Bahnen und Wirtschaft (3)

Die Bahnen in der Industrialisierung

Die Industrialisierung Europas war eng mit der Bahnentwicklung verknüpft. Bahnen machten einen sehr viel schnelleren und billigeren Transport aller wichtigen Güter und Rohstoffe möglich. Bahnen machten die potenziellen Arbeitskräfte mobil und erlaubten ihnen, schnell in die aufstrebenden Standorte und Städte zu wandern. Bahnen beförderten die Massen von Pendlern täglich von den Wohnungen zu den Arbeitsplätzen.

Bahnindustrie als Schlüsselbranche

Damit solche Effekte möglich wurden, mussten aber die Bahntrassen erst einmal gebaut werden, und die Lokomotiven, Personen- und Güterwagen mussten erst einmal hergestellt werden. Dadurch wurde die Bahnindustrie zu einer Schlüsselindustrie des europäischen Wirtschaftswandels und Technologiefortschritts. Und der Bahnnetzausbau mit den vielfältigen Bauaufgaben rund um die Strecken, Knoten und Bauwerke gab vielen Menschen neue Arbeitsmöglichkeiten und zahlreichen Ingenieuren und Architekten profitable Aufträge.

Technischer Fortschritt

In wenigen Jahrzehnten wurde die Bahntechnik weiterentwickelt, die Bahnen wurden immer schneller und leistungsfähiger, die Züge wurden länger, und neue Signal- und Kommunikationstechniken machten die Bahnen immer sicherer. Um 1900 begann dann die Elektrifizierung des Schienenverkehrs, zunächst vor allem bei den Straßenbahnen, später auch im Regional- und Fernverkehr der Bahnen. Dadurch gingen auch Kraftwerke und elektrische Bahnen eine enge Symbiose ein. Das kann man sehr schön am Beispiel der Region Südtirol und ihrer Bahngeschichte demonstrieren.

Josef Riehl als Tiroler Bahnpionier

Erstes prominentes Beispiel für die Symbiose war die von Ingenieur Josef Riehl geplante und realisierte Mittenwaldbahn (1912), die vom eigens hierfür gebauten Ruetzkraftwerk bei Innsbruck mit Strom versorgt wurde. Frühes Beispiel einer Elektrischen in Südtirol war die Straßenbahn Lana-Meran (1906), während die erste elektrische Vollbahn 1908 von Bruneck nach Sand in Taufers führte und somit den Anschluss an das Bahnnetz der k. u. k. Monarchie ermöglichte. Dies war für den wirtschaftlichen Aufschwung des Tales von Bedeutung: Holz, Erze und Loden konnten nun die wichtigen Absatzmärkte erreichen. Dasselbe galt für die Überetscher Bahn, ab 1911 elektrifiziert, die vor allem den Weintransport nach ganz Europa besorgt hat. Mit dem größten Schrägaufzug Europas wurden die berühmten Laaser Marmorbrüche erschlossen. Sterzing an der Brennerbahn wurde zum Umschlagschlagplatz für das am Schneeberg in Ridnaun geförderte Erz.

Ab den späten 1920er Jahren wurde die am Reißbrett des römischen Architekten Marcello Piacentini entstandene Bozner Industriezone mit einem Gleisnetz an den Bozner Bahnhof angebunden, ebenso das Lagerhaus am Bozner Bahnhof.

Für die Wirtschaft gab es sehr unterschiedliche Einsatzfelder im Gütertransport: landwirtschaftliche Produkte, Vieh und Holz sowie die beliebten Grödner Holzschnitzarbeiten, Aluminium, Düngemittel, Rasierklingen, im Trentino die Seidenraupenindustrie, in Nordtirol etc. konnten so von der Peripherie in die wichtigen Absatzmärkte und Verarbeitungszentren befördert werden. Bergwerke, Steinbrüche und auf Flüssigkeitstransport angewiesene Branchen konnten von schnellen und preiswerten Transporten profitieren.

Selbst jeder kleine Bahnhof verfügte über einen eigenen Güterschuppen und eine Laderampe, die vielen kleinen Güterströme liefen dann in den großen Knoten zusammen. Regionaler und überregionaler Warenaustausch nahm rasant zu.

Die Bahn und die Post

Eine große Rolle spielte auch der Bahntransport von Stückgut, Post und Paketen. Bahn und Post gingen eine enge Symbiose ein, Bahnhof und Postamt waren meistens direkt beieinander, Postzüge erlaubten das schnelle Sortieren des Postguts im Fahren. Der Nachtsprung machte die Bahnen unschlagbar schnell.

Angesichts solcher Zusammenhänge kämpfte allenthalben die lokale und regionale Politik im Verbund mit der Wirtschaft um einen schnellen, stetigen Bahnnetzausbau »bis in den letzten Winkel«.

Ein eigenes Kapitel stellten die Bergbahnen dar, welche im südlichen Tirol nach der Jahrhundertwende (1900) mit der Kohlerer Seilbahn 1908 ihre Weltpremiere erfahren. Da sie den erst später erlassenen Anforderungen nicht Genüge tat, musste sie bereits nach wenigen Jahren modernisiert werden: 1913 baute der Leipziger Seilbahnpionier Adolf Bleichert die für damalige Verhältnisse modernste Personenseilbahn. Auch das Vigiljoch bei Meran war ab 1912 mit einer Seilbahn erreichbar. Bereits 1903 führte eine Standseilbahn auf die Mendel, eine Zahnradbahn verband Bozen mit Oberbozen und dann weiter am Ritten mit einer Adhäsionsbahn.

In Innsbruck wurde eine Standseilbahn auf die Hungerburg (1906) gebaut, Bozen erhielt vor dem ersten Weltkrieg noch zwei kleine Standseilbahnen auf den Guntschnaberg (Gries) und auf den Virgl.

Bozen war damit zu dieser Zeit neben Luzern (CH) die Stadt mit den weltweit meisten Bergbahnen.

Hinzu kamen Seilbahnen als leistungsfähiges und kostengünstiges Verkehrsmittel für steile Berghänge. Es begann 1923 mit der von Luis Zuegg nach dem Bleichert-Zuegg-Prinzip gebaute Seilbahn von Obermais nach Hafling. Sie stand international Pate für Hunderte von weiteren Bergseilschwebebahnen. Auch diese Bahnen »besonderer Bauart« erfahren aktuell wieder eine beachtliche Renaissance mit neuen Hochleistungsseilbahnen, die auch im urbanen Raum vermehrt Einsatz finden.

Über Prof. Dr. Heiner Monheim

(*1946), Geograf, Verkehrs- und Stadtplaner, seit den 1960er Jahren befasst mit den Themen Flächenbahn, Schienenreaktivierungen, Erhalt des IR, S-Bahnausbau und kleine S-Bahnsysteme, Stadt- Umland-Bahnen, neue Haltepunkte, Güter-Regionalbahnen, Bahnreform 2.0, Kritik der Großprojekte der Hochgeschwindigkeit und Bahnhofsspekulation. Details: www.heinermonheim.de

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