3. Die Entwicklung des Eisenbahnwesens

Die Modelleisenbahn – Spielzeug oder mehr?

Teil 3 des fünfteiligen Gastbeitrags von Rolf Derenbach. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2.

Sie ist die Geschichte einer wahren Explosion! Das heißt: die Eroberung des Raums durch ein Spinnennetz.

Die bestehenden Wege waren noch zu Goethes Zeit ein ganz erhebliches Reisehindernis. Reisen war zu allen Zeiten begehrt, aber ein ausschließliches Privileg der höheren Stände, die die Mittel und die Zeit dafür besaßen. Die »grand tour« unternahmen die Adelssöhne im jugendlichen Alter, da ereigneten sich hin und wieder die merkwürdigsten und geschichtsträchtigsten Erlebnisse[5].

Die Geschwindigkeit der Personenpost betrug zwischen 6 und 10 km die Stunde. Zu Fuß etwa 4 km, daher brauchte Arthur Rimbaud drei Monate für seine Wanderung von Hamburg nach Genua. Und noch viel mühsamer war der Transport der Güter. Für ein Gespann benötigte man 4 oder 6 Pferde oder Ochsen, die legten in 12 Stunden 3 bis 4 Meilen zurück. Das übliche Transportmittel war der zweirädrige Karren. Wo es möglich war, waren im 18. Jahrhundert durch Wasserstraßen / Kanäle Verbesserungen geschaffen worden, Napoleons Nationalstraßen waren vermutlich nicht vorrangig als Wohltat gedacht, sondern dienten der schnellen Verlagerung der Truppen dieses Kriegsherrn.

Stephensons »Rocket« und noch mehr das Nachfolgemodell der »Northumberland«, die schon viermal so viel Feuerröhren wie die »Rocket« aufwies, also entsprechend mehr Energie lieferte, bewies, wie schnell die Lokomotiven wirksamer gemacht wurden. Zwar leisteten die Wasserstraßenherren politischen Widerstand, jedoch vergeblich. 1830 war – wie gesagt – die erste lange Strecke von Liverpool nach Manchester in Betrieb genommen worden, und wenig später ein Abzweig nach Birmingham. In wenigen Jahren entstanden Eisenbahnstrecken zwischen London und Bristol, Birmingham und Southampton, 1835 die Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth.

Eisenbahnstrecken sind »geringschiefe Ebenen«. Wäre der Anstieg zu hoch, so würde die Wirkung der Schwerkraft bewirken, dass die Treibräder durchdrehen und der Zug nicht mehr vorankommt. Man muss ja sehen, dass der Kontakt zwischen dem glatten Treibradring und dem glatten Gleis nur wenige Quadratzentimeter beträgt. Was da streckentechnisch in gegebener Landschaft zu bewältigen war, sieht man Beispiel der Bahnstrecke zwischen Liverpool und Manchester. Es musste fester Boden auf Mooren geschaffen werden, ebenso Einschnitte im hügeligen Gelände wie auch Tunnels durch einen Höhenzug. Bis zu 18 Meter aufgeschüttete Dämme überbrückten Senken und eine Brücke den Fluss Irwell. Noch spektakulärer war, dass die Innenstadt Liverpools untertunnelt wurde.

Das Projekt wurde gleichwohl als so erfolgversprechend angesehen, dass das Aktienkapital für die Betriebsgesellschaft innerhalb weniger Tage gezeichnet wurde. Dies sehr zum heftigen Ärger der Wasserstraßenherren, die bisher das Beförderungsmonopol durch den Bridgewater-Kanal besaßen, und dies weidlich ausgenutzt hatten.

Die Welt war mehr als erstaunt, als es mit der Semmeringbahn von Wien nach Graz 1854 gelungen war, 698 Meter Höhenunterschied von Baden bei Wien bis zur Passhöhe bei 898 Metern über Adria zu überwinden. Das konnte nur erreicht werden, weil im gebirgigen Gelände die Gleise so verlegt wurden, dass Brücken und Tunnelbauwerke sowie Umkehrungen mit sehr engen Bogendurchmessern vorgesehen wurden. Das Projekt konnte auch nur durch eine besonders schwere und gelenkige Lokomotive erreicht werden. Nur 25 Jahre lagen zwischen der »Rocket« und dieser Lokomotive, ein wirklicher Sturmlauf des technischen Projektierens – wirksam befeuert durch das »Großkapital«, dessen Erwartungen auch aufgingen.

