Wie unwirtschaftliche Bahnprojekte auf die Liste der „vordringlichen“ Bahnvorhaben gelangen / Die Beispiele Neubaustrecke Wendlingen – Ulm und Pfaffensteigtunnel (Gäubahn-Umbau)
Lug und Trug begleiten Stuttgart 21 seit mehr als zwei Jahrzehnten. Und Lug und Trug waren im Fall der im Dezember 2022 in Betrieb genommenen Neubaustrecke Wendlingen – Ulm über die Schwäbische Alb festzustellen. Bekanntlich dürfen Schienenprojekte nur dann in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen und gebaut werden, wenn sie wirtschaftlich sind. Ich lasse hier mal beiseite, welche fragwürdige Elemente in die Berechnung der Wirtschaftlichkeit eingehen. Festzuhalten bleibt: Trotz der geschönten Kosten von – laut ursprünglicher Planung – „nur“ zwei Milliarden Euro inklusive der verfassungswidrigen Mischfinanzierung, bei der das Land fast eine Milliarde Euro der Kosten trägt, war die Neubaustrecke bereits vor Baubeginn unwirtschaftlich. Deshalb hat man den Nutzen von Güterzügen auf der Neubaustrecke eingerechnet, obwohl diese wegen der großen Steigung auf der Strecke gar nicht fahren können. Als das auffiel, hat man von „leichten Güterzügen“ gefaselt, die es aber gar nicht gibt. Mit den jetzt doppelt so hohen Kosten von vier Milliarden Euro ist die Strecke auch doppelt unwirtschaftlich.
Dieser fadenscheinige Trick wurde im Fall dieser Neubaustrecke, nachdem klar war, dass sie gebaut wird, durchaus öffentlich ausgebreitet und auch kritisiert. Dennoch wird derselbe Trick nun ein weiteres Mal in unserer Region eingesetzt – im Fall des Pfaffensteintunnels. Also des Tunnels, mit dem die bisherige Bahnverbindung Zürich – Stuttgart (Gäubahn) nicht mehr direkt über die Panoramabahn zum Hauptbahnhof, sondern über den Stuttgarter Flughafen und erst von dort zum Hautbahnhof geführt werden soll.
Auch hier wurden bei der Berechnung der Wirtschaftlichkeit Güterzüge eingerechnet. Doch diese werden, wie im Fall der Neubaustrecke, auf dem Streckenabschnitt mit dem teuren Tunnel gar nicht fahren. Das hat uns sogar der frühere Staatssekretär Steffen Bilger ausdrücklich bestätigt. Trotzdem wurde dem Umbau der Gäubahnstrecke inklusive dem Pfaffensteigtunnel mit solchen Lügen die Wirtschaftlichkeit bescheinigt. Auch hier sind die Kosten viel zu niedrig angesetzt, wie ein Gutachten von Karlheinz Rößler zeigt. Schließlich hat man den Tunnel nachträglich mit einem Trick auf die Liste der vordringlichen Schienenprojekte gezaubert. Dazu gibt es keinen Parlamentsbeschluss, der eigentlich nötig wäre.
Was können wir daraus lernen? Ganz einfach: Offensichtlich kann man im Bundesverkehrsministerium – gegebenenfalls auf Wunsch der Bauwirtschaft – beschließen, irgendein Projekt zu bauen und dies mit falschen Berechnungen auf die Liste als „vordringlich“ zu setzen. Eine schlagende Begründung ist dabei immer, dies sei für den Deutschlandtakt nötig. Ist ein Vorhaben erst mal als „vordringlich“ in der Liste zum Bundesschienenwegeausbaugesetz gelandet, steht der Bedarf rechtlich fest. Klagen haben damit keine aufschiebende Wirkung. So ist gesichert, dass nur kostspielige und gewinnträchtige – und sehr oft auch schienenverkehrsschädigende – Vorhaben umgesetzt werden. Die nötige Verbesserung der Infrastruktur unterbleibt.
Dieser RailBlog wurde auf Basis einer Rede von Dieter Reicherter auf der 643. Montagsdemo vom 9. Januar 2023 verfasst.