rail blog 338 / Joachim Holstein

Schachmatt

In mehreren Medien erschien vor einigen Tagen ein Beitrag zur Frage, warum Verkehrsminister Wissing offenbar an der Deutschen Bahn scheitert. Und zwar nicht beim Versuch, sie zu benutzen und dabei auch noch pünktlich anzukommen, sondern beim Versuch, sie zu steuern.

Ja, sie zu steuern. Das fällt nämlich in seine Zuständigkeit als Vertreter der Eigentümerin, der Bundesrepublik Deutschland. Zwar haben interessierte Kreise immer wieder gepredigt, das deutsche Aktienrecht verbiete einen Durchgriff des Bundes auf die Firmenpolitik der DB, aber ein Kommentar in der »Süddeutschen Zeitung« spricht sich vehement für eine »politische Führung« der DB aus:

Die Bundesregierung lässt die Bahn allein. So dumm, den Vorstand einfach werkeln zu lassen, wäre kein privater Investor. Jetzt muss der Staat endlich Ziele vorgeben.

Die Bahn ist kaum zu führen. Sie ist groß und kompliziert, muss aber flexibel agieren. Sie gehört zu 100 Prozent dem Staat, soll jedoch handeln wie ein Wirtschaftsunternehmen. Gleichzeitig drückt sich der Bund als Eigentümer an der Aufgabe vorbei, zu erklären, welchen Auftrag die Schiene in der Verkehrspolitik hat. Der Staat lässt die Bahn allein. Das ist so absurd, als würde sich die Großaktionärsfamilie Quandt, der etwa die Hälfte von BMW gehört, aus der Strategie des Autokonzerns heraushalten. So dumm, den Vorstand einfach werkeln zu lassen, wäre kein privater Investor. Die Bundesregierung lässt zu, dass die Bahn ohne Fahrplan und Kompass unterwegs ist.

Die Bahn ist trauriger Beleg dafür, dass Deutschland eine Auto-Republik ist, in der die Rolle der Bahn nicht wächst, sondern abnimmt.

Die Bundesregierung muss verkehrspolitische Ziele vorgeben. Das ist ihre Aufgabe, vor der sie sich bisher drückt.

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-ohne-fahrplan-1.3102972

Der Kommentar stammt vom 1. August 2016, im Kanzleramt saß die CDU und im Verkehrsministerium die CSU. Das sind die Parteien, die jetzt ganz genau wissen, was bei der Deutschen Bahn alles falsch läuft – aber diese Form des Leugnens der eigenen Schuld soll nicht Thema dieses Blogs sein.

Sondern der Umstand, dass der Kommentar auch im August oder Oktober 2024 hätte erscheinen können. Der Bundesrechnungshof schreibt sich jedes Jahr die Finger wund (und bringt dabei ähnliche Argumente vor wie »Bürgerbahn«), Fachleute aus dem In- und Ausland benennen sehr deutlich die Probleme und ihre Ursachen – aber die Bundesregierung setzt weiter auf Autobahnbau und Narrenfreiheit für die DB-Konzernspitze, was auf Kosten der Umwelt, der Fahrgäste und auch der DB-Beschäftigten geht.

Nun versucht man sich an einer Antwort, wie die Bahn das mit der Narrenfreiheit eigentlich hinbekommt, insbesondere, wo doch die aktuelle Regierung mit dem Anspruch angetreten war, es besser zu machen als die aus dem Raum Ingolstadt und München stammenden Verkehrsminister und ihre Partei. Am 9. Oktober heißt es beim RedaktionsNetzwerk Deutschland unter Berufung auf den Bundesrechnungshof:

In dem Bericht heißt es, das Bundesministerium habe 2022 angekündigt, die bundeseigene Deutsche Bahn besser steuern und sie stärker an den Bundes­interessen ausrichten zu wollen. »Dies ist nicht gelungen«, bilanziert der Rechnungshof. Eine ressortinterne Steuerungsgruppe habe nicht die nötige »Wirkkraft« entfaltet.

So habe der Bund bei der neuen Infrastruktursparte InfraGO eingeschränkten Einfluss. Das Ministerium sei damit gescheitert, die InfraGO von Konzern­interessen zu entflechten und personell unabhängig zu machen. Der Bundes­rechnungshof empfiehlt dem Haushaltsausschuss demnach, sich für einen »unmittelbaren und weitreichenden Einfluss« der Bundesregierung auf die Eisenbahninfrastrukturunternehmen starkzumachen.

Das Verkehrsministerium weist die Vorwürfe mit dem Argument zurück, man habe nach dem Ende der Merkel-Regierungen »einen desolaten Zustand der Bahn­infrastruktur vorgefunden«. Das trifft zwar zu und wird sicherlich nicht nur vom Grünen Aufsichtsratsmitglied Stefan Gelbhaar bestätigt, der die CSU-Verkehrsminister »würdigt«:

»Ramsauer, Dobrindt und Scheuer haben sehenden Auges hingenommen, dass die Schiene so unfassbar marode geworden ist. Die Bahn muss diesen massiven Sanierungsrückstand aufholen und auflösen. Durch die krassen Versäumnisse der früheren Verkehrsminister sind die Züge jetzt unzuverlässig.«

Aber der Verweis auf den desolaten Zustand beantwortet nicht die Frage nach dem Scheitern des Versuchs, die Bahn unter Kontrolle zu bringen. In »Capital« und »stern« gräbt die Redakteurin Monika Dunkel tiefer:

https://www.capital.de/wirtschaft-politik/bahn-chef-lutz-setzt-verkehrsminister-wissing-schachmatt-35132260.html

https://www.stern.de/wirtschaft/bahn-chef-lutz-setzt-verkehrsminister-wissing-schachmatt-35133466.html

Sie beginnt mit der Pointe, dass Bahnchef Lutz einen deutschen Jugendmeister-Titel im Schach errungen hat und offenbar weiß, wie man Gegner mattsetzt.