Man macht sich wohl heute wenig Gedanken über das, was im 19. Jahrhundert für den Streckenbau geleistet wurde. Und dies ja nicht mit Baggern und Planierraupen (die Landfahrzeuge waren ja noch nicht erfunden), sondern mit Schaufeln und Hacken in mühseliger Anstrengung von Tausenden von Arbeitern.

In jedem Jahr nach 1850 wurden in allen Teilen Europas und auch in Übersee Eisenbahnlinien eröffnet. So zum Beispiel im besonders eifrigen Sachsen. Die erste 116 Kilometer lange Linie verband Dresden und Leipzig, sie war 1839 fertiggestellt. Ende des 19. Jahrhunderts waren durch das Netz mit 3.500 km insgesamt alle größeren sächsischen Ortschaften miteinander verbunden (das heutige Netz ist mit 2.400 Kilometern deutlich weniger engmaschig).

Die Eisenbahn war ein Ergebnis der technisch-industriellen Revolution, wie sie umgekehrt diese antrieb. Es waren stürmische Zeiten. Indem Ausgangsstoffe geographisch zusammengebracht werden konnten, veränderte sich die Industrie vom Klein- zum Großbetrieb und damit ging die Umverteilung der Bevölkerung einher.

Es ist schon merkwürdig: Das Zeitalter der romantischen Literatur erwies sich als völlig unromantisch.

Und man muss auch die Kehrseite sehen. So zum Beispiel die Eifelindustrie, die nicht an das Netz angeschlossen wurde und daher in kürzester Zeit zusammenbrach. Und schlimmer noch! Denn nun konnten Heere und Waffen schnell an die Fronten gebracht werden; der Erste Weltkrieg, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wäre ohne die Eisenbahn so nicht möglich gewesen.

Die Modelleisenbahn als Abbild der äußeren Welt

Nun, der Modellbauer wünscht sich eine stimmige Welt. Wobei die einen nostalgisch und somit der Dampflok zugeneigt sind, andere fortschrittlich und somit die E-Lok bevorzugen. Beide sind gleichwohl Romantiker und nehmen sich eine Auszeit.

Ein König – so geht die Fabel – wollte einmal ein Modell seines Reiches erstellt haben. Die beauftragten Wissenschaftler machten sich ans Werk und lieferten eine tischgroße Fassung, die jedoch nicht gefiel. So lieferten sie eine Fassung, die ein großes Zimmer im Palast umfasste, nach nochmaliger Unzufriedenheit füllten sie den Kronsaal, dann den Park vor dem Schloss aus. Schließlich verlangte der König, das gesamte Königreich für das Modell zu nutzen. Anscheinend war er ein Romantiker, der die reale Welt durch eine bessere ersetzen wollte.

In dieser Verlegenheit befindet sich der Modellbauer nicht, aber man kann »zoomen« zwischen Tischgröße (Spur N), Zimmergröße (Spur HO) und der Freiluft-Gartenanlage. Im Maßstab 1:3 sind die Dampfloks auf dem Höhenpark Killesberg in Stuttgart seit der Bundesgartenschau 1950 unterwegs – eine sehr vergnügliche, mit den schönsten Kindheitserinnerungen erfüllte Angelegenheit, die heute von älteren Herren im Ehrenamt betrieben wird. Dass man auch viel kleinere, tatsächlich mit Dampf betriebene Loks bauen kann, habe ich in Aesch in der Nähe von Basel erlebt.

Für die Modellbauer gibt es zwei Alternativen. Zunächst die »stationäre«, das heißt die zumeist im Keller eines Einfamilienhauses betriebene Panoramabahn mit Landschaft. Sie misst sich in mehreren Metern Umfang, und die Lust ihrer Erbauer besteht vor allem darin, in jahrelanger Freizeitbeschäftigung das ikonographische Abbild so detailgerecht wie immer nur möglich zu verwirklichen.

