auf eine generelle Investitionsminimierungsstrategie.

Und die wäre falsch, weil sie den unbefriedigenden Status quo festschreiben würde. Investiert werden muss also für die Renaissance der Schiene, nur richtig. Was das konzeptionell bedeutet, kann man gut aus der Geschichte der Gründerzeit der Bahnen in Europa und in Deutschland lernen.

Nächster Teil: Die Geschichte der Bahn – ein vorbildliches »Großprojekt« anderer Art

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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