rail blog 262 / Johannes Klühspies

Zur Reaktivierung regionaler Bahnstrecken

Gastbeitrag von Johannes Klühspies, Prof. Dr. habil. Dr. h.c. für Verkehrsmanagement an der Fakultät Angewandte Wirtschaftswissenschaften (School of Management) der Technischen Hochschule Deggendorf

Die neue Studie „Aspekte des Mobilitätsmanagements: Erfolgsfaktoren für die Reaktivierung regionaler Bahnstrecken“ [2024] unternimmt eine umfassende Analyse der Hemmnisse und Chancen aktueller Projekte im deutschsprachigen Raum. Die Studie basiert auf einer Befragung von Personen mit praktischer Erfahrung in solchen Projekten, um praxisrelevante Faktoren für den Erfolg oder Misserfolg von Reaktivierungsinitiativen zu identifizieren. Die Ergebnisse der webbasierten Befragung, die ab Juni 2023 durchgeführt wurde, spiegeln Rückmeldungen aus 115 Reaktivierungsprojekten wider. Zum Zeitpunkt der Befragung war nur ein kleiner Teil der Projekte erfolgreich abgeschlossen, die Mehrheit befand sich noch in unterschiedlichen Bearbeitungsphasen.

Die aktuelle Nutzung der weitgehend stillgelegten Strecken ist sehr unterschiedlich. Etwa die Hälfte der Initiativen berichtet von einer weitgehenden Nichtnutzung der Trassen. Daneben gibt es alternative verkehrliche Nutzungen, vor allem als Radwege oder Parkplätze.

Die Studie zeigt, dass die Organisationsform des eingetragenen, gemeinnützigen Vereins die wichtigste Struktur für Reaktivierungsprojekte darstellt. Diese Vereine finanzieren sich hauptsächlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Weitergehende, eher innovative Finanzierungsmethoden wie Crowdfunding werden bisher kaum genutzt, obwohl sie das Potenzial bieten könnten, die Finanzierungsbasis der Initiativen deutlich zu diversifizieren und insgesamt zu verbessern.

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist die hohe Identifikation der Akteure mit ihren Projekten. Die meisten Aktiven zeigen eine starke Überzeugung von der Bedeutung ihres individuellen Beitrags sowohl für den Erfolg ihrer jeweiligen Reaktivierungsinitiative als auch generell für die gesellschaftlichen Perspektiven und die Zukunftsfähigkeit der Region und der Schienenverkehrs in der Region. Besonders auffällig ist hier die Bedeutung von Aktivitäten im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, die nicht nur den größten Zeitaufwand erfordern, sondern auch besonders starke individuelle Sinn- und Bedeutungserfahrungen bei den Beteiligten erzeugen, wohl auch, weil diese Aktivitäten für die Mobilisierung öffentlicher Unterstützung essenziell sind.

Die Studie identifiziert mehrere Erfolgsargumente für Reaktivierungen. Quantitative Fahrgastzuwächse werden im Allgemeinen als wichtigstes Ziel angesehen. Weitere Argumente wie Verkehrsverlagerung, Verbesserung des touristischen Angebots und Mobilitätschancen für alle werden ebenfalls als relevant angesehen. Gleichzeitig fällt auf, dass eine mögliche Nutzung der potenziell reaktivierbaren Trassen durch neue Güterverkehre von den Beteiligten nur sehr selten als relevant benannt bzw. erkannt wird.  Dies veranlasst die Autoren der Studie zu der Vermutung, dass die Bedeutung des Güterverkehrs in der Diskussion um Reaktivierungsprojekte deutlich unterschätzt wird.

Als größte Hemmnisse für Reaktivierungsprojekte werden finanzielle Hürden, der Nachweis der Wirtschaftlichkeit und eine meist unzureichende politische Unterstützung hervorgehoben, was die Studie auch durch zahlreiche diesbezügliche Anmerkungen der Befragten verdeutlicht. Die Studie betont auch die Notwendigkeit einer stärkeren medialen Unterstützung und einer professionelleren Kommunikationsstrategie für die Initiativen. Gerade im Bereich der Kommunikation scheinen Defizite zu bestehen: Knapp zwei Drittel der befragten Initiativen geben zwar an, über eine Kommunikationsstrategie zu verfügen, bewerten die Qualität dieser Strategien selbst aber oft nur als befriedigend oder noch schwächer.

Insgesamt empfiehlt die Studie eine stärkere Professionalisierung der Kommunikationsstrategien, eine strategische und intensive Berücksichtigung der Nutzungsmöglichkeiten der Trassen durch den Güterverkehr sowie eine stärkere Integration der Belange mobilitätseingeschränkter Personen und des Schülerverkehrs in die Planung und Umsetzung von Reaktivierungsprojekten. Diese und weitere Ergebnisse und Empfehlungen der Studie sollen konkrete Ansätze zur Verbesserung der Praxis bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken im ländlichen Raum liefern.

Die Studie ist als Open-Access-Dokument im Internet frei verfügbar und kann unter folgendem Link als PDF heruntergeladen werden:

Klühspies, Johannes & Hazod, Melanie [2024]. Aspekte des Mobilitätsmanagements: Erfolgsfaktoren für die Reaktivierung regionaler Bahnstrecken. ISBN – 978-3-947957-08-8. Als pdf:   https://www.researchgate.net/publication/376381172_Aspekte_des_Mobilitatsmanagements_Erfolgsfaktoren_fur_eine_Reaktivierung_regionaler_Bahnstrecken

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