19. September 2022
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Es sind im Wesentlichen zwei Gründe, warum Widerstand gegen Stuttgart21 weiter sinnvoll ist, und warum alle, die schon frustriert aufgegeben haben, oder die glaubten. mit Verbesserungsvorschlägen das Schlimmste verhindern zu können, sich nochmal ins Zeug legen sollten, um das Projekt so schnell wie möglich zu stoppen und die Diskussion um Alternativen aufzunehmen.
Grund Eins ist das Projekt selbst. Je mehr es seiner geplanten Fertigstellung entgegengeht, desto klarer wird, dass es vorn bis hinten nicht funktioniert und die Gegner im Wesentlichen recht hatten. Da kann man das Projekt quasi für sich selbst sprechen lassen. Im Mai 2021 hat die grün-schwarze Koalition den Bau weiterer 47 km Tunnel (euphemistisch: „Ergänzungsprojekte“) beschlossen, die nichts Anderes sind als ein Offenbarungseid in zentralen Fragen des Projekts.
Ein sechsgleisiger unterirdischer Kopfbahnhof soll das Kapazitätsproblem lösen. Ein Tunnel vom Flughafen bis Böblingen und weitere Tunnel Richtung Norden sollen den Deutschlandtakt (erst?) ermöglichen. Mit Ersterem, dem Pfaffensteigtunnel, wird eingestanden, dass 20 Jahre Planung der Mischverkehrstrasse auf den Fildern gescheitert sind. In Sachen Kosten und Fertigstellungszeitpunkt wurde schon immer gelogen. Zu den bisher zugegebenen 9,8 Mrd. € kommen nach Berechnungen von Karlheinz Rössler (der bisher immer richtig gelegen hat) weitere 5.5. Mrd. € hinzu
(s. Tabelle).
Dass Stuttgart nun bis spät in die 30er Jahre von Süden über die Gäubahn nicht mehr direkt erreichbar ist, bringt sogar alte S21-Unterstützer aus den Gäubahn-Anrainerkommunen in Rage. Und selbst wenn sich all dies irgendwie lösen ließe, steht am Ende die praktisch unüberwindbare Hürde des völlig mangelhaften Brandschutzes. OB Nopper und Branddirektor Belge wissen, warum sie sich hier seit Monaten der Diskussion entziehen.
Grund Zwei ist das Kriterium Klima: Die Erdüberhitzung mit all ihren Folgen wird immer spürbarer und übertrifft die schlimmsten Befürchtungen: Das macht S21 zu einem klimapolitischen Skandal.
Exzesse in Stahl und Beton. Geradezu obszön ist die S21-Werbung an einem Bauzaun, die mit 29 Kelchstützen prahlt, bei der für jede bis zu 350 t Stahl und 685 m3 Beton verbaut werden. Und nun noch mehr Treibhausgasemissionen durch noch mehr Tunnel, die nicht retten können, was nicht mehr zu retten ist!
Verkehrsverlagerung auf die Straße. Die drastische Kapazitätseinschränkung von 16 auf 8 bei S21 geplanten Gleisen führt zu einer Verkehrsverlagerung von der Schiene auf die Straße: auf 30 Jahre berechnet 23,1 Mrd. Fahrzeugkilometer mehr mit entsprechenden Emissionen[1]!
Förderung des Flugverkehrs ist explizites Ziel von S21. Ein unterirdischer Flughafenbahnhof soll den Flughafen schneller erreichbar machen.
Flächenversiegelung: Gerade wo sich die Erkenntnis durchsetzt, dass Böden entsiegelt werden müssen, setzt S21den klimabelastenden Trend – seit 2019 immer mehr zubetonierte Böden in BaWü – fort. So auf den Fildern, wo ca. 20 ha fruchtbarer Böden einer Baueinrichtungsfläche geopfert werden
sollen oder durch die Zubetonierung/Bebauung von 225 qm des Gleisvorfelds, eines für die Frischluftversorgung der überhitzten Stadt lebenswichtigen Areals.
Überflutungsrisiko: Obwohl gerade in Stuttgart mehr Starkregenereignisse zu erwarten sind, wird ein Halbtiefbahnhof gebaut, der bei Starkregen wie eine Staumauer wirkt und Teile der Stadt unter Wasser setzen würde. In der Bahnhofswanne sind Flutungsöffnungen eingeplant, die bei steigendem Grundwasser ein Aufschwemmen des Bahnhofstrogs verhindern sollen, dann aber den Bahnhof auf längere Zeit funktionsunfähig machen würden.
S21 ist ein Beispiel für das Menschengemachte des Klimawandels – und als solches auch nicht unumkehrbar und Schicksal. Eine breite Diskussion über die Konversion von S21 steht jetzt an. Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, den leistungsfähigen Kopfbahnhof samt Seitenflügel in modernisierter Form wiederherzustellen und den Schlossgarten unter teilweiser Umnutzung des bisher Gebauten wieder zu beleben. Die S21-Infrastruktur soll für ein System unterirdischer automatisierter Güterlogistik genutzt werden, wodurch oberirdisch LKW-Verkehre eingeschränkt und Straßen zurückgebaut werden können. Dieses Konzept war zuvor von zwei Logistik-Professoren von der Uni Bamberg in einer aufwändigen Studie für plausibel und weiterverfolgenswert erklärt worden.
Quellverweis:
[1] Karlheinz Rößler, Quantifizierung der Stickoxid- und Feinstaubemissionen des durch S21 verursachten Autoverkehrs, 4/2018
Bilder: Privat für SÖS