Teil 4 des fünfteiligen Beitrags zur Rolle der Kirchen für eine umweltorientierte Verkehrspolitik. Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 und Teil 3
Die christlichen Kirchen sind nahezu weltweit aktiv. Sie sind global vernetzt wie kaum eine andere Organisation. Das bietet dem Kirchenvolk die Chance, sich sehr viel intensiver auszutauschen über unterschiedliche Lebensbedingungen, politische Rahmensetzungen und Leitbilder. Aus der Vielfalt unterschiedlicher Lösungen kann Kirche daher schneller und intensiver lernen als andere Organisationen, denen solche Vernetzungen fehlen.
Großer Erfahrungsfundus der Kirchen: Kirchen können aus einem beachtlichen Fundus sehr unterschiedlicher nationaler, regionaler und lokaler Verkehrsstrukturen und Erfahrungen schöpfen. Allerdings nutzen die Kirchen diesen Fundus bislang kaum für Verkehrsfragen, obwohl es auch hier um Fragen mit erheblicher sozialer Sprengkraft und ökologischer Relevanz geht. Zum Beispiel bei Fragen der Gerechtigkeit, des Lebensschutzes, der Bewahrung der Schöpfung. Und die beachtlichen regionalen Varianzen zeigen interessante Handlungsspielräume:Es gibt Gemeinden mit minimalen Fußverkehrsanteilen von 10 % (zum Beispiel in den USA) und solchen von 40 % (zum Beispiel in historischen italienischen Städten). Auf dem Kontinent Afrika werden sogar noch etwa 80 % aller Verkehrsbewegungen zu Fuß gemacht. Es gibt Gemeinden mit Radverkehrsanteilen von 3 % (zum Beispiel im Saarland) und von knapp 40 % (zum Beispiel im Münsterland). China, die Niederlande und Dänemark sind weltweit die Länder mit den höchsten Radverkehrsanteilen. Es gibt Gemeinden mit Anteilen des öffentlichen Verkehrs von 3 % (in ländlichen Regionen Deutschlands) und von 35 % (in Schweizer Großstädten). Beim öffentlichen Verkehr gibt es auch große Länderunterschiede. In Europa gilt vor allem die Schweiz als klassisches ÖPNV-Land. In Asien gelten einerseits Indien und andererseits Japan als die Hochburgen des Bahnverkehrs. Und China investiert aktuell extrem viel in den Ausbau seines Bahnsystems.
In den Ländern des Südens gibt es meistens gut funktionierenden sogenannten Paratransit, also den informellen Öffentlichen Verkehr mit kleinteiligen Mitnahmesystemen (Matatu, Tuk-Tuk, Dolmusch oder wie immer solche Systeme genannt werden). Und es gibt in einigen Ländern »öffentlichen Fahrradverkehr« mittels Fahrradtaxen (Boda-Boda in Kenia und Uganda, Rikschas in Südostasien). In den Ländern des Südens gibt es immer noch nur marginale Autoverkehrsanteile von höchstens 5 %, weil allein schon aus Wohlstandsgründen die Motorisierung minimal ist und sich fast ausschließlich auf die Eliten beschränkt. In den westlichen, reichen Industrie- und Dienstleistungsländern liegen die geringsten Autonutzungsquoten bei 35 %, oft aber leider eher bei 55-60 % und in ausgesprochenen Autoländern wie den USA sogar manchmal bei 75 %. Das belegt zunächst, dass Dauerstau kein unentrinnbares Schicksal ist, sondern dass es auf nationaler und kommunaler Ebene offenbar beachtliche Handlungsspielräume gibt, Verkehr effizient, das heißt in der Regel mit geringem Autoanteil und damit auch geringen Stauproblemen zu organisieren. Solche Unterschiede »fallen nicht vom Himmel«, sondern sind »geronnene« Ergebnisse“ von Verkehrspolitik. Es sind also die jeweiligen lokalen, regionalen und nationalen Politiken, die darüber entscheiden, wie effizient Verkehr funktioniert.
