rail blog 105 / Andreas Kleber

KURSBUCH statt KATECHISMUS

Bei allem jugendlichem Engagement für die katholische Kirche war das Lernen des Katechismus für mich ein Gräuel.

Doch der Einband des Katechismus war das einzige Schulbuch, in welches ein Blaues Kursbuch passte.

Abends zuvor, während meine Eltern im Betrieb tätig waren, schlich ich mich in Papas Büro, um dieses Kursbuch zu entwenden, damit ich es unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe studieren konnte. Dann holte ich eine von Papas Rasierklingen, um das Innere des Katechismus durch dieses Kursbuch zu ersetzen.

Mein damaliger Religionslehrer war Bernhard Rieger*, späterer Weihbischof von Rottenburg-Stuttgart, bei dem ich zweimal pro Woche ministrierte. Doch ich wurde im Religionsunterricht jäh erschreckt: Tief versunken in die Strecke 406 Lindau – München mit dem E 765 Freiburg – München, damals schon mein Lieblingszug, der in Buchloe an den E 889 Oberstdorf – Augsburg Anschluss hatte; mit dem D 93 BAVARIA Genève – München mit Kurswagen von Lyon und Chur, etc… nahm ich nicht wahr, dass Hochwürden plötzlich neben mir stand. Dem stockte beim Anblick von meinem „Katechismus“ erst mal der Atem, und ich ließ vor Schreck das Kursbuch fallen. Dieses nahm er wortlos an sich und setzte den Unterricht fort. Als ich um ca. 12.15 Uhr von der Schule kam, sah ich ihn im Poststüble an Tisch 12 sitzend, den „Katechismus“ auf dem Tisch und die Eltern danebenstehend.

Oh wei, da habe ich von den Eltern eine richtige „Lektion“ erhalten, verbunden mit einer „Kursbuch- und Eisenbahnbuchsperre“ für einige Tage.

*Als Weihbischof kehrte H.H. Bernhard Rieger immer in der KLEBER-POST ein, wenn er in Oberschwaben war. Bei manchem Gläsle fragte er mich u.a.: „Bist Du immer noch so ein Bahnliebhaber?“ In seiner langjährigen Tätigkeit ist ihm das nur einmal passiert. Auf dem Rechberg, wo wir gerne wandern, liegt nicht weit davon Wißgoldingen. Ein Dorf auf der Schwäbischen Alb, wo er groß geworden und auch beerdigt ist. Wenn ich ihm das Weihwasser gebe, denke ich auch: Hat sich in den letzten 63 Jahren an meiner „Kursbuchlektüre“ wie auch sonstiger Eisenbahnliteratur was geändert?

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