Die zweite Alternative ist die ambulante, das heißt die in Schachteln aufbewahrten Loks, Schienen und Sonstiges werden – wenn es mal wieder soweit ist – ausgepackt, und ein neuer Schienenplan wird verwirklicht. Großväter und Kinder sind beteiligt, bis auf Weiteres. Auch wir haben – wie die Fotos zeigen – Panoramen verwirklicht und dabei unser Modell des Eiffelturms eingefügt. Nach einer Woche wurde alles wieder in Kisten verpackt.

Der Modellbauer befindet sich in der glücklichen Lage, sich sagen zu dürfen, »hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein«.

Doch völlig willkürlich kann er im Raum – angenommen in einer üblichen Zimmergröße von 4 x 4 Metern – wiederum nicht handeln. Er muss Bedingungen erfüllen, so die Beachtung der Geometrie des Raums, der vermutlich möbliert ist, es braucht Platz für den Modellbauer selbst und die Mitstreiter; eine Tür benötigt Innenraum, wenn sie geöffnet wird. Ferner die Teilbarkeit und Geometrie der Schienen, der geraden wie der gebogenen, deren Bogen durch die physikalischen Verhältnisse bewegter Gegenstände (Fliehkraft) bestimmt ist.

Drei Grundformen der Gleisanlage bieten sich an. Die gerade oder kurvige Strecke, die zwei Endbahnhöfe verbindet. Das kann reizvoll sein, weil man in den beiden Bahnhöfen rangieren muss, das heißt die eingefahrene Lok muss abgekoppelt werden und eine Lok am Ende des Zuges angekoppelt werden. Dementsprechend braucht man zumindest ein weiteres Gleis, auf dem die benötigte Lok für den Richtungswechsel des Zuges wartet.

Im Fall der zweiten Variante werden die Gleise entlang der vier Wände des Raums verlegt. Da genügend Platz vorhanden ist, kann ein innerer, parallel verlaufender Gleisstrang gelegt werden, das ergibt einen schönen Effekt, wenn die beiden Strecken eigene Stromkreise aufweisen, denn dann können die Züge unanhängig voneinander gesteuert werden, und ja auch in Gegenrichtung laufen.

Unsere Variante war die dritte, die an zwei Eckwänden des Zimmers verläuft, einen Mittelteil (für den Bahnhof) und an beiden Enden ein Umkehrbogen aufweist. Der Zug verläuft dann immer in jeweiliger Gegenrichtung in den Mittelteil /Bahnhof ein, was die Simulation sehr bereichert.

Eine weitere Variante wird am Ende der Schrift [Teil 5 dieses Gastbeitrags] vorgestellt.

Nächster Teil dieses Gastbeitrags: Die Eisenbahn in kosmologischer Sicht

Wie immer freut man sich, wenn auf ein Schriftstück eine »Rückkopplung«, eine Antwort, erfolgt. Gerne auch per Mail an rderenbach@gmx.de


[5]  So zum Beispiel die »grand tour« des Herzogssohn Georg des Herzogtums Celle-Lüneburg. Dazu: Rolf Derenbach: »Die Residenzstadt Celle: Dynastische Seitensprünge und Stadtgeschichte« in »Wie schöne Städte entstanden sind – urbanistisch-historische Miniaturen«. Bonn 2021. Im Ergebnis kamen die Hannoveraner Herzöge auf den englischen Thron.

Über Rolf Derenbach

Rolf Derenbach( 1944) Dr.-Ing., Studium der Architektur, Stadt- und Regionalplanung an der Hochschule für bildende Künste Berlin und an der Technischen Universität Berlin. 1973 Institut DATUM (Projekt zur Nutzung des Computers für die räumliche Planung), seit 1976 Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung mit den Themen Bildungsgeographie und eigenständige Regionalentwicklung durch Qualifikation und Innovation (einschl. Gutachten für die EU-Kommission). Seit 1989 Referent für Bildung, Kultur, Europa und internationale Partnerschaften. Nachberuflich: Schriften zur Architektur, Geographie, Geschichte und Philosophie, die im online Portal der Freien Universität Berlin verfügbar sind (refubium.fu-berlin.de).

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