Und das dröselt sie dann akribisch auf.

Ein feines Lehrstück darüber, wie der vermeintlich Schwächere den Stärkeren bezwingt und das zur großen Geldverschleuderung führt. So jedenfalls sehen es die Rechnungsprüfer. Und sie haben dafür viele, viele Beispiele. Auf 33 Seiten beschreiben die Gutachter, warum die DB heute ihren Eigentümer, den Bund, steuert und nicht umgekehrt. Schuld daran hat aus ihrer Sicht vor allem einer: Bundesverkehrsminister Volker Wissing.

So kündigte Wissing im Juni 2022 an, sich stärker einzumischen und die Sanierung der Bahn zu kontrollieren, dafür wurde unter anderem eine »Steuerungsgruppe Transformation DB AG« eingerichtet.

Doch statt stärker reinzugrätschen, lässt er sich umgarnen. Bahnchef Richard Lutz gab den reuigen Sünder, hämmerte dem Minister aber auch ein, dass die Infrastruktur vor allem deshalb so mies sei, weil die Bahn stets zu wenig Geld für ihr Schienennetz bekommen habe.

Lutz jedenfalls schaffte, was viele nicht für möglich gehalten hatten. Er blieb der Bahnchef.

Die hochgelobte DB InfraGO charakterisiert sie kurz und treffend als: »neue Hülle mit altem Kern, bei der die DB weiter auf der Kommandobrücke steht und die Politik winkend am Rand«.

Wie das vonstatten ging? Ganz einfach: Dem Eigentümer stehen 10 der 20 Mandate im Aufsichtsrat zu, die andere Hälfte wird von Betriebsräten und Gewerkschaften gestellt. Aber die Forderung des Bundes, diese zehn Mandate komplett selber zu besetzten, wurde von der Deutschen Bahn »jedoch nicht zugelassen«. Also bekam der Bund nur fünf der 20 Mandate.

An dieser Stelle reibt man sich die Augen und atmet tief durch. Die Deutsche Bahn, zu 100 Prozent in Staatsbesitz, maßt sich an, darüber bestimmen zu können, wer sie beaufsichtigt. Das, was das Privileg des Staates als Eigentümer ist, verwandelt sich in ein Machtinstrument des Bahnvorstandes: Er lässt zu, ob der Bund mehr als fünf Aufsichtsräte stellt oder nicht.

Da wedelt der Schwanz mit dem Hund, und in Anlehnung an Franz Josef Strauß, der 1975 sagte „Es ist mir egal, wer unter mir Bundeskanzler wird“, könnte man meinen, Bahnchef Lutz sei es egal, wer unter ihm Verkehrsminister ist.

Die Regierung knickte also ein und begnügte sich mit fünf Mandaten. Aber wenigstens den Vorsitzenden, der bei einem Patt mit seinem doppelten Stimmgewicht alles entscheidet, wollte der Bund gerne stellen.

Man mag sich vorstellen, wie das geklungen hat, nachdem der Bund schon vom Tiger zum Bettvorleger mutiert war. Jedenfalls sagte Lutz auch dazu nein und bestimmte, dass der Diplom-Politologe Berthold Huber, der seit Juli 2022 als »Infrastrukturvorstand« der DB agierte, den Aufsichtsratsvorsitz der DB InfraGO übernahm.

All das ist keine Enthüllung, doch in der Zusammenschau erbärmlich. Gerne wüsste man, wie Lutz – deutscher Jugendmeister im Schach – Wissing schachmatt gesetzt hat und warum Wissing so wenig auf seine eigenen Leute hört. Darum geht es in vielen Stellen im Bericht. So habe etwa die »die Arbeitsebene des BMDV früh das Interesse der DB AG« erkannt, schreiben die Rechnungsprüfer. Der Konzern habe das »Ziel, mehr Bundesgeld mit weniger Kontrolle zu erlangen«. Trotzdem gelang dem BMDV nicht, »die Interessen des Bundes wie gewünscht zu stärken«.

Ein Beispiel dafür ist auch die Umstellung der Finanzierung von Zuschüssen auf Eigenmittel, wodurch die Politik die Macht noch weiter aus der Hand gibt. Für die Rechungsprüfer ist all das »nicht akzeptabel«. Es begründe Zweifel, ob das BMDV und die DB AG derzeit angemessen aufgestellt seien.

Kann es vielleicht sein, dass das mit der »Gemeinwohlorientierung« der Bahn-Infrastruktur gar nicht ernst gemeint war? Denn was könnte die deutsche Autoindustrie wohl angesichts des eigenen Unwillens, preisgünstige und nicht allzu umweltschädliche Fahrzeuge anzubieten, neben der Konkurrenz aus China, Italien, Frankreich und Rumänien wohl weniger brauchen als eine funktionierende, moderne und bequem zu nutzende Bahn?

Über Joachim Holstein

(*1960) arbeitete von 1996 bis 2017 als Steward in Nacht- und Autozügen der DB, war von 2006 bis zur Einstellung dieser Verkehre Betriebsrat der DB European Railservice GmbH und zuletzt Sprecher des Wirtschaftsausschusses. Mitbegründer der Initiative zur Rettung des Nachtzuges Hamburg-Paris (2008; »Wir wollen nach Paris und nicht an die Börse«) und des europäischen Netzwerks für Nachtzüge »Back on Track« (2015; https://back-on-track.eu/de/); Weiteres unter www.nachtzug-bleibt.eu

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