Sich in die Gestaltung der Randbedingungen einmischen: Vielfach werden Verkehrsfragen nur längs unliebsamer Symptome diskutiert. Es wird nicht erkannt, welche Regularien letztlich die Verkehrswelt bestimmen. In die Gestaltung dieser Regularien müssen sich Kirchen einmischen, wenn sie besser verträgliche Ergebnisse erreichen wollen. Das Verkehrsrecht kann mehr autofreundlich oder mehr fahrradfreundlich gestaltet sein und viel oder wenig Freiheiten für Fußgänger oder Radfahrer bieten. Es kann hohe oder geringe Bußgelder für Raser vorsehen und scharfe oder lasche Tempolimits für Autos. Die Verkehrsfinanzierung lenkt besonders die Investitionsprioritäten. In den meisten Ländern bekommen die Fernstraßen (Autobahnen und andere sogenannte Hochleistungsstraßen) die höchste Priorität. Dagegen ist die Priorität für den Schienenverkehr deutlich geringer. Und für den Fuß- und Radverkehr wird nur ein Bruchteil der Investitionen ausgegeben.
Zu den Finanzbedingungen im Verkehr gehört auch, ob es Mautsysteme gibt, zumal auch kommunale Mautsysteme, wie zum Beispiel in Norwegen, wo damit viele innerörtliche Autoverkehrsprobleme gelöst werden. Lange Zeit wurden Mautsysteme nur als Finanzierungsinstrument genutzt, um private Firmen am Straßenbau beteiligen zu können, die ihre Ausgaben dann über die Maut refinanzieren. Als verkehrspolitisches Instrument zur Reduzierung des Autoverkehrs werden bislang Mautsysteme selten verstanden (zum Beispiel in Singapur). London hat damit immerhin einen Teil der Stauprobleme in der City gemildert, darum heißt dort die Maut ja auch »Congestion Charge«. Später ist Stockholm diesem Vorbild gefolgt.
Es gibt aber auch Länder mit ÖV-orientierten Investitionsprogrammen wie »Bus und Bahn 2000« in der Schweiz, mit einem flächendeckenden InterRegio- Netz im Halbstundentakt, das alle Groß-, Mittel- oder Kleinstädte miteinander verbindet und damit die Schweiz zum Weltmeister in der Häufigkeit des Bahnfahrens macht. Ergänzt wird die Systemqualität des Schweizer öffentlichen Verkehrs durch viele attraktive Dorf-, Orts- und Stadtbussysteme sowie Tramsysteme.
Viele Länder konzentrieren bislang ihre ohnehin eher kleinen Bahninvestitionen auf wenige Großinvestitionen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs, ohne jede Chance auf Rentabilität, als Milliardengrab für »pharaonenhafte« Projekte ohne Flächenwirksamkeit und breiten Systemnutzen.
Auch das Bau- und Planungsrecht entscheidet maßgeblich, welche Chancen eine Verkehrsart bei der Bau- und Siedlungsplanung erhält: ob Bauherren und Betriebe sich finanziell nur für autofixierte Straßenerschließung und Parkraum engagieren müssen, oder ob sie stattdessen Beiträge für den öffentlichen Verkehr aufwenden müssen wie zum Beispiel in Frankreich mit seiner »Versement transport«, einer Nahverkehrsabgabe für Betriebe. Und ob ein Gewerbegebiet ohne Schienenanschluss genehmigt werden darf oder ob ein Schienenanschluss zwingend ist für die Genehmigung.
Auch das Steuerrecht kann Verkehrsmittel steuerlich privilegieren oder deklassieren. Mit Prämien für Autokauf oder Autonutzung muss man sich nicht wundern, wenn man im Stau landet. Prämien für das Gehen und Radfahren wären nicht nur gesundheitspolitisch sehr viel sinnvoller.
Damit sind die bislang in den meisten Ländern schlecht geregelten staatlichen Mechanismen im Verkehr deutlich aufgezeigt. Für die mittel- und langfristige Zukunft wird deshalb die zentrale Frage sein, ob sich an diesem Randbedingungen etwas ändern lässt. Kurzfristig wird man befürchten müssen, nein. Zu festgefügt sind die etablierten Mechanismen im Verkehr. Die Mehrheit der zuständigen Akteure sperrt sich gegen Innovationen. Unter solchen Bedingungen mehr Effizienz ins Verkehrsgeschehen zu bringen und die offenkundigen Autoverkehrsprobleme zu lösen, damit der Verkehr seinen dringend notwendigen klimapolitischen Beitrag leistet, ist eine Aufgabe, zu der einem schnell die griechische Mythologie einfällt, mit Herkules, Sysiphos oder Laokoon, die sich redlich abstrampeln bei ihren Aufgaben.
Nächster Teil: Prinzip Hoffnung: wie sieht »übermorgen« eine nachhaltige Verkehrswelt aus?